Selten in der Geschichte der Konjunkturanalyse in den USA waren Rezessionsprognosen so zahlreich und breit gestreut wie heute. Umso erstaunlicher ist die anhaltende Robustheit der Wirtschaft, die sich den düsteren Erwartungen widersetzt. Es lauern reale und gegenwärtige Gefahren, die die derzeitigen Bedingungen schnell verändern könnten. Neue Zahlen, die diese Woche veröffentlicht wurden, bestätigen jedoch, dass das Rezessionsrisiko nach wie vor gering ist.
"Das US-Wirtschaftswachstum hat im Mai weiter an Schwung gewonnen", meint Chris Williamson, Chefvolkswirt bei S&P Global (NYSE:SPGI) Market Intelligence, und stützt sich dabei auf den in diesem Monat veröffentlichten US-PMI Composite-Index, ein umfragebasierter Indikator für das BIP. Das Stimmungsbarometer stieg auf 54,5 und damit auf ein 13-Monats-Hoch. Damit liegt er weiterhin klar über der Marke von 50 Punkte, die Expansion und Kontraktion voneinander trennt.
Ein Zeichen für die prekäre Natur der Expansion ist, dass praktisch die gesamte Stärke auf den Dienstleistungssektor zurückgeht. Im Gegensatz dazu "haben die Produzenten mit übervollen Lagern und einem Mangel an Neuaufträgen zu kämpfen, da die Ausgaben von Waren auf Dienstleistungen umgelenkt werden", erklärt Williamson.
Die unausgewogene Konjunktur stellt ein Risiko dar, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Verhandlungen über die Schuldenobergrenze wie ein Damoklesschwert über den USA hängen. Die Gefahr eines Staatsbankrotts rückt näher, vielleicht schon in der ersten Junihälfte. Doch wenn die Politiker in Washington in den kommenden Tagen eine Lösung finden, könnte sich die Wirtschaft als widerstandsfähiger erweisen, als die düsteren Prognosen der letzten Zeit vermuten lassen. Rick Rieder, Leiter der Rentenabteilung bei BlackRock (NYSE:BLK), sagt:
"Ich denke, die US-Wirtschaft ist in viel besserer Verfassung, als man ihr zutraut. Es gibt die These, dass es zu einer dramatischen Verlangsamung kommt. Wenn man die Zahlen genauer unter die Lupe nimmt, ist das einfach nicht zu erkennen."
Die jüngsten Prognosen für das BIP im zweiten Quartal stimmen mit Rieders Einschätzung überein. Wie CapitalSpectator.com letzte Woche berichtete, zeigt eine auf unseren Seiten zusammengestellte Medianprognose für die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal, die sich aus mehreren Schätzungen zusammensetzt, eine moderate Beschleunigung des Wachstums gegenüber dem schwachen Wachstumsclip des ersten Quartals.
Der US Business Cycle Risk Report berichtet seit über einem Monat über Anzeichen für eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit. Am 23. April hieß es in dem Newsletter, dass die Schätzungen einer eigenen Reihe von Konjunkturindikatoren bis Mai "darauf hindeuten, dass sich die Wirtschaftstätigkeit gefestigt hat, nachdem die Konjunkturabschwächung des letzten Jahres im Januar ihren Tiefpunkt erreicht hatte".
In der in dieser Woche an die Abonnenten versandten Ausgabe des Newsletters wird für die unmittelbare Zukunft, d. h. bis Juni, weiterhin ein robusteres Bild der Wirtschaftstätigkeit gezeichnet. Der US Business Cycle Risk Report wiederum weist darauf hin, dass seine wichtigste Schätzung des Echtzeit-Rezessionsrisikos - der Composite Recession Probability Index - nach wie vor ergibt, dass ein vom NBER definierter Abschwung vorerst unwahrscheinlich ist.
Natürlich gibt es einige Vorbehalte, aber eine Rezession hat mit ziemlicher Sicherheit noch nicht begonnen und wird (abgesehen von einem selbstverschuldeten Einbruch durch die Schuldenkrise) in nächster Zukunft wohl auch nicht eintreten. Kurzum, die USA weisen weiterhin eine mäßig starke Wachstumsdynamik auf. Es handelt sich um eine Expansion, sofern wir sie aufrechterhalten können. Die Entscheidungen, die in den kommenden Tagen in Washington getroffen werden, sind das Hauptrisiko für die ansonsten positiven Aussichten.