Investing.com – Weltweit stehen die Zentralbanken angesichts der hohen Inflationsraten und Zinsen im Fokus. Der eingeschlagene Weg der Geldpolitik macht jedoch nicht nur der Wirtschaft zu schaffen, sondern belastet auch die Zentralbanken selbst.
Die Riksbank (Zentralbank Schwedens) wird bei der Regierung eine Finanzspritze in Höhe von mehr als 7 Milliarden Dollar beantragen müssen, wie Bloomberg berichtete. Damit muss die Institution die Verluste in ihrer Bilanz ausgleichen, nachdem die als Vermögenswert hinterlegten Staatsanleihen einen solch hohen Wertverlust erlebten, dass die Handlungsunfähigkeit droht.
In der Eurozone wehrt man sich noch gegen Finanzspritzen, aber vor allem bei der Deutschen Bundesbank sieht es überhaupt nicht gut aus. Bloomberg schrieb:
"Im Euroraum sind die QE-bedingten Verluste vor allem bei der Deutschen Bundesbank zu spüren. Dennoch wehren sich Beamte im gesamten Euroraum gegen die Notwendigkeit von Geldspritzen und betonen, dass derartige Engpässe wahrscheinlich nur vorübergehend sein werden."
Meint man damit das gleiche "vorübergehend", wie es der EZB-Chefvolkswirt Lane zur Beurteilung der Inflation im November 2021 verwendete?
Dramatisch ist, dass die Zentralbanken aufgrund ihrer Geldpolitik bereits zu einem Zeitpunkt in Schieflage geraten, an dem die Inflation noch lange nicht unter Kontrolle ist. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft sagte:
"Ehrlich gesagt hat der Rückgang der Inflation, den wir gesehen haben, recht wenig mit der Geldpolitik und den höheren Zinsen zu tun. Wir gehen Pi mal Daumen davon aus, dass wenn eine Zentralbank die Zinsen erhöht, dann dauert es 1,5 bis 2 Jahre, bis sich die vollen Auswirkungen der Geldpolitik mit einer sinkenden Nachfrage auf die Preise auswirken.
Der Grund für die aktuell sinkende Inflation ist schlichtweg, dass der große Schock, der mit dem Krieg in der Ukraine einherging, die explodierenden Energiekosten, die explodierenden Nahrungsmittelkosten, vorüber ist und eine Preisstabilisierung stattfindet. Zumindest steigen diese nicht mehr so stark. Das hat nur ganz wenig bzw. kaum etwas mit der Geldpolitik zu tun.
Das zeigt auch, die Zentralbank ist nicht allmächtig. Sie kann die Inflation nicht einfach so kontrollieren, wie sie das will und muss immer sehr stark in die Zukunft schauen."
Die jüngste Zinspause lässt laut Fratzscher vermuten, dass die EZB davon ausgeht, dass das Inflationsziel von 2 Prozent Ende nächsten Jahres in greifbarer Nähe ist, was schon Anfang 2024 zu Zinssenkungen führen könne. Er warnte aber auch:
"Es kann aber auch komplett anders kommen, wenn der Krieg im Nahen Osten eskaliert, die Rohstoffpreise durch die Decke schießen, also Öl und Gaspreise und wir wieder eine hohe Inflation haben und die EZB nochmal nachlegen muss."
Der WDR Wirtschaftskorrespondent Ulrich Ueckerseifer stimmt dem zu und stellt ebenfalls Zinssenkungen in Aussicht:
"Die Zinsen fressen sich langsam durch das System und deswegen ist es, glaube ich, eine ganz gute Idee, mit den Zinssenkungen nicht zu lange zu warten. Wir sehen, der Preisdruck geht zurück, aber wir haben auch ein schwaches Wirtschaftswachstum in Europa insgesamt."
Es gibt aber auch Nutznießer der aktuellen Situation, allen voran der Bankensektor, wie Fratzscher unmissverständlich sagte:
"Sparen lohnt sich noch nicht und eigentlich ist es ein Skandal, was die Banken machen. Die fahren Rekordgewinne ein und verdienen sich dumm und dusselig. Wenn Sie als Konsument eine Hypothek für ein Eigenheim aufnehmen oder einen Konsumkredit haben wollen, dann nehmen Ihnen die Banken jetzt fünf Prozentpunkte mehr ab als noch vor zwei Jahren. Aber auf die Sparguthaben bekommen sie immer noch nichts. Das ist ein ziemlicher Missbrauch, was die Banken dort machen. Viele von uns wechseln die Bank nicht und deshalb gibt es keinen Wettbewerb.
Zudem ist relevant, wo die Inflation liegt. Erhöhen sich die Preise um 4,5 Prozent und ich bekomme auf ein Sparkonto keine Zinsen, dann verliert dieses Vermögen 4,5 Prozent Kaufkraft. Jetzt zu raten in Aktien zu gehen, ist auch keine gute Idee. Die Aktienmärkte laufen noch recht rund, was nicht zu der Rezession passt, die wir haben. Im Augenblick ist es schwierig, da einen guten Rat zu geben. Langfristig ist es natürlich immer gut, wenn man sparen kann, was die meisten Menschen in Deutschland gar nicht können, vor allem junge Menschen nicht."
Neben den Banken gibt es noch einen weiteren großen Profiteur, dem die Inflation in die Karten spielt, wie Fratzscher erläuterte:
"Der größte Gewinner der Inflation ist der Staat. Der Staat muss zwar mehr Zinsen zahlen auf seine Schulden, aber er nimmt viel mehr Steuern ein. Der Bund wird laut der neuesten Steuerschätzung von Finanzminister Lindner dieses Jahr 7,5 Prozent mehr Steuern einnehmen und im kommenden Jahr kommt es zu einem weiteren Anstieg um 5 Prozent.
Bei den Lebensmitteln, die im Vergleich zu vor 2 Jahren um 30 Prozent gestiegen sind, verdient der Finanzminister über die Umsatzsteuer ordentlich mit. Hinzu kommt, dass die Inflation den Wert der Schulden senkt. Die Inflation ist kein Verlustgeschäft für alle."
Finanzminister Christian Lindner sagte zwar, dass der Staat von der Inflation nicht profitieren dürfte, doch die Lösung ist alles andere als optimal, so Fratzscher. Das Inflationsausgleichsgesetz, das die Steuerzahler durch die Verschiebung der Grenzen für die kalte Progression um 15 Milliarden Euro jährlich entlastet, ist nur Augenwischerei. Der Großteil dieses Geldes kommt bei den Spitzenverdienern an. Menschen mit niedrigem Einkommen, die von der Inflation am härtesten getroffen werden, haben davon kaum etwas.
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