Es gibt unzählige Beiträge im Internet, mit denen suggeriert wird, Gewinne an der Börse zu erzielen sei kinderleicht. Durch die Möglichkeiten sogenannter sozialer Medien hat sich diese Anzahl sogar noch drastisch erhöht. Auf der Suche nach lehrreichen Informationen erhalten Börsenneulinge dadurch schnell den Eindruck, jeder könne mit ein paar simplen Trades problemlos reich werden.
Komisch nur, dass mir es selbst nach einem Vierteljahrhundert an der Börse noch immer nicht gelingen mag, mit wenigen Trades schnell reich zu werden, obwohl wir von Stockstreet bei einigen Lesern offenbar einen anderen Eindruck hinterlassen. So schrieb mir nämlich jüngst ein Leser zur Börse-Intern-Ausgabe mit dem Titel „DAX: Welle 5 mit Startschwierigkeiten“, er würde sich beim Blick auf unsere Chartanalysen häufig denken, wie „steinreich“ ich und meine Kollegen wohl sein müssen, wenn wir konsequent danach traden.
Im Nachhinein ist man immer schlauer
In der E-Mail schwang allerdings auch Kritik mit. Denn der Leser schrieb außerdem: „Aus Ihrem speziellen Stockstreet-Diagramm mit den vielen Linien und Farben, die Herr Steffens vor zig Jahren meiner Information nach im Kern entwickelt hat und Sie und Ihre Kollegen evtl. ‚verfeinert‘ haben, kann man doch im Nachhinein immer eine im Aktienbereich angewendete Formation herausdeuten (ABC, Wellen etc.)! Leider treffen im Vorlauf aber seltener die Aussagen zu!“
Mich hat diese E-Mail zu diesem Zeitpunkt verwundert. Schließlich hatte ich gerade erst in einer ganzen Reihe von Ausgaben des kostenlosen Newsletters „Börse-Intern“ über den schnellen Wechsel von bullishen und bearishen Signalen an den Aktienmärkten berichtet, der vor allem kurzfristigen Tradern das Leben sehr schwer gemacht haben dürfte. Und ausgerechnet in der Ausgabe, auf die der Leser reagierte, hatte ich diese Problematik noch einmal ausführlich beschrieben. Dementsprechend antwortete ich ihm Folgendes:
„Es ist völlig klar: Im Nachhinein ist man immer schlaue. Und im Nachhinein finden sich auch immer Erklärungen für einen Kursverlauf. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass es in unserem Newsletter so dargestellt wurde, als hätten wir von Stockstreet im Vorfeld gewusst, wie sich die Kurse letztlich entwickeln.
Im Gegenteil: Vielmehr hatte ich auf den schnellen bzw. sogar ‚atemberaubenden‘ Wechsel zwischen bullishen und bearishen Signalen im kurzfristigen Bereich hingewiesen und unter anderem am 2. Mai geschrieben, dass eine neue Richtungsentscheidung noch aussteht und angesichts dieser Ungewissheit eine Zurückhaltung bei neuen Investitionen angemessen sei.
Allerdings möchte ich dennoch durchaus für mich verbuchen, dass ich für den längerfristigen Bereich ein klares Elliott-Wellen-Szenario für den DAX hatte. Demnach sollte es im Rahmen einer Welle 5 zu neuen Rekordhochs kommen (siehe Börse-Intern vom 23. April). Unklar war lediglich, ob es zuvor noch zu einer zweiten Korrekturwelle und somit einer deutlichen ABC-Formation in der Welle 4 kommen würde - oder nicht. Diese ist nun ausgeblieben, was so natürlich nicht abzusehen war.
Für die Leser des Chartanalyse-Dienstes ‚Target-Trend-Spezial‘ hatten wir daher klare Kursmarken benannt, ab der man auf einen Anstieg im Rahmen der Welle 5 setzen konnte. Und so konnten diese seit einem dynamischen Anstieg über eine Rechteckgrenze bei 18.101 Punkten mit einer Long-Position im Markt sein und somit von den steigenden Kursen profitieren.“
Auf bullishe bzw. bearishe Signale sinnvoll reagieren
Auch hier hatte ich klare Kursmarken zum DAX benannt, die zwischen bullishen und bearishen Signalen unterscheiden. So hieß es am 7. Mai zum Beispiel, unterhalb der Rechteckgrenze bei 18.270 Punkten wäre „der bullishe Ausbruch aus dem aufsteigenden Dreieck auf neue Erholungshochs im Rahmen der Welle 5 hinfällig. Doch erst wenn die Kurse auch die Mittellinie bei 17.915 Zählern und damit das Tief des letzten Rücksetzers unterschreiten, nimmt das bearishe Elliott-Wellen-Szenario einer zweiten Abwärtswelle Form an“.
