Investing.com – KI und Soft Landing sind die beiden Zauberwörter, welche die Privatanleger glauben lassen, dass es zu keiner Rezession kommt. Einer Rezession, die ihnen beim Anblick des Wertverfalls ihres Aktienportfolios Albträume bescheren würde.
Sie wiegen sich viel lieber in Sicherheit. Zentralbanken, der IWF und Regierungen belegen schließlich mit ihren Prognosen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. Die hier arbeitenden Fachleute verfügen über ausreichend Expertise und können gar nicht daneben liegen – so die weitverbreitete Fehleinschätzung.
In der New York Times erschien am 27. Juli 2023 ein Artikel, der das Vertrauen in diese Prognosen zutiefst erschüttert.
Aus diesem geht hervor, dass die Zentralbanken dem Markt schon oft die Beruhigungspille namens Soft Landing zu schlucken gaben. Doch der dadurch hervorgerufene Placebo-Effekt ist nachweislich nicht von Dauer.
Ende 1989, Ende 2000 und im späteren Verlauf des Jahres 2007 bestimmten die Soft Landing Prognosen die Schlagzeilen. Aber die Ökonomen und Analysten lagen daneben, denn jedes Mal zeigte die Rezession ihre hässliche Fratze mit steigenden Arbeitslosenzahlen und kollabierenden Aktienmärkten.
Sollte es diesmal wirklich anders sein?
In den Chefetagen der Wirtschaft ist man davon nicht überzeugt. Vielmehr bereitet man sich auf das Unvermeidliche vor. Der Anteil der Unternehmen, in denen Netto-Insiderkäufe getätigt wurden, sank auf 12 Prozent – den niedrigsten Wert seit 10 Jahren.
Michael Snyder führte in seinem jüngsten Artikel einige Punkte auf, die eindeutig für eine Verschlechterung der US-Wirtschaft sprechen.
Moody´s Investors Service berichtete beispielsweise, dass im ersten Halbjahr 2023 bereits 55 US-Unternehmen in Zahlungsverzug geraten sind, was mehr ist als die 36 im gesamten Jahr 2022.
In den USA bricht zudem die Nachfrage offensichtlich ein, denn anders ist es nicht zu erklären, dass Yellow, eine der größten und ältesten US-Speditionsunternehmen vor der Pleite steht.
Im Bundesstaat Kalifornien sind 768.000 Haushalte mit ihren Mieten im Zahlungsverzug und deren Schulden belaufen sich auf über 5 Milliarden Dollar. Es wird mit einer Welle von Zwangsräumungen gerechnet.
Die Zahl der Zwangsversteigerung von Immobilien steigt kontinuierlich. Im ersten Halbjahr wurden laut den Daten von ATTOM bereits 186.000 Anträge auf Zwangsversteigerungen gestellt.
Die Inversion der Renditekurve ist so stark wie seit über 40 Jahren nicht mehr, ein klares Indiz für eine bevorstehende Rezession. Der Bloomberg Makro-Analyst Simon White macht darauf aufmerksam, dass die Renditekurven weltweit Anzeichen einer Versteilerung zeigen. Was er als eindeutig negatives Signal für Liquidität und Risikoanlagen wertet.
Die Ford Motor Company (NYSE:F) gab bekannt, dass die Verluste aus dem Elektrofahrzeug-Segment um 50 Prozent höher ausfallen. Denn diese werden nicht mehr wie erwartet bei 3 Milliarden Dollar, sondern bei 4,5 Milliarden Dollar liegen.
Das hat zwei Gründe. Die Nachfrage sinkt, wie der Rückgang der Anträge auf Autokredite von 11,9 Prozent belegt. Hinzu kommt, dass bei den Finanzinstituten das Geld nicht mehr so locker sitzt und die Kreditwürdigkeit der Kunden fällt, weshalb die Ablehnungsquote von Autokrediten auf 30,7 Prozent gestiegen ist.
Der Gewerbeimmobiliensektor befindet sich inmitten eines "Hurrikan der Kategorie 5", wie der Immobilienexperte Barry Sternlicht gegenüber Bloomberg sagte.
Die Zahl der angekündigten Stellenstreichungen ist laut Challenger, Gray & Christmas in der ersten Jahreshälfte gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 244 Prozent gestiegen. Mit Ausnahme des Pandemiejahres 2020 erreichten die geplanten Stellenstreichungen mit 458.209 den höchsten Stand seit 2009, als die Finanzkrise die Märkte erschütterte.
Es sieht aber nicht nur in den USA düster aus. In Deutschland steht man vor einer ähnlichen Problematik. Der Unterschied ist, dass die Regierung daraus keinen Hehl macht. Der Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht offen darüber, dass die Transformation der fossilen Industrie in eine grüne Zukunft alles andere als einfach wird.
Schon jetzt geht er davon aus, dass Deutschland "fünf harte Jahre" bevorstehen. Jahre, in denen die industrielle Abwanderung aufgrund hoher Energiekosten verhindert werden muss, indem die Unternehmen mit Zuschüssen aus Steuergeldern und neuen Schulden bei Stange gehalten werden.
Gleichzeitig ist aus den Reihen der Grünen Partei zu hören, dass Deutschland in der moralischen Pflicht steht, einen Teil seines Reichtums abzugeben, so die Worte des Bundestagsabgeordneten Johannes Wagner:
"Es ist so schade, dass so viele Menschen nicht sehen (wollen?), was für einen unglaublichen Wohlstand wir in Deutschland haben.
Wir sind eines der reichsten Länder dieser Erde.
Wir können noch so viel geben.
Und haben auch eine moralische Verpflichtung dazu."
Sieht das wirklich nach gut laufenden Wirtschaftssystemen und einem Soft Landing aus, welche die hohen Bewertungen an den Aktienmärkten rechtfertigen?