- von Andreas Rinke
Hamburg (Reuters) - Als Donald Trump zusammen mit Emmanuel Macron den Saal der Elbphilharmonie betritt und zu seinem Platz geht, gibt es freundlichen Applaus.
Dann brandet plötzlich Jubel auf. Trump winkt erst ins Publikum, bis er merkt, dass die Zustimmung gar nicht ihm gilt - als er sich umdreht, sieht er Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eher verwundert über den überschwänglichen Empfang wirkt. Aber die Sympathien vieler Hamburger und internationaler Zuschauer sind nach dem ersten G20-Gipfeltag offenbar klar verteilt. Und auch der besonders freundliche Empfang dann für Kanadas Ministerpräsidenten Justin Trudeau wirkt wie ein Teil der Inszenierung, die es bei dieser kurzen Gipfel-Unterbrechung ohnehin geben soll: Denn gespielt wird Ludwig van Beethovens 9. Symphonie - deren vierter Satz als Ode an die Freude auch als Europa-Hymne gilt.
Zufall ist das natürlich nicht. G20-Gastgeberin Merkel hat die Musik mit Bedacht ausgewählt. Denn auf dem Hamburger Gipfel treten die Europäer, die früher gerne als wachstumsschwach von den internationalen Partnern kritisiert worden waren, betont selbstbewusst auf. Schon am Nachmittag hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den internationalen G20-Staats- und Regierungschefs selbstbewusst die guten Wachstumszahlen vorgebetet - die weit besser als die der USA sind. EU und Japan feiern sich zudem wegen der politischen Einigung auf ein Freihandelsabkommens als Vorreiter des Freihandels - und zu allem Überfluss wird Beethoven auch noch von dem Japaner Kent Nagano dirigiert.
Schon auch die Sitzordnung in der Elbphilharmonie kann man als politisches Statement lesen. In der ersten Reihe hat das deutsche Protokoll Emmanuel Macron neben Trump platziert, der gerade am Anfang sichtlich mit der Müdigkeit kämpft, so dass seine Frau Melania ihn schon mal anschubst. In der zweiten Reihe folgt die Achse um Merkel und ihren Mann, neben dem das chinesische Präsidentenpaar platziert ist. Direkt hinter Merkel wiederum sind die EU-Achse Juncker und Ratspräsident Donald Tusk platziert, der die ganze Zeit strahlt, als ob Beethovens 9. ihm persönlich gewidmet sei. Die britische Brexit-Premierministerin Theresa May dagegen wiederum ist so am Rand platziert, als ob sie schon jetzt nicht mehr dazu gehört.
Als dann der Chor der hamburgischen Staatsoper dann "Alle Menschen werden Brüder" schmettert, scheint für eine kurze Zeit von 70 Minuten das erreicht, was der Klub der größten Industrie- und Schwellenländer nach Merkels Meinung eigentlich anstreben sollte - nämlich eine Welt, die stärker zusammen- und nicht gegeneinander arbeitet. Alle müssen andächtig lauschen. Aber schon als die Besucher nach dem Konzert die Elbphilharmonie wegen der Auseinandersetzung mit Autonomen und Polizeieinsätzen über einen Schiffspendelverkehr verlassen müssen, wird klar, dass die Harmonie trügerisch ist. Die G20-Unterhändler streiten ohnehin die ganze Nacht, weil Trump bisher weder die Klimaschutz- noch die Handelsziele mittragen will.
Einer hatte sich der europäischen Harmonieübung übrigens von Anfang an entzogen. Russlands Präsident Wladimir Putin, der ohnehin den Ruf als notorischer Zuspät-Kommer der internationalen Diplomatie genießt, kommt auch in der Elbphilharmonie erst zehn Minuten nach Beginn. Weil er seinen Platz in der ersten Reihe nicht mehr erreichen kann, bietet ihm der zuständige deutsche Protokollchef Jürgen Christian Mertens kurzentschlossen seinen Platz an, um noch mehr Unruhe zu vermeiden. Im Schatten der dritten Reihe ist Putin dann auch der Erste, der den Saal wieder verlässt.