Frankfurt, 10. Mai (Reuters) - Die EU-Finanzminister haben am Wochenende einen Schutzschirm für hoch verschuldete Länder beschlossen. Zudem zeigte sich die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals bereit Staatsanleihen zu kaufen. Marktanalysten und Volkswirte äußerten sich dazu in ersten Reaktionen wie folgt:
MICHAEL DE MAN, ANALYST DER FXDIREKT BANK
"Mit dem Einstieg in die Haftungsgemeinschaft über 750 Milliarden Euro nimmt die Eurogruppe die Wackelkandidaten zunächst aus der Schusslinie. Doch nun wird die Fiskalpolitik der gesamten Eurozone unter die Lupe genommen werden. Hier wird sich sehr bald die Erkenntnis durchsetzen, dass die Eurozone als Ganzes überfordert wäre, jedem notleidenden Mitgliedstaat zu helfen. Das Hilfspaket wird nun dazu führen, dass die Last der Haushaltsdefizite nicht mehr von einzelnen Staaten, sondern von der gesamten Eurogruppe und damit vom Euro getragen wird, wodurch der Euro weiter unter Druck bleibt."
FOLKER HELLMEYER, CHEF-ANALYST DER BREMER LANDESBANK
"Die EZB verschafft sich den Spielraum, den sie im Vergleich zu Fed und BoE oder BoJ bisher nicht in Anspruch nahm. Bezüglich der Abwehr systemischer und vor allen Dingen in dieser Form sachlich nicht angemessener Attacken ist dieser Preis, der hier gezahlt wird nicht nur vertretbar, er ist zwingend erforderlich."
"Fraglos ist damit ein Stück weit die Debatte eröffnet, wie unabhängig die EZB ist. Bei dieser Fragestellung ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei einem (durch unfundierte Spekulation ausgelösten) Hausbrand das sofortige Löschen hilft und nicht eine Debatte über den ordnungspolitischen Rahmen, wie ein Löschvorgang aussehen könnte..."
CHARLES DIEBEL, CHEF-ZINSSTRATEGE VON NOMURA
"Die Überschriften sind alle sehr beeindruckend, aber die Fragen sind: 'Ist es durchführbar?' und 'Wie wird es finanziert?'"
MARCO ANNUNZIATA, CHEFVOLKSWIRT UNICREDIT GROUP
"Das ist tatsächliche eine überwältigende Macht, die mehr als hinreichend ist um die Märkte in der nächsten Zeit zu stabilisieren, Panik zu verhindern und das Risiko einer Ansteckung einzudämmen. (..) Die Regierungen der Euro-Zone müssen sich noch über die Stärkung der institutionellen Regeln der Zone einigen."
BERNHARD ESSER, VOLKSWIRT BEI HSBC TRINKAUS
"Zwar bleiben die strukturellen Probleme in einigen Ländern der Euro-Zone weiter bestehen, ohne das am Wochenende auf den Weg gebrachte Rettungspaket wäre ein Angehen dieser Probleme mit Blick auf die Verzerrungen an den Finanzmärkten aber kaum mehr möglich gewesen. Insofern stellt das Paket in unseren Augen zumindest kurzfristig einen Befreiungsschlag dar."
JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK
"Die Märkte sollten positiv reagieren, auch wenn die Euro-Zone sich von einer durch den Maastricht-Vertrag charakterisierten Währungsunion zu einer Transferunion gewandelt hat."
MICHAEL HEISE, CHEFVOLKSWIRT DER ALLIANZ
"Die Entschiedenheit, mit der sich die europäische Wirtschaftspolitik mit dem beschlossenen Rettungsschirm der in hohem Maße spekulativen Entwicklung an den Finanzmärkten entgegenstellt, ist zu begrüßen. Zunehmend drohte die Schuldenkrise Griechenlands zu einer Krise des Euro zu werden mit unabsehbaren Folgen für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Aus ordnungspolitischer Sicht sind mit dem Maßnahmenpaket eine Vielzahl von Risiken verbunden, angesichts der potenziellen Folgen eines Nichthandelns ist die Entscheidung unter dem Aspekt der Güterabwägung aber vertretbar. (...) Ist der Wille zu finanzpolitischer Disziplin in der EU klarer als bisher ersichtlich, wird auch in den Märkten das Vertrauen in den Euro dauerhaft wiederkehren."