Niemand weiß, wie sich die Kurse in der Zukunft entwickeln. Es gibt aber die Charttechnik bzw. die Chartanalyse, mit deren Hilfe man bullishe und bearishe Signale identifizieren und auf die man dann entsprechend reagieren kann. Wird ein bullishes Signal gesendet, steigt die Wahrscheinlichkeit für weiter steigende Kurse. Wird ein bearishes Signal gesendet, steigt die Wahrscheinlichkeit für weiter fallende Kurse. Und mit jedem weiteren Signal in die aktuelle Kursrichtung erhöht sich die jeweilige Wahrscheinlichkeit.
Das klingt relativ simpel, doch ist es das keineswegs, vor allem nicht bei einem schnellen Wechsel zwischen bullishen und bearishen Signalen, wie wir ihn jüngst an den Aktienmärkten erleben mussten. Und leider haben wir es an der Börse nie mit Sicherheit, sondern immer nur mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Daher ist es auch keineswegs kinderleicht, an der Börse Gewinne zu erzielen. Vielmehr steckt harte Arbeit dahinter, wenn man langfristig und möglichst kontinuierlich erfolgreich sein will.
Es kommt insbesondere auch auf die Stimmung der Anleger an
Diese Arbeit besteht vor allem darin, zu erkennen, was die Mehrheit der Marktteilnehmer aktuell will und in welcher Stimmung sie sich befindet. Auch hier wird die Arbeit aber dadurch erschwert, dass es zu schnellen Wechseln kommen kann, mitunter auch zu schnellen Stimmungsschwankungen.
Ein Beispiel dafür sind die gestrigen Daten zu den US-Erzeugerpreisen. Diese fielen höher aus als erwartet. Der Erzeugerpreisindex stieg im April um +0,5 % zum Vormonat. Erwartet worden war „nur“ ein Plus von 0,3 %, nach einem Rückgang um -0,1 % im März. Und die Jahresrate kletterte auf 2,2 %, von 1,8 % im März, und setzte damit den Aufwärtstrend fort.
Gleiches gilt für die Kernrate. Und diese Entwicklung sorgte für Inflations- und Zinsängste und somit für einen Kursrutsch am Aktienmarkt. Doch es setzte sehr schnell eine Erholung ein, mit der die Kursverluste vollständig aufgeholt wurden.
Dies ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen Handelstage zu sehen, an denen dem Dow Jones zum Beispiel wieder eine Serie von 8 Tagen mit Kursgewinnen gelungen war. Die Anleger waren also in einer bullishen Stimmung und haben sich diese offenbar auch durch die Erzeugerpreisdaten nicht verderben lassen. Das spricht für einen anhaltenden Willen der Bullen, die Kurse unbedingt weiter nach oben zu treiben.
Die Kursentwicklung passt nicht zu den fundamentalen Daten
Problematisch daran ist, dass die fundamentalen Daten somit nicht zur Kursentwicklung passen, was schon seit längerer Zeit der Fall ist. Dadurch lässt das Chance-Risiko-Verhältnis, welches beim Trading und Investieren ebenfalls entscheidend ist, arg zu wünschen übrig. Auch das erschwert die Arbeit und das Erzielen von Gewinnen an der Börse.
Zwar erscheinen durch die aktuell wieder vermehrt bullishen Signale in diesen Tagen Long-Positionen wieder aussichtsreich, durch schlechte Wirtschaftsdaten und überkaufte Kurse, vor allem in den USA, ist das Risiko für Rücksetzer oder gar eine längst überfällige größere Korrektur aber nach wie vor hoch.
Ein Eindruck kann täuschen
Wenn Sie also den Eindruck haben, man brächte nur ein wenig Erfahrung (oder gar Glück), um an der Börse mühelos steinreich zu werden, dann täuschen Sie sich. Das Hin und Her zwischen bullishen und bearishen Signalen setzt sich also fort, aktuell zumindest wieder im sehr kurzfristigen Bereich.
Auch heute könnte das der Fall sein. Denn dann stehen die vielbeachteten US-Verbraucherpreisdaten an. Es könnte also aktuell erneut eine Zurückhaltung bei neuen Investitionen angemessen sein.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus