Auch auf die Gefahr hin, fünf Euro ins Phrasenschwein werfen zu müssen: Aktienkurse sind keine Einbahnstraßen. Nicht nach unten, aber eben auch nicht nach oben. Eigentlich hätte man in den letzten Wochen einen anderen Eindruck gewinnen können. Denn seit seinem Tief im Oktober 2014 bis März 2015 war der DAX auf Autopilot gestellt. In einer kaum unterbrochenen Aufwärtsbewegung hat er seitdem um knapp 40 Prozent zugelegt. Dynamischer war seine Entwicklung nur einmal: Von Oktober 1999 bis März 2000 - interessanterweise also im gleichen Jahreszeitraum - waren es sogar deutlich über 50 Prozent Kurszuwachs.
Solche Gipfelstürmereien schreien doch geradezu nach einer dramatischen Korrektur, meint der ein oder andere Crashprophet. Was könnten die Auslöser dafür sein? China? Ja, das Wachstum im Reich der Mitte kommt nicht mehr mit Schmackes daher. Also Schluss mit der asiatischen Sorgenpause für die deutsche Industrie? Ohne Frage, China ist ein bedeutender Abnehmer deutscher Produkte. Aber offensichtlich nicht der einzige. Denn Deutschland hat 2014 fast den höchsten Exportanteil an der Wirtschaftsleistung erzielt. Das geht nicht nur im Handel mit China. Deutsche Produkte sind weltweit everybody’s darling.
Sicherlich hat der zuletzt wieder etwas aufwertende Euro den typischen Anlegerreflex „Starker Euro = schwache Exportaktien“ bedient. Aber wenn gilt „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, dann gilt umgekehrt auch „Ein paar Schwalben weniger machen noch keinen Winter“: Gegenüber den bedeutendsten Handelswährungen hat der Euro seit 2009 so dramatisch abgewertet, dass eine begrenzte Gegenbewegung das längerfristige Szenario eines im Trend weiter abwertenden Euro zur Freude der Exportindustrie nicht ändert. Denn das Beispiel der Bank of Japan zeigt, dass die Liquiditätsschwemme einer Notenbank die heimische Währung schwächt. Und genau damit hat jetzt auch die EZB begonnen.
Das kann doch einen Aktienmarkt nicht erschüttern
So sehr sich das der ein oder andere apokalyptische Reiter auch wünschen mag, ich glaube nicht, dass Zwischenkorrekturen die Ouvertüre zu einem dicken Aktiencrash wie in der Vergangenheit sind. Dazu müsste es - frei wie im Märchen „Tischlein deck dich“ - heißen: Zins-Knüppel aus dem Sack. So hat man früher Aktienhaussen zertrümmert. Als die US-Notenbank so richtig den Zinshobel ansetzte, hatten die Dotcom- und Immobilienblase keine Überlebenschance.
Insbesondere der Zinserhöhungsrausch von Ben Bernanke, der die US-Leitzinsen im Zeitraum von 2004 bis 2006 von einem auf 5,25 Prozent erhöhte, ließ die Aktien nachfolgend dramatisch einbrechen. Und was zum Schluss mit der Weltwirtschaft passierte, haben wir alle noch in bester Erinnerung: Pleiten, Pech und Pannen. Dieses Horrorszenario würde sich nur wiederholen, wenn die aktuelle Fed-Chefin Janet Yellen eine zutiefst destruktive, sadistische Ader hätte. Hat sie aber nicht, sie hat eher Mutti-Qualitäten. Sollte sie in diesem Jahr die Leitzinsen auf 0,75 Prozent anheben - was aus meiner Sicht das Maximum wäre - gibt es keinen Grund, warum sich die finstere Aktienhistorie wiederholen sollte.
Und wenn man Frau Yellen als Mutti bezeichnet, dann stellt EZB-Präsident Mario Draghi so etwas wie Mutter Theresa dar. Seine mittlerweile tatsächlich stattfindende Druckbetankung über Anleiheaufkäufe ist die Lebensversicherung für die Aktienmärkte.
Notenbankgeld lässt den Fundamentalismus wiederauferstehen
„Alles heiße Luft“ mag der ein oder andere jetzt einwenden. Mit normaler Geldpolitik wie damals bei der Deutschen Bundesbank hat es nichts mehr zu tun. Ja, aber die Anleger müssen sich pragmatisch auf die unnormale, neue Euro-Finanzwelt einstellen. Neu ist es auch, dass sich die EZB beherzt um die Beilegung der Euro-Konjunkturkrise kümmert. Der „Kümmerer“ Draghi will mit viel und billigem Geld sowie einem „Draghi-sch“ gedrückten Euro die eurozonale Wirtschaft düngen und die Deflation wie Unkraut rupfen. Und siehe da, es wirkt: Neben günstigen Energierohstoffen hat sich die konjunkturelle Stimmung in Deutschland aber auch in der Eurozone insgesamt schon merklich gebessert. Im weiteren Jahresverlauf ist mit weiteren positiven Überraschungen zu rechnen.
Und wenn sich - wovon auszugehen ist - die ifo Geschäftserwartungen im Trend weiter stabilisieren, dann klappt es auch immer besser mit dem Wachstum deutscher Unternehmensgewinne.
Das nenne ich die Kraft der zwei Herzen: Die Liquiditäts- und Konjunktur-Hausse im Doppelpack. Zum Jahresende steht der DAX über 12.000 Punkten
Sollen die apokalyptischen Reiter doch weiter nach dem schwarzen Schwan suchen.
Eine Konsolidierung ist noch lange kein Crash
Sicher, China und ein vorübergehend wiedererstarkender Euro sorgen ebenso für Konsolidierungspotenzial wie die geopolitischen Spannungen im arabischen Raum und um die Ukraine. Und auch das Gezerre um Griechenland im sozusagen musikalischen Spannungsfeld zwischen Andrea Bergs „Du hast mich tausendmal belogen“ und Nicoles „Ein bisschen Frieden“ kann Rücksetzer auslösen. Doch davor ist mir nicht bange: DER GREXIT wäre nicht nur auszuhalten, er wäre eine Erlösung für alle Beteiligten.
Ich wäre irritiert, wenn der DAX tatsächlich nur einbahnstraßenartig nach oben ginge. Zwischenzeitliche Konsolidierungen sind heilsam, sie beruhigen die Anlegernerven angesichts des Höhenrauschs der Aktienmärkte.
Bei Höhenangst bleiben regelmäßige Aktiensparpläne ein wirksames Mittel: Steigen die Kurse, ist man vermögender, sinken sie, erhält man für seinen Euro-Beitrag mehr Aktienanteil. Langfristig macht sich diese Anlagestrategie bezahlt. Leider gibt der deutsche Haushalt mehr Geld für Bananen als für Aktien aus. Im Sinne einer vernünftigen Altersvorsorge sollten uns aber mindestens Sparpläne so wichtig sein wie Südfrüchte. Zinsvermögen im jetzigen erbärmlichen Renditezustand, der sich auch zukünftig nicht bessern wird, ist dagegen keine Lösung. Hier kann man getrost von Fallobst sprechen.
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