Berlin (Reuters) - Es klang fast wie abgesprochen: “Es war wie immer”, “Er war wie immer”, “Olaf ist wie immer” - zu später Stunde im Kanzleramt wollen die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD gleichlautend Normalität in der Regierungsarbeit vermitteln.
Dabei fand am Dienstagabend im Koalitionsausschuss eine Premiere statt: Erstmals trägt Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz in der über achtstündigen Runde einen dritten Hut als Kanzlerkandidat der SPD. Von heraufziehendem Wahlkampfgetöse will keiner der Teilnehmer etwas wissen. Nein, die Nominierung von Scholz habe überhaupt keine Auswirkung auf die Abstimmung in der großen Koalition, betont SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU) pflichten ihm bei. Sie tun dies auch im eigenen Interesse: Die Union will vermitteln, für Wahlkampf sei es in der Corona-Krise noch zu früh - zumal sie die eigene K-Frage noch nicht geklärt haben.
SCHOLZ: “PAPPERLAPAPP, WENN ICH DAS MAL SAGEN DARF”
Dennoch lauern CDU- und CSU-Politiker argwöhnisch, wo der Vizekanzler zu sehr den Parteihut aufziehen könnte. In der SPD weist man diese Annahme strikt zurück. Die Devise lautet dort, dass sich der Pragmatiker Scholz treu bleiben und nicht in den lauten Wahlkampfmodus schalten solle. Scholz könne gerade mit seiner Solidität punkten. Der Vizekanzler wirbt für sich selbst mit seiner Regierungserfahrung: Er soll Wähler nach dem Abtritt von Kanzlerin Angela Merkel zur Bundestagswahl 2021 mit Kontinuität in einer soliden Regierungsführung beeindrucken.
Die Veränderungen im Auftreten von Scholz sind in anderen Nuancen zu erkennen, etwa in der Sprache. In der Vorbereitung auf die Nominierung prägte er Begriffe, wie den “Wumms”, den er mit dem Konjunkturpaket zur Corona-Bewältigung verband. Im ZDF-Morgenmagazin balancierte er am Mittwoch wieder auf dem schmalen Grat zwischen Flapsigkeit und Überheblichkeit: “Papperlapapp, wenn ich das mal sagen darf”, tat er Einwände ab, mit Kurzarbeit würden Teile der Wirtschaft künstlich am Leben gehalten.
Auch an anderen Stellen verschiebt der Kanzlerkandidat seine Akzente, ohne automatisch die Arbeit in der Koalition zu beeinträchtigen. Am meisten Gegrummel gab es in der Union, als Scholz sich bei einer G7-Schalte der Finanzminister vertreten ließ, während er bei Martin Schulz - seinem Vorgänger als Kanzlerkandidat - in dessen Heimatort Würselen war. Zudem äußert sich der Vizekanzler nun offensiver zu fachfremden Themen wie etwa Belarus. Auch hier muss er die Balance halten, um sich nicht gegen die eigene Regierung aufzustellen.
Andererseits unterlässt Scholz tunlichst alles, was ohnehin mit ihm fremdelnde Teile der Partei provozieren könnte. Aus der Parteiführung wird ihm bescheinigt, dass sich an seinem Auftreten nach innen nichts geändert habe: Parteispitze, Fraktion und Regierungsmitglieder stimmten sich weiter sehr genau ab. Unter der Woche telefonierten Scholz und die Parteivorsitzenden täglich. Die Sozialdemokraten sehen sich als geschlossen wie selten an, werten dies auch als Erfolgsfaktor im Koalitionsausschuss. Als Ausweis ihres Zusammenhalts werten sie, dass die Kanzlerkandidatur im kleinen Kreis Anfang Juli ausgemacht worden sei - und davon nichts nach außen drang.
KEINE VERBALE FELDSCHLACHT
Das stellt die Union vor eine Herausforderung - die zwar in Umfragen weit vor der Scholz-SPD liegt, aber in einem doppelten Dilemma steckt. Nach außen können und wollen weder die Kanzlerin noch die Spitzen von CDU und CSU Scholz angreifen. Schließlich hatten CSU-Chef Söder und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak öffentlich kritisiert, man wolle anders als die SPD noch nicht in den Wahlkampf einsteigen. Also will die Unionsführung keine verbale Feldschlacht mit dem Finanzminister - Merkel und die Union wollen selbst die staatstragende Rolle spielen.
Dabei ärgern sich Unions-Politiker hinter vorgehaltener Hand darüber, dass der Kanzlerkandidat etwa mit Äußerungen zur Verschuldung in Deutschland und der EU gezielt damit spielt, sich abzusetzen. Als Scholz andeutete, dass die erlaubte EU-Schuldenaufnahme dauerhaft Fakten schaffe und nicht nur singulär sei wie die Kanzlerin stets betont, widersprach ihm Regierungssprecher Steffen Seibert nur indirekt. Bloß Scholz nicht dadurch aufwerten, dass man sich zu sehr an ihm reibt, lautet die Devise. In der Unions-Fraktion ist man von dieser Strategie allerdings nicht überzeugt.
Dazu kommt, dass CDU und CSU ihrerseits offene Flanken haben. Bei der Union ist die K-Frage noch lange nicht geklärt, die CDU muss erst einmal einen Vorsitzenden finden. Die SPD wartet nur darauf, dass sich die Christdemokraten dabei zerlegen - und Scholz dann als der ruhige Macher noch überzeugender wirkt. Genüsslich wird von SPD-Politikern darauf verwiesen, dass nicht der Scholz-Faktor das Neue an diesem Koalitionsausschuss war: Vielmehr habe man eine Konkurrenz zwischen Söder und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet bis hinein in die Beratungen des Koalitionsausschusses gespürt - beide gelten als möglicher Kanzlerkandidat der Unions.