- von Elizabeth Piper und Kylie MacLellan und Holger Hansen
London/Dublin (Reuters) - Die künftige Grenze zwischen dem EU-Mitgliedsstaat Irland und der britischen Provinz Nordirland bleibt größter Streitpunkt der Brexit-Verhandlungen.
Die britische Premierministerin Theresa May will den jüngsten Vorschlägen aus Brüssel zur Lösung der Irland-Frage nicht zustimmen. Das geht aus dem Manuskript einer Rede hervor, mit der die Regierungschefin am Montag im Londoner Parlament für ihren selbst in den eigenen Reihen heftig umstrittenen Brexit-Kurs werben will. Die Furcht vor einem Scheitern der Verhandlungen und einem ungeregelten Ausstieg treibt EU-Staaten und die Wirtschaft um. Bundesfinanzminister Olaf Scholz setzt nach eigenen Worten aber darauf, dass ein Brexit-Abkommen auf den letzten Metern doch noch gelingt.
Abgesehen von der Irland-Frage sei die Ausgestaltung des EU-Ausstiegs zu 95 Prozent geklärt, sagte May laut Redetext. "Die Form der Vereinbarung ist jetzt in den allermeisten Punkten klar." Ohne eine Einigung über Irland ist ein Abkommen insgesamt allerdings nicht möglich. Zwar sind beide Verhandlungsseiten an einer offenen Grenze interessiert. Schließlich ist sie eine zentrale Errungenschaft des Friedensvertrags von 1998 zur Beilegung des jahrzehntelangen Nordirland-Konflikts.
Doch da bislang nicht geklärt ist, wie nach dem Brexit der Personen- und Warenverkehr an der Grenze geregelt werden soll, verlangt die EU im Austrittsvertrag eine Absicherungsklausel. Nach diesem sogenannten "Backstop" würde das britische Nordirland zunächst Teil der EU-Zollunion bleiben. Darauf beharrte zuletzt der irische Außenminister Simon Coveney: "Es wird keine Ausstiegsvereinbarung ohne 'Backstop' geben, Ende der Geschichte", sagte Coveney laut der "Irish Times". Zuvor hatte der britische Brexit-Minister Dominic Raab gefordert, dass die EU ihre "Backstop"-Forderung aufgibt. Dann könnte Großbritannien die von der EU vorgeschlagene Verlängerung der Übergangsperiode nach dem Brexit im März 2019 akzeptieren.
Auch Scholz verwies zwar bei einer Diskussionsveranstaltung in Ludwigshafen auf die schwierigen Verhandlungen zwischen Brüssel und London. "Ich will trotzdem meinem Optimismus Ausdruck verleihen, dass wir das in letzter Minute irgendwie schaffen", sagte der Vizekanzler.
PHILIPS-CHEF: INDUSTRIE-DREHKREUZ UK GEFÄHRDET
Weil die Verhandlungen über einen geordneten Ausstieg haken, bereiten sich die EU-Staaten und viele Unternehmen längst auf einen harten Brexit vor - also ohne klare rechtliche Regeln für die künftigen Beziehungen. Dieses Szenario ist wegen der Ungewissheit aber in der Wirtschaft gefürchtet.
Am Montag warnte der Chef des niederländische Medizintechnik-Herstellers Philips (DE:PHI1), Frans van Houten, vor den Folgen eines nicht mehr reibungslosen Handels zwischen Großbritannien und der EU. "Grundsätzlich wäre die Rolle des Vereinigten Königreichs als Industrie-Drehkreuz für die ganze Welt gefährdet", sagte der Konzernchef.
Während etwas mehr als fünf Monate vor dem geplanten EU-Austritt um die Modalitäten gerungen wird, gibt es in Großbritannien weiter Widerstand gegen das Vorhaben insgesamt: Am Wochenende gingen in London Hunderttausende auf die Straße und forderten ein zweites Referendum über die EU-Mitgliedschaft. Das Votum für einen Ausstieg war bei der Volksabstimmung vor gut zwei Jahren überraschend gekommen und knapp ausgefallen.