- von Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Arbeitsminister Hubertus Heil hat eine Grundrente vorgeschlagen, die weit über den Koalitionsvertrag mit der Union hinausgeht.
Etwa 900 Euro solle sie für langjährige Beitragszahler betragen, kündigte der SPD-Politiker am Wochenende an. Der wichtigste Unterschied: Heil will auf eine Bedürftigkeitsprüfung verzichten, damit den Rentnern der Gang zum Sozialamt erspart bleibt. Dadurch steigen die Zahl der Betroffenen und die Kosten enorm: Von bis zu 15 Milliarden Euro jährlich geht das Ministerium in ersten Berechnungen nach Angaben aus der Koalition aus. Im Haushalt ist dafür bislang kein Geld vorgesehen.
WARUM MACHT HEIL SEINEN VORSCHLAG JETZT?
Über eine Grund- oder Mindestrente für langjährige Beitragszahler in der Rentenversicherung wird seit Jahren mit immer wieder neuen Konzepten diskutiert - bisher ohne Ergebnis. Grundsatz sollte dabei das sein, was Heil nun in der "Bild am Sonntag" erneut formulierte: "Jemand, der Jahrzehnte lang hart gearbeitet hat, hat das Recht, deutlich mehr zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet hat." In Heils Ministerium kam man nun zu dem Schluss, dass das im Koalitionsvertrag zugesicherte "regelmäßige Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs" nicht die Erwartungshaltung der Menschen an eine Anerkennung jahrzehntelanger Arbeit erfüllen könne. Durch eine Bedürftigkeitsprüfung bliebe den Menschen der Gang zum Sozialamt trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht erspart. Heil will daher auf eine Bedürftigkeitsprüfung verzichten.
WIE RECHNET SICH HEILS GRUNDRENTENMODELL?
Nach Heils Vorstellungen sollen Rentner, die Beitragszeiten von mindestens 35 Jahren in der Rentenversicherung aufweisen, so gestellt werden, als ob sie in ihrem Erwerbsleben für 80 Prozent eines Durchschnittslohns gearbeitet hätten. Wenn sie weniger verdient haben, soll die Rentenversicherung ihre Rentenansprüche auf 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr aufstocken. Eine Friseurin, die 40 Jahre auf Mindestlohnbasis gearbeitet habe, bekäme damit laut Heil statt 514 Euro künftig eine Rente von 961 Euro.
Um über die Runden zu kommen, benötigen Ältere derzeit im bundesweiten Durchschnitt laut Statistischem Bundesamt rund 800 Euro monatlich für die Lebenshaltung und ihre Wohnung. Ende 2017 waren rund 544.000 Menschen auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Das waren 3,2 Prozent aller im Rentenalter.
WAS KOSTET DAS GRUNDRENTENMODELL?
Von dem Grundrentenmodell könnten nach Heils Angaben drei bis vier Millionen Geringverdiener profitieren. "Wer immer nur Mindestlohn verdient hat, bekommt die höchste Aufwertung von 447 Euro", sagte Heil. Und er fügt hinzu: "Die Grundrente gilt nicht nur für die Neu-Rentner, sondern auch für die bisherigen Rentner." Dadurch schießen die Kosten in die Höhe. In Koalitionskreisen hieß es, dass in ersten Berechnungen des Arbeitsministeriums von Kosten in Höhe von 15 Milliarden Euro die Rede sei. Würde das Modell nur auf Neu-Rentner beschränkt, würden die Kosten den Angaben zufolge dagegen anfangs bei rund einer Milliarde Euro liegen und bis zum Jahr 2030 auf etwa acht Milliarden Euro steigen. Ein bisher von einer Arbeitsgruppe von Bund, Ländern, Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiertes Freibetragsmodell für etwa 130.000 Bezieher von Grundsicherung käme auf Kosten von etwa 200 Millionen Euro.
WAS VERSPRICHT SICH HEIL VON DER GRUNDRENTE?
Heil gilt als Politiker, der abwägt und reichlich überlegt, bevor er sich zu einem Vorstoß entschließt. Der 46-Jährige steht eher für Konsens als Konfrontation. Bei seinem Vorschlag für die Grundrente muss er mit Widerstand der Union und der Arbeitgeber rechnen. So sprach Steffen Kampeter von der Arbeitgeber-Bundesvereinigung von einem "Beitrag, um die Gerechtigkeit und langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung zu gefährden".
Heil kommt damit aber Forderungen aus der eigenen Partei und der Gewerkschaften nach, dass sich die Sozialdemokraten bei der sozialen Sicherung stärker vom Koalitionspartner absetzen müssten. "Die Grundidee ist SPD pur - wer gearbeitet hat, muss im Alter mehr haben als die Grundsicherung", attestierte SPD-Vizefraktionschefin Katja Mast ihrem Minister. Am kommenden Wochenende will die SPD auf einer Vorstandklausur Pflöcke setzen, auf welchen Gebieten sie in dieser Wahlperiode oder darüber hinaus mehr erreichen will als die Union. Die Grundrente dürfte dabei zur Sprache kommen.
Abgestimmt ist das Modell auch in der SPD nach Angaben aus Parteikreisen im Detail noch nicht. Finanzminister und SPD-Vize Olaf Scholz findet es laut Heil "richtig, eine vernünftige Grundrente einzuführen". Der Kassenwart der Bundesregierung hatte zuletzt stets deutlich gemacht, dass es für noch nicht vereinbarte Projekte im Etat keinen finanziellen Spielraum gebe.