- von Jan Schwartz und Ilona Wissenbach
Frankfurt (Reuters) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Autobossen wegen des Abgas-Skandals einen Rüffel erteilt.
Bei der Eröffnung der Automesse IAA in Frankfurt kritisierte sie am Donnerstag das "exzessive" Ausnutzen von Gesetzeslücken bei den Dieselabgasen. "Die Automobilindustrie muss das Vertrauen so schnell wie möglich zurückgewinnen", mahnte sie. Bei ihrem Rundgang über die Messe begrüßte Merkel die Chefs von Audi, BMW (DE:BMWG), Daimler (DE:DAIGn) oder Volkswagen (DE:VOWG) zwar freundlich und ließ sich technische Neuheiten interessiert erklären. Doch zugleich bemühte sie sich im Wahlkampf-Endspurt um Distanz zu der gebeutelten Branche. Schnappschüsse mit einer strahlend lächelnden Kanzlerin waren rar.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) gab sich reumütig. Die gravierenden Fehler bei Unternehmen der Branche hätten nicht passieren dürfen, sagte VDA-Chef Matthias Wissmann. "Wir sind uns bewusst, dass Vertrauen verloren gegangen ist, und dieses zurückzugewinnen ist unser oberstes Anliegen."
Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren war in den USA bekannt geworden, dass Volkswagen die Abgasreinigung von Millionen Dieselmotoren weltweit manipuliert hatte. Das war der Ausgangspunkt des größten Betrugsskandals in der Geschichte der Branche. Durch den trat zu Tage, dass bei Diesel-Pkw fast alle Autobauer die Grenzwerte für schädliches Stickoxid (NOx) auf der Straße deutlich überschritten.
Im Vorfeld der IAA hatte Merkel angekündigt, bei dem Stelldichein mit der Branche hart ins Gericht zu gehen. Nun äußerte sie in ihrer Rede aber auch Unterstützung für die mit mehr als 800.000 Beschäftigten größte deutsche Industrie. So wandte sich Merkel gegen eine Verdammung der Dieseltechnologie und plädierte für Übergangslösungen: "Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir auf Jahrzehnte noch Verbrennungsmotoren brauchen und gleichzeitig in neue Antriebstechnologie investieren." Spontanen Beifall erntete die Regierungschefin für ihre Forderung an die ausländischen Hersteller, sich an der von den deutschen Konzernen zugesagten Nachrüstung von Dieselautos per Software-Updates zu beteiligen. Einigkeit herrscht zwischen Industrie und Regierung auch darin, dass als Alternative nicht nur batteriebetriebene Elektroautos, wie sie auf der IAA angekündigt wurden, die Lösung sind. Auch Wasserstoffantrieb, synthetische Kraftstoffe oder Erdgas kämen in Frage, wie eine Expertengruppe beim Bundeswirtschaftsministerium laut Unterlagen diskutierte.
JAHRELANG WEGGESCHAUT?
Die Autoindustrie hält das Stickoxid-Problem mit der Nachrüstung jüngerer Diesel, den Abwrackprämien für alte Selbstzünder und den schadstoffärmeren Motoren in neuen Dieselwagen für erledigt. Nach ihrer Ansicht müsste das reichen, damit Grenzwerte für die Luftschadstoffe auch ohne Fahrverbote in Großstädten eingehalten werden. Viele Kommunen und Umweltschützer sind anderer Meinung. Der Bundestagswahlkampf befeuert die Kontroverse aktuell.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter nannte Merkels Forderung an die Autoindustrie unglaubwürdig, denn nicht nur die Branche habe Vertrauen verspielt, sondern auch die Bundesregierung selbst. Merkel habe jahrelang weggeschaut, CO2-Grenzwerte verwässert, Spritschlucker steuerlich gefördert und die Förderung emissionsfreier Autos verschlafen. Der Umweltverband VCD erklärte, der Schulterschluss zwischen Bundesregierung und Autoindustrie bleibe bestehen. Die Kanzlerin habe zwar Kritik geübt, aber keine stärkeren Anstrengungen wie eine Hardware-Nachrüstung von Dieselautos gefordert. Greenpeace bemängelte, dass viele Autobauer vor allem große Geländewagen und Limousinen mit Dieselmotor verkauften, während die angekündigten Elektroautos noch Jahre auf sich warten ließen.
RAUER TON
Manager wie Betriebsräte der Autoindustrie mahnten, über Verbrennungsmotoren und emissionsfreie Alternativen sachlich zu streiten. "Politik und Wirtschaft müssen die Transformation von Deutschlands Schlüsselindustrie gemeinsam gestalten. Zu Gunsten der Umwelt und der Arbeitnehmer", sagte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh auf der VW-Betriebsversammlung im Stammwerk Wolfsburg. Der Ton zwischen Autoindustrie und Regierung sei rau, erklärte der IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger, der am Dieselgipfel Anfang August in Berlin teilgenommen hatte. "Ich hoffe, dass allen Beteiligten klar ist, dass man die Krise und die Herausforderungen in der Zukunft nur gemeinsam bewältigen kann und dass man nach dem Wahlkampfgetöse zu einer Sachdebatte zurückfindet." Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche erklärte: "Ich hoffe, dass nach der Wahl sich die Diskussion etwas sachlicher entwickelt."