Das Jahr 2022 war durch erhebliche Preisausschläge am Ölmarkt gekennzeichnet. Nordseeöl Brent beispielsweise begann das Jahr bei 83 USD pro Barrel und wird es voraussichtlich bei 80 USD beenden, dazwischen wurde es allerdings fast sechs Monate lang zu Preisen im dreistelligen Bereich gehandelt.
Geopolitische Ereignisse lösten zudem erhebliche Umwälzungen in den globalen Ölströmen für Produzenten und Verbraucher aus. So wurde beispielsweise russisches Öl, das ursprünglich für Europa bestimmt war, an neue Abnehmer in Asien umgeleitet. Europa musste sich daraufhin neue Öllieferungen mit längeren Transportzeiten und zu höheren Kosten suchen.
Nachfolgend habe ich die sechs für Ölhändler wichtigsten Entwicklungen am Ölmarkt im Jahr 2022 zusammengefasst:
1. Erneuerbare Energien können fossile Brennstoffe nicht ersetzen
Europa erlebte eine schwere Energiekrise, nachdem der alte Kontinent beschlossen hatte, russisches Erdgas und russisches Erdöl zu boykottieren. Auch wenn die Krise noch andauert, erkennen immer mehr Menschen, dass Solar- und Windenergie keine stabilen Stromquellen sein können.
Die Frage für 2023 ist, ob die Politiker, die den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren, die Fehler in ihren Plänen für die Energiewende endlich erkennen und korrigieren und dann dafür sorgen, dass den Konsumenten erschwingliche und zuverlässige Strom- und Wärmequellen gesichert zur Verfügung stehen.
2. Saudi-Arabien verfolgt seine eigenen Interessen
Trotz des massiven Drucks aus den USA weigerte sich die OPEC+, die Ölproduktion zu erhöhen, um die hohen Ölpreise nach unten zu drücken. Die Lehre für Händler ist, dass Saudi-Arabien im Konfliktfall seine eigenen Interessen und nicht die der Vereinigten Staaten verfolgt.
Saudi-Arabien und seine Bündnispartner der OPEC+ hatten lange unter den niedrigen Ölpreisen gelitten. Jetzt halten sie die Preise hoch und profitieren davon. Gelungen ist ihnen das durch die Drosselung der Produktion, auch wenn das den Politikern und Verbrauchern in den USA nicht gefällt.
3. Die OPEC kann nicht helfen
Jahrelang niedrige Ölpreise machten den OPEC+-Produzenten zu schaffen, und viele von ihnen sind mit einem erheblichen Kapazitätsabbau konfrontiert. Die meisten Produzenten der OPEC+ können nicht in dem Umfang fördern, den ihre Förderquoten zulassen, so dass diese nicht die tatsächlich am Markt befindliche Menge an OPEC+-Öl entsprechen.
Das heißt, dass die OPEC+-Erzeuger - mit Ausnahme des Irak, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate - ihre Produktion nicht einfach erhöhen können, um die Preise zu drücken. Das bedeutet auch, dass bei einer Drosselung oder Erhöhung der Förderquoten durch die OPEC+ nur ein Bruchteil des Öls auf den Markt gelangt oder den Markt enger werden lässt.
4. Die Vereinigten Staaten sind kein Swing-Produzent
Die US-amerikanischen Ölproduzenten können nicht mehr um jeden Preis auf Wachstum setzen. Eine Produktionssteigerung ist zeitaufwändiger als in den Jahren 2016 und 2017. Die US-Ölindustrie war noch nie ein echter Swing-Produzent auf dem globalen Ölmarkt. Der Grund: weder ist die dortige Ölbranche geeint noch handelt sie einheitlich. Selbst 2022 reagierten die US-Förderer nur zögerlich auf die gestiegenen Ölpreise.
Die US-Fördermenge erreichte trotz mehrerer Monate mit dreistelligen Preisen im Frühjahr und Sommer erst im August 11,98 Mio. bpd. Händler sollten von nun an mit einem langsameren Produktionswachstum bei der US-Schieferindustrie rechnen.
5. Die Ölnachfrage aus China ist entscheidend
Während die Weltwirtschaft wieder zu einer Ölnachfrage auf dem Niveau vor der Pandemie zurückkehrte, hielt China an seiner Null-COVID-Politik fest, was die Ölnachfrage dort dämpfte. Dies trug dazu bei, dass die globale Nachfrage das Angebot im Jahr 2022 nicht überstieg.
Selbst wenn China diese Politik jetzt lockert, sollten Händler nicht damit rechnen, dass die chinesische Ölnachfrage plötzlich wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Die chinesische Wirtschaft und damit auch die Ölnachfrage werden von der Kommunistische Partei Chinas kontrolliert und folgen nicht unbedingt den gleichen Mustern wie in anderen Ländern, in denen die Wirtschaftstätigkeit nicht zentral gesteuert wird.
6. Schwellenländer freuen sich über russisches Öl
Durch Sanktionen und eine schlecht durchdachte Preisobergrenze haben Europa und die USA den Versuch unternommen, die russischen Öleinnahmen zu begrenzen. Diese Politik führte zu Umwälzungen in den globalen Ölströmen, konnte aber den Zugang Russlands zu neuen Märkten nicht verhindern.
Russisches Öl, das früher nach Europa ging, fließt nun eben nach Indien - ein völlig neuer Markt für Russland. China hat seine Käufe von russischem Öl gesteigert. Und Europa? Das kauft jetzt mehr Öl aus dem Nahen Osten.
Selbst wenn Europa und Russland ihre Probleme irgendwann lösen und ihren Ölhandel wieder aufnehmen, wird russisches Öl wahrscheinlich weiterhin nach Indien und in andere neue Märkte fließen. Händler sollten erkennen, dass sich die Ölströme schneller als erwartet verschoben haben und dass die Störungen des Marktes relativ kurz waren.
Offenlegung: Der Autor ist derzeit in keinen der in diesem Artikel genannten Anlagen investiert.