Ich bin mal sehr gespannt, ob tatsächlich am morgigen Freitag die ersten Gefängniswärter in den USA in den Zwangsurlaub geschickt werden und das Sicherheitspersonal den Flughäfen fernbleibt, weil es nicht mehr bezahlt werden kann. Die Folgen aus Letzterem haben selbst wir in Deutschland in den vergangenen Wochen schon zu spüren bekommen, als die größten Flughäfen der Republik durch Streiks lahm gelegt wurden. Aber auch mit zweistündiger Verspätung ging das Leben am Ende weiter und kein Ökonom befürchtete tatsächlich gravierende Auswirkungen auf die deutsche Gesamtwirtschaft.
Auch könnte man auf den ersten Blick meinen, dass die Tatsache, dass die Hälfte der für das laufende Jahr drohenden Einsparungen von 85 Milliarden US-Dollar (rund 65 Milliarden Euro) auf das Militär entfällt, wäre für den Weltfrieden eine durchaus begrüßenswerte Option. Aber das ist sicherlich zu kurz gedacht und würde der Brisanz des Themas sicherlich nicht gerecht. Wirklich?
Wäre das Thema tatsächlich für die beteiligten Politiker so brisant, hätten sie dann ihr Treffen erst für den Freitag, also den Tag geplant, an dem die ersten Beamten ihr Büro schon wieder kurz nach dem Betreten desselbigen verlassen müssten? Wir kennen dieses „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Spiel ja schon aus dem Dezember, wo auch in letzter Minute noch ein Kompromiss verabschiedet wurde, der zumindest das Schlimmste verhindert hat. Was wurde auch da im Vorfeld gewarnt, wie viel Prozentpunkte diese automatischen Ausgabenkürzungen gepaart mit Steuererhöhungen das Wachstum kosten könnten, sogar von einer erneuten Rezession war die Rede. Letzteres scheint zumindest abgehakt, denn geht man von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von zwei Prozent für dieses Jahr aus, dürfte selbst eine in vollem Umfang zündende „Sparbombe“ nicht das komplette Wachstum zunichtemachen.
Die 85 Milliarden US-Dollar mal auf den Tag heruntergebrochen, drohen selbst im schlimmsten Fall, Demokraten und Republikaner würden sich erst kurz vor Beginn der Frühjahrsferien im Kongress am 22. März einigen, Einsparungen von sechs Milliarden Euro, welche gerade einmal 0,04% des gesamten BIPs der USA entsprechen. Zusätzlich werden nicht alle Maßnahmen sofort ausgabenwirksam, so dass diese Zahl eher noch kleiner ausfällt.
Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit: Die Einsparungen könnten sogar länger in Kraft bleiben, sofern der Aufschrei aus der Bevölkerung ausbleibt. Durch geschickte Umverteilung der Mittel innerhalb der einzelnen Behörden könnten sich die Auswirkungen tatsächlich in Grenzen halten. Und sinnvolles Sparen hat noch keinem Land geschadet. Warum soll es auch den Amerikanern anders gehen als den Krisenländern der Eurozone, die in den vergangenen Monaten eine ähnliche fiskalische Klippe hinabstürzen, nur das hier in vielen Fällen das diese Einschnitte auffangende Wachstum völlig fehlt.
Schafft die USA dagegen in den nächsten Jahren vielleicht sogar eine Rückkehr zu drei oder gar vier Prozent Wachstum, würden sich viele der Sparmaßnahmen, aber auch der angestrebten Steuererhöhungen sehr positiv auf die notwendige Haushaltskonsolidierung und den Abbau der hohen Verschuldung auswirken und wären im Nachhinein durchaus als sinnvoll anzusehen.
Apropos Verschuldung: Das ist das eigentliche Thema, mit welchem sich die Amerikaner befassen müssen. Ende 2012 wurde die Grenze von 16,4 Billionen US-Dollar erreicht, die Frist zu Anhebung über den Jahreswechsel bis Mitte Mai 2013 verlängert. Sollte es bis dahin nicht gelingen, eine Einigung im Kongress über die Anhebung dieser Schuldengrenze zu finden, wäre die USA als Staat zahlungsunfähig und müsste ihre Behörden schließen. Dazu wird es aber nicht kommen. Stattdessen werden sich beide Lager noch im Laufe der nächsten Woche, wenn nicht gar schon am morgigen Freitag, auf einen Kompromiss einigen, der weitere Ausgabenkürzungen in bestimmten Bereichen vorsieht.
Spannend bleibt die Diskussion um die Schuldenobergrenze. Die Republikaner wollen einer Anhebung nur zustimmen, wenn mindestens in gleicher Höhe die Ausgaben reduziert werden. Eine in meinen Augen nicht unvernünftige Position, um die es sich lohnt zu kämpfen, aber sie werden wohl gleichzeitig einigen Steuererhöhungen zustimmen müssen. Denn aktuell sind es die Republikaner, die bei den Wählern in Ungnade gefallen sind und es sich nicht leisten können, noch mehr Terrain zu verlieren. Obama dagegen sitzt fester denn je im Sattel und kann sich eher dem Rückhalt in der Bevölkerung sicher sein. Am Ende wird es wie in den hierzulande bekannten Tarifverhandlungen laufen. Man wird sich irgendwo in der Mitte so einigen, dass beide Seiten erhobenen Hauptes aus den Verhandlungen im Anschluss vor die versammelte Presse treten können.
Dieses Ergebnis ist auch, wie es immer so schön heißt, längst in den Börsenkursen eingepreist. Gestern schloss der Dow Jones auf einem Fünf-Jahres-Hoch, nicht einmal 48 Stunden vor einer möglichen Explosion der tickenden „Sparbombe“. Vielleicht ist es aber genau dieses Thema, was die Euphorie an den Märkten zumindest davor bewahrt, dass sie schon wieder gefährlich werden könnte. Denn aktuell ist es eine ganz andere Klippe, die die Investoren umschiffen müssen. Sie müssen aus den Anleihen, die jetzt schon, aber auch in Zukunft keine realen Zinsen mehr bringen, mehr und mehr in Aktien umschichten und das wird die Kurse weiter treiben. Und es wundert mich auch nicht, dass der DAX dem Dow Jones in den vergangenen Wochen etwas hinterher hinkt. Das Thema „Fiscal cliff“ verliert auch mehr und mehr an Brisanz, umso besser die Konjunkturdaten ausfallen. Und da haben in den letzten Tagen gerade die Nachrichten vom Immobilienmarkt und zur Verbraucherstimmung überzeugt, den zwei wichtigsten Säulen der amerikanischen Wirtschaft.