Deutschlands Wirtschaft schaut trüben Zeiten entgegen. Laut des Ifo-Geschäftsklimas sind die Chefs von Deutschlands Firmen pessimistisch, was den Ausblick auf die Wirtschaft angeht. Dem Ifo-Institut zufolge fiel das Geschäftsklima im Juni um 0,5 Punkte auf 97,4 Zähler – der niedrigste Stand seit knapp fünf Jahren. Abgesehen vom Handel wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in allen vom Institut erfassten Sektoren erwartet.
In der Tat brodelt es schon länger: der sich zuspitzende Konflikt mit Iran, Brexit-Chaos und natürlich der von US-Präsident Trump immer weiter eskalierte Handelsstreit zwischen den USA, China und der EU haben in Deutschland sowie Europa ihre Spuren hinterlassen. Insgesamt sind europäische Firmen seit 2018 in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallen. Unsicherheit macht sich in so gut wie jeder Branche breit, vom Auto-bis zum Maschinenbau – Branchen, die vom für die Wirtschaft der EU so wichtigen Mittelstand dominiert werden.
Familienunternehmen wie Bosch, Kirchhoff oder Merck (DE:MRCG) haben schon länger mit fallender Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen. Dass vor allem dem sonst so widerstandsfähigen Mittelstand allmählich die Luft auszugehen droht, sollte ein dringender Weckruf an die Politik sein – auf deutscher sowie europäischer Ebene. Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) machen 99 Prozent aller Betriebe in der EU aus und stellen nahezu zwei Drittel aller Beschäftigten. Dennoch hat die Berliner und Brüsseler Politik seit Jahren durch einen Mangel an zielgerichteten Maßnahmen das Wohl dieses Wirtschaftsmotors vernachlässigt.
Dies ist besonders gravierend in Anbetracht der Tatsache, dass KMU oft als nachgelagerte Unternehmen wichtiger Industriezweige agieren. Vor allem in der Aluminiumbranche sind die Auswirkungen fehlgeleiteter Politik für führende Unternehmen spürbar. Diese Missstände werden vom Verband der Aluminiumverbraucher (FACE) schon seit Jahren kritisiert. Die KMU dieses Branchensektors stehen für rund 92 Prozent der Beschäftigten und 70 Prozent des Umsatzes. Aber sie leiden an der seit Jahren rückläufigen europäischen Primäraluminiumproduktion, die neben hohen Strompreisen auch durch Chinas Aluminiumdumping hervorgerufen wurde.
Die von der EU gesetzten Einfuhrzölle auf Primäraluminium von 3 bis 6 Prozent sollten diesen Prozess stoppen und weitere Schließungen von Aluminiumhütten verhindern. Doch wie eine von FACE an der römischen LUISS Universität in Auftrag gegebene Studie kürzlich schlussfolgerte, haben die Zölle nicht nur den Niedergang der europäischen Aluminiumproduktion nicht aufhalten können. Sie haben zusätzlich noch reichlich Schaden für aluminiumverbrauchende KMU im nachgelagerten Sektor angerichtet.
So haben die Zölle KMU mit erheblichen Mehrkosten belegt, von den LUISS-Forschern auf 18 Milliarden Euro seit dem Jahr 2000 geschätzt. Außerdem gibt die EU den europäischen Aluminiumherstellern Anreize, ihre Preise dem höchstmöglichen Niveau anzupassen – nämlich dem verzollten Preis. Letztendlich bedeutet das, dass die EU-Marktpreise für Rohaluminium immer den Zollaufschlag von 6 Prozent enthalten.
KMU haben ohnehin schon mit sehr niedrigen Margen zu kämpfen, da Rohstoffe wie Aluminium bis zu 60 Prozent ihrer anfallenden Kosten ausmachen. Sie können sich also diesen Preiszuschlag auf lange Sicht nicht leisten. Angesichts dieser Umstände und der Tatsache, dass europäische KMU im globalen Wettbewerb zurückfallen, dürfte die Warnung von FACE-Generalsekretär Mario Conserva, dass das Überleben der Branche gefährdet sein könnte, sollte die EU die Zölle nicht fallen lassen, kaum überraschen.
Und FACE ist nicht der einzige Industrieverband, der Brüssel drängt, die Belange von KMUs ernster zu nehmen. Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zum Beispiel beklagt seit langem, dass viele KMU die EU als überregulierend wahrnehmen und von Bürokratie erdrückt werden. Dies liegt unter anderem daran, dass es keine standardisierte, länderübergreifende Definition mittelgroßer Unternehmen gibt. Deshalb werden KMU mit Großunternehmen gleichgesetzt und derselben Gesetzgebung und Regulierung unterworfen, trotz anderer Unternehmensbasis-und Struktur.
Außerdem existiert keine einheitliche EU-Mittelstandpolitik, auch wenn der Mittelstand in den letzten 10 Jahren deutlich mehr in den Mittelpunkt gerückt ist. Dennoch sind etwaige politische Initiativen wie der Small Business Act von 2008 nicht effizient mit der weiteren Industriepolitik der EU verknüpft. Das wenig verwundernde Resultat: KMU und ihre Interessen werden nicht genug in Betracht bezogen, insbesondere bezüglich ihrer wichtigen Rolle als nachgelagerte Unternehmen diverser Industriezweige.
Europas Politiker müssen den KMU also unter die Arme greifen. Bisher gibt es zwar viele Ideen, aber wenige wirklich sinnvolle Ansätze. Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, schlug jüngst in Zusammenarbeit mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire ein Konzept für „European Champions“ vor. Dem Plan zufolge soll Brüssel europäische Unternehmen gezielt stärken und durch Forschungssubventionen für Schlüsseltechnologien von globalen Wertschöpfungsketten so weit wie möglich unabhängig machen.
Allerdings dürfte jedem klar sein, dass dieses Konzept den kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die abhängig von Rohstoffimporten sind, nicht helfen wird. Im Gegenteil: KMUs würden erheblich unter diesen aufgeblähten Firmen leiden, da diese wichtige Investitionen tendenziell auf sich bündeln würden. Im Aluminiumsektor zum Beispiel liegt aber die große Chance bei den oft übergangenen nachgelagerten Firmen. Der Logik der Einfuhrzölle zufolge müssten aber Aluminiumproduzenten zu Champions gemacht werden. Aber dadurch würde sich der jetzige Teufelskreis bloß fortsetzen.
Außerdem sah der deutsch-französische Plan vor, dass die EU-Staats- und Regierungschefs mit der erweiterten Befugnis ausgestattet würden, Kartellentscheidungen der Europäischen Kommission zu ändern. Holger Kunze, Leiter des Europabüros des Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), warnte daraufhin, dass die „Hidden Champions“ – nämlich international marktführende KMUs – durch diesen Eingriff in die Kartellvorschriften zugunsten eines European Champions weiter ins Abseits befördert werden würden.
Der Weg nach vorne ist eigentlich klar: um Deutschlands und Europas KMU in diesem unvorhersehbaren Wirtschaftsklima langfristig zu unterstützen, müssen Handels-und Wertschöpfungsketten durch integrierte, koordinierte Industriepolitik und Einfuhrzollfreiheit garantiert werden. Ansonsten warten noch viele düstere Ifo-Wirtschaftsprognosen auf die Wirtschaft.