Berlin (Reuters) - Der am Freitag nach Tunesien abgeschobene ehemalige Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden muss zurück nach Deutschland geholt werden.
Dies entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Freitagabend. Die Abschiebung sei "grob rechtswidrig" und verletzte grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien, teilte das Gericht mit. Sami A. müsse "unverzüglich auf Kosten der Ausländerbehörde in die Bundesrepublik Deutschland" zurückgeholt werden.
Das Gericht hatte bereits am Donnerstagabend entschieden, dass Sami A. nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in seinem Heimatland Folter drohe. Eine diplomatisch verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung, dass dem nicht so sei, liege nicht vor. Der Beschluss wurde allerdings erst am Freitagmorgen veröffentlicht, als sich Sami A. längst auf dem Flug in sein Heimatland befand. Der Tunesier hatte daher über seine Rechtsanwältin einen Eilantrag auf Rückführung nach Deutschland eingereicht.
In einer Mitteilung des Gerichts heißt es, zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses sei die Abschiebung noch nicht abgeschlossen gewesen und wäre deshalb abzubrechen gewesen. Doch vielmehr sei sie "sehenden Auges abschließend vollzogen worden". Dass die Gerichtsentscheidung über das Fortbestehen des Abschiebungsverbots den Behörden erst bekanntgegeben sei als die Abschiebung bereits in Gang gesetzt worden war, ist nach Ansicht des Gerichts die Schuld der Behörden. Diese hätten trotz mehrfacher Anfragen den Zeitpunkt der Abschiebung nicht bekanntgegeben.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAmf) habe im Gegenteil vor wenigen Tagen auf Anfrage mitgeteilt, dass ein ursprünglich für den 12. Juli geplanter Abschiebeflug wieder storniert worden sei, kritisierte Richter Wolfgang Thewes. Zugleich sei dem Gericht nicht mitgeteilt worden, dass am 13. Juli ein neuer Flug geplant war. "Hätten wir das gewusst, wäre der Beschluss selbstverständlich viel früher rausgegangen oder die Kammer hätte einen Zwischenbeschluss oder einen Stoppbeschluss erlassen", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Der Eindruck ist entstanden, dass der Rechtsstaat vorgeführt worden ist."
Sami A. selbst hatte sich bis zuletzt mit Rechtsmitteln gegen seine Abschiebung gewehrt. Er lebte mit seiner Frau und seinen Kindern in Bochum. Von den Behörden ist der 1976 geborene Mann als sogenannter Gefährder eingestuft. Gegen die Entscheidung des Gerichts steht den Beteiligten noch eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht offen.
Am Vormittag hatte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums die Rückführung und die Übergabe von Sami A. an die tunesischen Behörden bestätigt. Zuständig für alle Entscheidungen sei Nordrhein-Westfalen. Es habe aber einen engen Kontakt zwischen Bund und NRW gegeben. Auch hätten vier Bundespolizisten den Flug begleitet. Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich regelmäßig über den Fall habe in Kenntnis setzen lassen, sei am Freitag nach der Übergabe des Mannes in Tunesien über die Rückführung informiert worden. Seehofer hatte öffentlich erklärt, er wolle sich persönlich um den Fall kümmern.
Das nordrhein-westfälische Integrationsministerium teilte mit, am 11. Juli 2018 habe die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen die Abschiebungsandrohung für rechtmäßig erachtet. Auf Grundlage dieses Beschlusses sei die Rückführung nach Tunesien am Freitag vorgenommen worden. "Ein anderslautender Beschluss lag dem Ministerium zu diesem Zeitpunkt nicht vor."
Sami A. wird vorgeworfen, im Jahr 2000 eine militärische und ideologische Ausbildung in einem Lager der Al Kaida in Afghanistan absolviert und zeitweise zur Leibgarde von bin Laden gehört zu haben. Anschließend soll er sich in Deutschland als salafistischer Prediger betätigt haben. Sami A. hat die Vorwürfe bestritten.