Zunächst zum Markt: Der DAX notiert da, wo er auch schon vor einigen Handelstagen gestanden hat. Diese Seitwärtsbewegung des DAX fängt so langsam an, die Anleger zu zermürben. Gestern steht die Zinssitzung der US-Notenbank im Blickpunkt der Anleger, die gespannt das entsprechende Statement erwarten. Im Vorfeld ist der Markt in seine übliche Hasenstarre übergegangen. Das ist typisch für die Phase vor der Fed-Zinsentscheidung und dem Statement.
Da das Ergebnis jedoch erst nach Veröffentlichung des Steffens Daily bekannt gegeben wird, kann ich gestern über ein ganz anderes Thema schreiben. Zum vorvorgestrigen Steffens Daily habe ich einige Mails erhalten, weswegen ich gestern gerne die Ursachen normaler Widerstände in einem Chart beschreiben möchte. Das spezielle Denken des Menschen
Zunächst einmal muss man sich darüber klar werden, dass der Mensch in „Räumen“ denkt. Stellt er sich die Unendlichkeit vor, stellt er sich einen riesigen Raum vor, hinter dem dann noch ein weiterer riesiger Raum existiert und so weiter. Das wichtigste Merkmal bei dieser Art zu denken ist, dass der Mensch immer irgendwo eine Art „Grenze“ zieht, ja ziehen muss. An diesen Grenzen ändert sich dann auch die Sprache: „weit weg, noch weiter weg, ganz weit weg“ oder „da vorne, da hinten, dahinter“, das kann man beliebig fortsetzen.
Da die menschlichen Gehirne weitaus weniger unterschiedlich sind, als man manches Mal meinen sollte, werden Menschen in ähnlichen Situationen auch ähnliche „Grenzen ziehen“.
Nun übertragen Sie das auf einen Chart: Auch dort werden solche Grenzen aufgrund dieser Art des menschlichen Denkens entstehen. Und im Chart sind diese dann als Widerstände zu erkennen. Allerdings brauchen die Beteiligten nicht einmal einen Chart sehen. Widerstände ohne Charts
Dazu ein Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie beobachten eine Kursentwicklung ohne einen Chart. Sie sehen lediglich den Ticker. Ihnen fällt aber unbewusst auf, dass der Kurs immer zwischen 20 und 23 Euro hin und her läuft. Relativ schnell werden in Ihrem Bewusstsein zwei Grenze entstehen - 20 Euro und 23 Euro. Ihre weiteren Entscheidungen werden damit beeinflusst. So könnten Sie sagen: „Hm, so lange es zwischen 20 und 23 Euro hin und her läuft, passiert nicht viel, aber wenn es ausbricht, dann wäre das eine Entscheidung!“ Auch das ist typisch menschliches Denken. Dieses Denken entsteht dabei völlig unabhängig davon, ob es sich hierbei um ein zufälliges oder chaotisches Modell handelt.
Nun ist die Börse kein chaotisches Modell. Hier handeln Menschen, deren ähnlich funktionierende Gehirne sich unter vergleichbaren Bedingungen quasi gleichschalten. Und genau so entstehen dann solche „Grenzen“, die tatsächlich eine statistische Relevanz im Chart haben und als Widerstände deutlich zu erkennen sind. Wie ein Widerstand entsteht
Auf der einen Seite kann es reiner Zufall sein, dass die Kurse kurzzeitig zwischen 20 und 23 Euro im erwähnten Beispiel pendeln. Doch meistens entstehen solche Entwicklungen anders. Stellen Sie vor, ein Anleger will eine große Position zu 23 Euro verkaufen. Ein anderer will eine große Position zu 20 Euro erwerben. Der eine legt eine große Verkaufsorder, der andere eine große Kauforder in den Markt. Wenn diese nur groß genug sind, reicht es aus, die Kurse genau in diesem Bereich zu halten und zwar so lange, bis die Positionen befriedigt sind. Oder mehre Anleger entscheiden sich unabhängig voneinander, bei 23 Euro zu verkaufen und dadurch entsteht eine große Gesamtverkaufsposition.
Solche Gründe sind der Anfang, der dazu führt, dass andere auf einmal diese „Grenzen“ wahrnehmen. Die Vertiefung der Widerstände
Wenn eine solche Grenze, wir nennen sie fortan Widerstand, entstanden ist, gibt es eine Vielzahl von weiteren Faktoren, die diese noch vertiefen. Stellen Sie sich vor, der Kurs hangelte sich aufgrund der großen Verkaufsorder eine Zeitlang an der 23 Euro-Marke entlang. Ein Anleger, der eigentlich zu 24 Euro verkaufen will, überlegt die ganze Zeit, ob er nun aussteigen oder noch warten soll. Dann fällt die Aktie auf 20 Euro zurück, etwas über dem Kaufkurs des Anlegers. Was denkt dieser Anleger jetzt? Genau: „Mist, hätte ich doch bei 23 Euro verkauft!“ Und was wird er tun, wenn die Aktien wieder an die 23 Euro steigen? Genau, verkaufen. Und das selbst dann, wenn diese ursprüngliche Verkaufsorder eines anderen, der die Kurse an dieser Marke begrenzt hat, gar nicht mehr besteht! Aber auch dieser Verkauf wird den Kurs beeinflussen, und wenn nun nur genügend Anleger ähnlich handeln, fällt der Kurs erneut – obwohl die anfängliche Verkaufsorder nicht mehr existiert. Der Widerstand hat sich verfestigt. Und erst dann kommen die Charttechniker
Erst dann treten die charttechnisch orientierten Anleger auf den Plan. Der Kurs ist in diesem Beispiel nun zwei Mal an der 23 Euro-Marke gescheitert. Und nun erkennt der Mensch aufgrund dieser wenige Anhaltspunkte (in diesem Fall zwei Auflagepunkte), dass da eine Linie entsteht.
Auch das ist eine typische Fähigkeit des Menschen, die durch die Evolution bedingt ist. Wenn ein Mensch in einem Gestrüpp eine unterbrochene Linie sieht, wird er diese Linie in seiner Vorstellung zu einer vollständigen Linie verbinden. Er wird also erkennen, dass da hinter den Blättern eine durchgehende Linie existiert. Und auch, wenn diese Linie nicht gerade ist, kann er die Konturen zusammenfügen. Nur so konnte der Mensch hinter Blättern verborgene Umrisse von Feind und Beute erkennen, und nicht lediglich seltsame geometrische Figuren. Da das überlebenswichtig war, hat sich diese Eigenschaft durchgesetzt.
Der Charttechniker sieht also, wenn er zwei oder mehrere Auflagepunkte erkennt, die Linie und wird sie dann auch einzeichnen. So sind die Widerstände in den Chart gekommen.
Und wenn sie erst einmal graphisch zu erkennen ist, hat sich die Marke oder der Widerstand so sehr in das Grenzen ziehende Bewusstsein der Menschen eingebrannt, dass sie tatsächlich existiert und so handelbare Wahrscheinlichkeiten entstehen. Und das oft sogar über viele Wochen, Monate und manchmal auch Jahre.
Das sind die grundlegenden Faktoren, wie Widerstände entstehen und warum sie tatsächlich eine so hohe Bedeutung in der Charttechnik, aber auch beim ganz normalen Traden, haben. Daneben gibt es noch eine Vielzahl weiterer Faktoren, die solche Widerstände entstehen lassen, aber das würde natürlich hier zu weit führen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Einstieg in den Mai
Viele Grüße
Ihr
Jochen Steffens