thyssenkrupp (WKN: 750000) schlägt ein weiteres Kapitel seiner Leidensgeschichte auf und die Aktionäre haben bald keine Lust mehr. Dabei könnte Martina Merz nun die Weichen für eine bessere Zukunft stellen. Die Chancen sind da, aber ob sie ergriffen werden, ist noch völlig unklar.
Eine unendliche Baustellen-Geschichte? Irgendwie begann alles mit der gescheiterten Vermarktung der revolutionären Transrapid-Technik, wie die folgenden Presseschnipsel zeigen:
- 2004: „ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz über den Preispoker in der Stahlbranche, den Konzernumbau und die Zukunftsaussichten des Transrapid.“ (Focus)
- 2009: „Der Rückzug von Thyssen-Krupp aus dem zivilen Schiffbau kommt ins Stocken“ (Handelsblatt)
- 2009: „Der Stellenabbau bei ThyssenKrupp dürfte größer ausfallen als erwartet.“ (WAZ)
- 2011: „Hiesingers Trennungspläne bringen für ThyssenKrupp tiefe Einschnitte.“ (WiWo)
- 2011: „Das ThyssenKrupp-Management will Konzernsparten mit 35.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von zehn Milliarden Euro verkaufen“ (mm)
- 2012: „Ende einer Ära : ThyssenKrupp trennt sich vom Edelstahl“ (FAZ)
- 2013: „Der kriselnde ThyssenKrupp-Konzern macht weitere Minusschlagzeilen.“ (mm)
- 2014: „Der Umbau geht einigen Aktionären nicht schnell genug.“ (Welt)
- 2015: „ThyssenKrupp will ein neues Image“ (RP)
- 2016: „Es gibt wenige Unternehmen, die in der jüngeren Geschichte so viele Veränderungen durchlebt haben wie ThyssenKrupp.“ (HBM)
- 2017: „Nach der Stahlsparte treibt Thyssenkrupp (DE:TKAG) den Konzernumbau auch in anderen Bereichen voran.“ (Stimme)
- 2018: „Bei thyssenkrupp wächst die Angst vor einer Zerschlagung des Konzerns“ (tagesschau)
- 2018: „ThyssenKrupp besiegelt Stahlfusion mit Tata“ (NZZ)
Ausgerechnet eine Variante der Transrapid-Technik kommt bei den modernsten Systemen der Elevator-Sparte zum Einsatz und könnte dazu beitragen, dass deren Bewertung noch die ein oder andere Milliarde höher ausfällt – davon kann die gebeutelte Bilanz gar nicht genug bekommen.
Ein neuer Anlauf thyssenkrupp ist zwar gut darin, sich alte Probleme kostspielig vom Hals zu schaffen. Aber wenn es darum geht, neue Wachstumsbereiche erfolgreich zu entwickeln, welche die Verluste kompensieren, sieht es alles andere als rosig aus. Gerade jetzt, wo die Chance besteht, mit den erwarteten Elevator-Milliarden eine neue große Vision für den Traditionskonzern zu entwickeln, hat sich der Aufsichtsrat für eine einjährige Übergangslösung entschieden.
Martina Merz wird sich daher wohl vor allem am weiteren Gesundschrumpfen versuchen, bei gleichzeitiger Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Geschäftsbereiche. Dem Versprechen einer zukünftig niedrigeren Kostenbasis stehen dann der Unmut der betroffenen Mitarbeiter und die anfallenden Restrukturierungskosten gegenüber. Die Zeit der Unruhe im Konzern summiert sich bald auf zwei Jahrzehnte, ohne dass je etwas wirklich Großartiges geschaffen worden wäre.
Dabei sind viele spannende Ansätze vorhanden, auf denen man aufbauen könnte. Für die Energie- und Mobilitätswende zum Beispiel hat das Konglomerat unzählige Lösungen in petto: von Anlagen für den Rohstoffabbau und deren Weiterverarbeitung (einschließlich Produktionslinien für Batteriezellen) über Windturbinen-Komponenten, Elektrolysesysteme und Energiespeicherkonzepte bis hin zu Know-how für den industriellen Einsatz von grünem Wasserstoff, Ammoniak und Methanol.
Es erscheint mir nicht so weit hergeholt, dass man daraus eine wachstumsstarke Plattform schaffen könnte. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass es in diesem Mischkonzern viele Eitelkeiten und eine Verhaftung in traditionellen Strukturen gibt. An dieser Front wird Martina Merz in ihrer kurzen Amtszeit nur wenig erreichen können.
Was kommt nach Merz? Die große Frage ist also, wie es ab Herbst 2020 weitergeht, wenn sie das Zepter an ihre[n] Nachfolger[in] weiterreicht. Ein gutes Zeichen ist schon einmal, dass Bereichsgrenzen aufgebrochen werden sollen, wie die Wirtschaftswoche von einer kürzlichen Zusammenkunft des Top-Managements berichtete. Gerade für übergreifende Themen wie die Energie- und Mobilitätswende müssen die Technologie- und Vertriebsfachleute aus ihren Silos herauskommen, um durchgehende Lösungen zu entwickeln, die sich wirklich vom Wettbewerb abheben.
Es müssen jetzt also drei Dinge passieren, damit thyssenkrupp wieder aufsteigen kann:
- Über einen guten Elevator-Deal fließen Milliarden in die Kasse.
- Die Organisationsstruktur wird so aufgebrochen, dass sie zu etwas Größerem zusammengefügt werden kann.
- Ein neuer Chef bringt einen klaren Plan mit, wie diese Chancen genutzt werden können.
Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.
Motley Fool Deutschland 2019