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Flucht nach vorn - Volkswagen und die Elektromobilität

Veröffentlicht am 27.12.2018, 12:06
© Reuters. The 88th Geneva International Motor Show
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- von Jan C. Schwartz und Edward Taylor

Hamburg (Reuters) - Es ist eine große Wette auf die Zukunft: Volkswagen (DE:VOWG) setzt wie kein anderer Massenhersteller auf die Elektromobilität.

Als Erster in der Autobranche legt sich der Konzern sogar auf einen Zeitpunkt für den Abschied vom Verbrennungsmotor fest - nicht zuletzt mit dem Argument, der fortschreitende Klimawandel sei anders nicht aufzuhalten. So revolutionär die Ankündigung des Wolfsburger Dieselsünders auch klingen mag, den Anstoß dafür gab die größte Krise, die der Konzern je erlebt hat: Denn nach dem Bekanntwerden der millionenfachen Abgasmanipulation vor gut drei Jahren stand Volkswagen mit dem Rücken zur Wand. Der Imageschaden war gewaltig und hält bis heute an. Während viele Rivalen weltweit an alternativen Antrieben tüfteln, drohte Volkswagen, sich in einer teuren Vergangenheitsbewältigung zu verlieren.

Im Schwenk in die Elektromobilität sehen die Verantwortlichen nun die Chance, das Blatt zu wenden. Aber das ist nicht ohne Risiko, mahnen Experten. Denn niemand vermag abzusehen, wann sich die Kundschaft in Massen rein batteriegetriebene Fahrzeuge in die Garage stellt.

DIE "STUNDE NULL"

Als die Vorstandsrunde um den damaligen VW-Markenchef Herbert Diess am 10. Oktober 2015 im Gästehaus Rothehof in Wolfsburg zusammenkommt, um den Kurs für die nächsten Jahre zu diskutieren, steckt ihnen der Schreck des Dieselskandals in den Gliedern. Seit dem Rücktritt des langjährigen Konzernchefs Martin Winterkorn sind da gerade 18 Tage vergangen. Heute ist klar, dass das Management damals nicht nur Wunden leckte, sondern bereits am radikalen Strategieschwenk bastelte. Nicht wenige in Wolfsburg glauben, dass Diess mit der Neuausrichtung der Hauptmarke seinen späteren Aufstieg an die Konzernspitze ebnete. Während sich Winterkorn noch vehement gegen E-Autos stemmte, lenkt Diess - seit April 2018 auch Konzernchef - die gesamte Gruppe in genau diese Richtung um.

"Wir haben praktisch eine Art Initialplanung gemacht, um nicht mehr nur mit 'E' zu spielen", schildert VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann die Beratungen von damals im Gespräch mit Reuters. An jenem Samstag sei auch die Idee für den Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) gereift, auf dem in einer ersten Welle einmal bis zu 15 Millionen Elektroautos entstehen sollen. Drei Tage später gab der neu konstituierte VW-Markenvorstand die Entwicklung des MEB bekannt.

"Wir haben uns damals gefragt: was ist unsere Überzeugung für die Zukunft der Marke? Damit ist alles verbunden, was Sie bis heute sehen." Die jüngsten Entscheidungen des Aufsichtsrats, das Passat-Werk in Emden bis 2022 zu einer E-Fabrik für Kleinwagen und Limousinen für mehrere Marken umzurüsten, wären ohne diesen Samstag so nie entstanden, erklärt Stackmann. "Wir wären gar nicht so weit gekommen." Auch der Plan, in Hannover neben Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben in Zukunft batteriegetriebene Wagen vom Band rollen zu lassen, rührt aus dieser ersten Phase. Hannover soll zudem eine wichtige Rolle bei der geplanten Zusammenarbeit mit dem US-Autobauer Ford spielen.

Der Entschluss, den Golf-Nachfolger I.D. (interner Arbeitstitel "Neo") in Zwickau zu bauen, wurde im Zukunftspakt mit dem Betriebsrat vor zwei Jahren gefasst. Dort läuft der Umbau der Montagelinien zu einer hochautomatisierten Fabrik für Elektroautos auf Hochtouren. Derzeit werden orange-farbene Roboterarme von Kuka (DE:KU2G) installiert. Wenn die Produktion 2022 umgestellt ist, sollen auch fahrerlose Transportsysteme eingesetzt werden, die Bauteile an die Bänder bringen, wo sie weitgehend automatisch zusammengebaut werden. Bereits Ende nächsten Jahres soll der erste I.D. vom Band laufen. Weitere Modelle folgen.

Auch in Anting und Foshan in China entstehen derzeit E-Auto-Werke, die nur wenige Monate nach dem Pilotwerk Zwickau im Jahr 2020 die Produktion aufnehmen sollen. In Nordamerika sollen ebenfalls Elektroautos gebaut werden, über den genauen Standort hat VW noch nicht entschieden.

ZWEIFEL IN DER BELEGSCHAFT

Befürchtungen bei den weltweit rund 660.000 Mitarbeitern, durch das hohe Tempo bei der Umstellung drohe ein massiver Arbeitsplatzabbau, versucht VW mit langen Beschäftigungsgarantien zu zerstreuen. Dennoch bleibt die Belegschaft skeptisch: "Das Vertrauen, dass die E-Mobilität beim Kunden ankommt, ist bei vielen nicht so hoch wie beim Unternehmen", sagt ein Angestellter. Auch Betriebsratschef Bernd Osterloh äußert sich verhalten. Bei der Prognose für ein Ende des Verbrennungsmotors gebe es noch eine Menge Fragezeichen: "Ladeinfrastruktur, Rohstoffverfügbarkeit und Rohstoffpreise sowie den Strommix, also regenerative Energie – um nur ein paar zu nennen", sagte er jüngst der Betriebsratszeitung "Mitbestimmen". Es stehe also noch gar nicht fest, ob der Verbrennungsmotor nicht "ein viel längeres Leben" haben werde. Darüber entscheide letztlich auch der Kunde.

Die Frage, wie das Management dazu kam, mitten in der Krise derart weitreichende Entscheidungen zu treffen, beantwortet Stackmann mit den Erschütterungen, die der Dieselskandal im Unternehmen auslöste. "Du denkst einen Tick freier und radikaler in solch einer Situation." Die millionenfache Abgasmanipulation hatte damals nicht nur dazu geführt, dass der bis dahin nahezu unangefochtene Winterkorn aus dem Amt gedrängt wurde. Die Aufarbeitung des Skandals hat Volkswagen inzwischen auch mehr als 28 Milliarden Euro gekostet - und ein Ende der Belastungen ist nicht abzusehen. Trotzdem ist der Konzern dank seiner Größe mit zwölf Marken und des robusten Geschäfts in der Lage, massiv in die Elektromobilität zu investieren: Der Aufsichtsrat hat gerade entschieden, in den nächsten fünf Jahren knapp 44 Milliarden Euro für die Entwicklung neuer E-Autos, das autonome Fahren, neue Mobilitätsdienste und die Digitalisierung auszugeben.

RAUS AUS DER NISCHE?

Nach Meinung von Experten geht der Konzern damit ein beträchtliches Risiko ein. Denn noch steckt die E-Mobilität in den Kinderschuhen. Ob die Akzeptanz bei den Kunden jemals die "Serienreife" erlangt, hängt auch davon ab, ob es ausreichend Ladestationen gibt und die Fahrzeuge erschwinglich werden. Bisher liegt der Marktanteil der Stromer weltweit noch im niedrigen einstelligen Prozentbereich, lediglich in Norwegen ist der Anteil an den Neuzulassungen dank staatlicher Subventionen hoch. Steigende Verkaufszahlen aber seien nur zu erreichen, wenn mehr große Hersteller in die Elektromobilität einstiegen, meint Autoprofessor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. General Motors (NYSE:GM) gehe zwar in diese Richtung. Auch Hyundai und Renault/Nissan hätten sich auf den Weg gemacht. Dagegen setze Toyota (T:7203) aber in sehr viel geringerem Ausmaß auf E-Autos. "So konsequent wie Volkswagen steuert keiner in die Elektromobilität um", betont Bratzel.

Selbst Kritiker zollen Volkswagen Respekt: "VW ist der erste große Automobilhersteller, der zugibt, dass das Ende des Verbrennungsmotors in Sicht ist", erklärt Greenpeace-Aktivistin Rosie Rogers. "Es sind vorerst nur Worte, aber es ist ein bisschen so, als ob Saudi-Arabien das Ende des Ölzeitalters voraussagen würde."

Die Niedersachsen selbst begründen den Schwenk mit dem Zwang zur Einhaltung der CO2-Ziele. Wegen der von den EU-Institutionen vor Weihnachten festgelegten, deutlich strengeren Grenzwerte für Neuwagen will Volkswagen nun als erster großer Autobauer seine Elektrostrategie noch verschärfen. Das bereits beschlossene Umbauprogramm reiche nicht aus, erklärte Vorstandschef Herbert Diess vor wenigen Tagen. "Durch die aktuelle Beschlusslage ist eine Überarbeitung unserer Planung erforderlich." Das solle im Herbst 2019 geschehen. Für VW bedeute das verschärfte Flottenziel von 37,5 Prozent, dass im Jahr 2030 der Anteil von Elektroautos in Europa bei über 40 Prozent liegen müsse. Dazu wäre es nötig, das Produktangebot zu überarbeiten und eventuell weitere Verbrenner-Modelle zu streichen. Auch ein Umbau der Werksstrukturen und zusätzliche Batteriezellen- und Batteriefabriken wären erforderlich.

Der neue Chief Operating Officer der Marke VW, Ralf Brandstätter, erläuterte jüngst, Volkswagen habe anfangs versucht, Autos auf Basis des bisherigen Baukastensystems (MQB) zu elektrifizieren. Davon sei man aber abgekommen, weil diese nicht wettbewerbsfähig seien - zu teuer, nicht alltagstauglich. Also habe man sich entschieden, einen eigenen Baukasten für E-Autos zu entwickeln - den MEB. Nur durch die Standardisierung bei hohen Stückzahlen ist VW in der Lage, demnächst ein Elektroauto zum Preis von unter 20.000 Euro anzubieten, um den aufstrebenden US-Elektrobauer Tesla (NASDAQ:TSLA) in einigen Jahren zu überflügeln.

DIE "SCHOKOLADENTECHNIK"

Auch die Idee, Batteriezellen im Fahrzeugboden wie bei einer Schokoladentafel in Riegeln - daher stammt der Name "Schokoladentechnik" - anzuordnen, habe ihren Ursprung in den Beratungen im Rothehof, erläutert Stackmann. Diese Technik ermöglicht eine höhere Energiedichte und damit eine größere Reichweite. Die Technik des Elektro-Baukastens erlaubt es VW, die neuen Elektroautos der I.D.-Familie mit einer Reichweite zwischen 400 und 600 Kilometer auf die Straße zu bringen. Zum Vergleich: Der E-Golf etwa kommt mit herkömmlichem Akku nur halb so weit.

Die strengeren CO2-Ziele in der EU gaben den letzten Anstoß, dass VW nun alles in diese Richtung lenkt. Klar sei, dass die neue Regulierung der E-Mobilität einen gewaltigen Schub verleihen werde, sagte Konzernchef Diess unlängst vor Zulieferern in Wolfsburg. "Die Hersteller werden ihre Flotten sehr viel schneller umstellen müssen als bisher angenommen." Gleichzeitig entstehe ein riesiger neuer Markt, vor allem für Batteriezellen, sagt Diess. Volkswagen liebäugelt zwar mit einer eigenen Batteriezellenfertigung, würde das Milliarden-Risiko aber gerne auf mehrere Schultern verteilen.

© Reuters. The 88th Geneva International Motor Show

"WENN WIR DAS NICHT SCHAFFEN, HABEN WIR EIN PROBLEM"

Die Wolfsburger gehen nun voran und bekennen sich öffentlich zum Pariser Klimaabkommen. Um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, müsse die gesamte Fahrzeugflotte ab dem Jahr 2050 CO2-neutral unterwegs sein, sagt Strategievorstand Michael Jost und fügt hinzu: "Was weit entfernt klingt, ist in Wahrheit sehr nah." Denn um dieses Ziel zu erreichen, dürften schon ab etwa 2040 nur noch klimaneutrale Autos verkauft werden, da die Erneuerung der Flotte etwa zehn Jahre dauere. "Das bedeutet, dass etwa 2033 der Produktionsstart für die letzten konventionellen Modelle ansteht." Bereits ab 2026 beginne die Nutzung der letzten Generation konventioneller Fahrzeugplattformen.

"Wenn wir das nicht schaffen, haben wir ein Problem", räumt ein hochrangiger VW-Manager ein. Er meint damit nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte Menschheit und das Leben auf der Erde. Von der hielt er während einer Präsentation zwei Grafiken hoch - einmal bei einer Erwärmung von zwei Grad und einmal bei vier Grad. Auf der zweiten Grafik waren große Teile des Globus wegen Überhitzung rot eingefärbt. "Entweder die Transformation gelingt, oder wir fahren keine Autos mehr."

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