JÜRGEN MICHELS, VOLKSWIRT BEI CITIGROUP
"Das Paket signalisiert, die europäischen Entscheidungsträger (die Deutschen eingeschlossen) haben realisiert, dass die Stabilität der Währungsunion gefährdet ist. Im Gegensatz zu den vorherigen Maßnahmen in der Staatsschuldenkrise sind diese Maßnahmen mutig und umfangreich. (...) Unsicherheiten über die Umsetzung bleiben jedoch bestehen. Die neue EU-Kommissions-Fazilität erfordert die Zustimmung aller 27 Regierungschefs und könnte eine parlamentarische Zustimmung erfordern."
ANALYSTEN DER ROYAL BANK OF SCOTLAND IN EINEM KOMMENTAR
"Durch die Eingriffe der EZB werden sicher das Mandat und die Unabhängigkeit der Notenbank infrage gestellt. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Maßnahmen notwendig sind, um den Teufelskreis, der zunehmend die Weltwirtschaft bedroht, zu durchbrechen."
KLAUS WIENER, ANALYST BEI GENERALI INVESTMENTS
"Die EU hat eine maßgebliche Entscheidung getroffen, um die spekulative Attacke gegen den Euro auszumerzen. Das sollte hinreichend sein, etwas Ruhe in den Markt zu bringen. Was getan wurde, ist spürbar. Es ist eine sehr starke Botschaft an den Markt, dass man einen Fall des Euro nicht zulassen will."
RALF UMLAUF, MARKTANALYST DER HELABA
"Nach der panikartigen Zuspitzung der Euro-Peripherie-Krise bleibt nur zu hoffen, dass nach dem Beschluss des gigantischen Rettungsschirmes zur Unterstützung des Euro in der neuen Woche wieder etwas mehr Beruhigung und Besonnenheit an den Märkten einkehrt." (...) "Ist dies die Trendwende? Die Märkte scheinen sich zumindest auf kurze Sicht beruhigt zu haben."
LUTZ KARPOWITZ, DEVISENSTRATEGE DER COMMERZBANK
"Mit dem Kauf von Staatsanleihen (...) kann die EZB die Ansteckungsgefahren für weitere Länder (insbesondere Portugal und Griechenland) zunächst effektiv bekämpfen. Der mit dieser Maßnahme verbundene Reputationsverlust der EZB sollte dabei nicht außeracht gelassen werden, dürfte den Euro aber erst in der Zukunft belasten."
HEINO RULAND, MARKTANALYST VON RULAND RESEARCH
"Dies ist der Beginn einer 'Umverteilung-von-Einkommen'-Gesellschaft, welche erfolgreiche Volkswirtschaften der Region schwächt und die Volkswirtschaften stützt, die nicht in einer Position sind, die Konsequenzen aus dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion zu tragen. Das wird das Wachstum in der gesamten Region auf längere Sicht schwächen, insbesondere weil die Interessen von nüchtern handelnden Wirtschaften wie Österreich, Belgien, Finnland, den Niederlanden, Luxemburg und Deutschland bei der Auflegung des EU-Hilfspaketes ignoriert wurden. Auf sehr kurze Sicht wird es helfen, die Risikoaufschläge gegenüber Bundesanleihen zu senken bei den Volkswirtschaften, die in den vergangenen Wochen und Monaten schlimm gelitten hatten. Die kurzfristigen Wirkungen wurden bereits sichtbar im asiatischen Handel."
MASAFUMI YAMAMOTO, DEVISENSTRATEGE VON BARCLAYS CAPITAL
"Das sieht nach Notlösungen aus zur Behandlung von Symptomen. Das ist nicht die Art von Maßnahmen, mit denen die Probleme an der Wurzel gepackt werden."
JAMES NIXON, ANALYST VON SOCIETE GENERALE
"Die überraschendste Entwicklung ist die Ankündigung, dass die EZB in den privaten und öffentlichen Kreditmarkt eingreifen wird, aber jede Intervention sterilisieren will. Das stoppt kurz vor dem Quantitative Easing und sieht eher danach aus, als ziele es auf den Kauf von Anleihen aus Peripherie-Staaten, wenn die EZB entscheidet, dass die Rendite zu hoch ist."
(zusammengestellt von Stefan Schaaf und Hakan Ersen; redigiert von Georg Merziger)