Die hohen Rohstoff- und Energiepreise zwingen Unternehmen reihenweise zur Einstellung der Produktion. Egal ob Bäckereien, Stahlhersteller, Toilettenpapierproduzenten, Düngemittelhersteller – überall schließen die Werkstore.
Das Stahlwerk Stahl Gerlafingen in der Schweiz hat aufgrund steigender Energiepreise die Genehmigung zur Kurzarbeit erhalten. Das Unternehmen zahlt für Energie derzeit in einem Monat so viel wie sonst in einem Jahr. CEO Alain Creteur bringt es unverblümt auf den Punkt: „Hohe Energiepreise bedrohen unsere Existenz“. Es könne sein, dass man einen Teil der Belegschaft oder auch alle 560 Mitarbeiter nach Hause schicken müsse.
Produktionsausfälle ziehen weitere Engpässe nach sich
Es ist nur ein Beispiel von vielen. Der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal (AS:MT) stellt die Produktion in Hamburg und Bremen bis auf weiteres ein. In Bremen wird einer der Hochöfen Ende September stillgelegt, in Hamburg eine Anlage ab Anfang Oktober außer Betrieb gestellt. Auch die Standorte Duisburg und Eisenhüttenstadt sind von Kurzarbeit betroffen. Der Aluminiumhersteller Speira kürzt die Produktion am Standort Rheinwerk in Neuss um 50 %.
Auch die SKW Stickstoffwerke Piesteritz aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt haben die Produktion bereits vor zwei Wochen eingestellt. Produziert wird dort der Dieselzusatz AdBlue, den die 800.000 Lkw in Deutschland benötigen. Von diesen stehen viele bald womöglich still, warnte unlängst Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL).
Neben AdBlue stellt SKW weitere Produkte wie Dünger her. Auch hier drohen durch den Produktionsausfall Engpässe.
Diese Engpässe werden zahlreiche Märkte und Branchen bereits in kurzer Zeit betreffen. Die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich dadurch absehbar.
Energieintensive Branchen besonders betroffen
Von den hohen Energiepreisen sind naturgemäß energieintensive Branchen besonders betroffen. Neben Aluminium gehören dazu auch die Branchen Chemie, Papier und Zement. Knappheiten auf Baustellen, im Fahrzeugbau und in vielen anderen Bereichen sind die zwangsläufige Folge.
Wie dramatisch die Lage ist, zeigt auch ein Appell des europäischen Verbands der Nichteisenmetallhersteller Eurometaux an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die klare Warnung: Es droht eine Deindustrialisierung durch steigende Strom- und Gaspreise.
Der Verband fordert die Staats- und Regierungschefs der EU vor dem Krisengipfel am Freitag auf, Notfallmaßnahmen zu ergreifen und stromintensive Industrien vor dem Aus zu schützen. Die Verfasser weisen darauf hin, dass bereits 50 % Aluminium- und Zinkschmelzkapazität in der EU vom Markt gegangen seien. Eingeschränkt laufen demnach auch die Produktion von Silizium und Ferrolegierungen und die Märkte für Kupfer und Nickel.
Viele Unternehmen hätten bereits unbefristete Schließungen beschlossen oder stünden kurz vor dem Ende. Es drohe „ein Winter auf Leben und Tod“. Der Verband weist darauf hin, dass viele Erzeugnisse seiner Mitgliedsunternehmen für Netzinfrastruktur, Elektrofahrzeuge, Photovoltaik- und Windkraftanlagen, Wasserstoffelektrolyseure etc. dringend gebraucht werden – und warnt vor einem dauerhaften Verschwinden der Industrie.
Viele Insolvenzen in Industrie und Handwerk befürchtet
Die hohen Energiepreise betreffen nicht nur große Konzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen. Egal ob Bäckereien, Brauereien, Toilettenpapierhersteller – wo viel Energie benötigt wird, lohnt sich die Produktion wirtschaftlich nicht mehr.
Der Toilettenpapierproduzent Hakle hat in dieser Woche Insolvenz angemeldet – und dürfte kein Einzelfall bleiben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) veröffentlichte am Mittwoch eine Studie, der zufolge 58 % der Betriebe in den explodierenden Energiekosten eine große Herausforderung sehen. 34 % gaben an, es geht um ihre Existenz.
Der Studie zufolge hat fast jedes zehnte Unternehmen die Produktion eingestellt oder zumindest heruntergefahren. 25 % der Unternehmen ziehen solche Schritte in Betracht oder erörtern bzw. planen eine Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland.
Der Handwerksverband ZDH warnt ebenfalls. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer sieht im Handwerk eine Insolvenzwelle anrollen. Jeden Tag meldeten sich Betriebe, die Probleme mit hohen Energierechnungen hätten. Die Pleitedynamik sei dabei wesentlich schlimmer als während der Corona Pandemie. Er forderte Härtefallhilfen für energieintensive Betriebe.