FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 22. August 2012. In Europa werden immer mehr Rufe laut, die Stimmen im EZB-Rat anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu gewichten. Für Hüfner bedeute dies einen Bruch mit den Prinzipien einer unabhängigen Notenbank und der europäischen Einigung.
Die Ruhe an den Finanzmärkten ist gespenstisch. Jeder weiß, dass die Probleme keineswegs gelöst sind. Die Konjunktur kann in eine Rezession umkippen. Die politische Lage im Nahen Osten und auch anderswo kann eskalieren. In der Eurokrise ist es, als wenn zwei Züge aufeinander zufahren. Die Griechen brauchen mehr Geld. Wichtige Partner sind nicht bereit, mehr zu geben. Italiener und Spanier hoffen auf niedrigere Zinsen. Die EZB streitet darüber, wie das zu machen ist. Finanzmärkte und zunehmend auch Politiker bereiten sich auf einen Zusammenbruch des Euros vor.
In einer solchen Situation schaut jeder nach Zeichen, wo sich etwas bewegt. In der Eurokrise wird gerade eine neue Baustelle aufgemacht. Einige fordern eine Veränderung der Stimmengewichte im Governing Council der Europäischen Zentralbank. In Zukunft solle nicht mehr nach Köpfen abgestimmt werden, sondern nach der Wirtschaftskraft, die hinter den einzelnen Mitgliedern steht. Insbesondere die Vertreter Deutschlands, als der größten Volkswirtschaft der Gemeinschaft, sollten mehr zu sagen haben. Am Besten sollten sie ein Vetorecht bekommen.
Könnte das die Situation verbessern? Positiv: Wenn die Deutschen in den Gremien der EZB nicht mehr befürchten müssten, überstimmt zu werden, könnten sie vielleicht kompromissbereiter sein - etwa in Fragen der Finanzierung. Negativ kann man darin aber auch ein neues Störfeuer der Gegner des Euros sehen. Die 'Hardliner' wollen die Schuldnerländer in Südeuropa noch mehr in die Defensive drängen.
Auf den ersten Blick erscheint eine Gewichtung der Stimmen nach der Wirtschaftskraft nicht unplausibel.
Es ist in der Tat schwer einzusehen, dass die Zentralbankchefs von Malta oder Zypern in der europäischen Geldpolitik genau so viel zu sagen haben, wie der Präsident der Deutschen Bundesbank. Luxemburg hat bei Gründung des Euroraums überhaupt nur deshalb eine Zentralbank geschaffen, um im Rat mitreden zu können (in der zuvor bestehenden Währungsunion mit Belgien brauchte es kein eigenes Noteninstitut).
Der Vorteil aus der Sicht der Deutschen ist, dass ihnen das Leben im Governing Council leichter gemacht wird. So unglückliche Rücktritte, wie die des früheren Bundesbankpräsidenten Weber oder des Direktoriumsmitglieds Stark, würden vermutlich nicht mehr vorkommen.
Im Übrigen gibt es eine Stimmengewichtung entsprechend der Wirtschaftsleistung schon. Und zwar bei Beschlüssen über die Gewinnverwendung der EZB. Hier stimmen die Notenbankpräsidenten allein ab (ohne die Direktoriumsmitglieder) und ihre Voten werden entsprechend ihren Kapitalanteilen gewichtet. Man müsste dieses Modell also nur auf die Geldpolitik ausweiten.
Das gleiche Gewicht aller Mitglieder besteht ohnehin nur in der Theorie. In der Praxis hat das Wort der Vertreter der großen Länder natürlich größeres Gewicht. Kleinere Länder müssen schon sehr gute Argumente haben, um die gleiche Aufmerksamkeit zu erzielen. Bei der Besetzung der Posten im EZB-Direktorium werden die Großen in der Regel bevorzugt 'bedient'.
So einleuchtend es klingt, die Stimmen im EZB-Rat zu gewichten - es wäre ein großer Fehler. Erstens passt es nicht zu einer Notenbank. Sie ist kein demokratisches Gremium, das unterschiedlichen Mehrheiten einzelner Bevölkerungsgruppen widerspiegeln soll. Hier sitzen vielmehr Experten, deren einzige Aufgabe die Sicherung des Geldwerts und der Stabilität des Finanzsystems ist. Sie sind daher auch unabhängig von der Politik. Bei Priorisierung der Geldwertstabilität und der Sicherung des Finanzsystems darf es keine unterschiedlichen Meinungen geben, sonst ist die ganze Währungsunion falsch. Streiten kann man allenfalls über den besten Weg dahin. Das ist ganz anders als im Europäischen Rat oder im Europäischen Parlament, deren Mitglieder von der Bevölkerung gewählt sind.
Auch bei der Bundesbank gab es keine unterschiedlichen Stimmengewichte. Im Federal Open Market Committee der US-amerikanischen Notenbank hat jedes Mitglied das gleiche Stimmengewicht (das Stimmrecht wechselt nur zwischen den einzelnen Regionen). Allenfalls dem Präsidenten wird aus praktischen Gründen ein höheres Stimmengewicht zugestanden.
Zweitens passt eine Stimmengewichtung aber auch nicht zum Geist der europäischen Integration. In der Europäischen Union kann es keine Vormachtstellung einzelner Mitglieder geben. Die Römischen Verträge wurden 1956 ausgehandelt zwischen drei größeren Staaten (Frankreich, Italien, Deutschland) und drei kleineren (Niederlande, Belgien, Luxemburg). Alle sollten das gleiche Gewicht in den Entscheidungen haben. Vor allem Frankreich könnte nie und nimmer akzeptieren, von den Deutschen in die zweite Reihe gestellt zu werden. Das wäre das Ende der Union. Das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft ist in den 90er Jahren durch die Wiedervereinigung (Deutschland wurde damit das bevölkerungsreichste Land) und die harte D-Mark auf den Devisenmärkten auf eine Probe gestellt worden. Der Euro sollte helfen, dies zu korrigieren, nicht es zusätzlich zu akzentuieren.
Die Europäische Zentralbank war lange Zeit stolz, die einzige wirklich europäische Institution zu sein. Ihr erster Präsident Willem Duisenberg legte - mit Unterstützung der Deutschen - großen Wert darauf, dass jedes Mitglied der Gremien überzeugter Europäer ist. Namensschilder mit Hinweis auf die nationale Herkunft gab es nicht. Die Tatsache, dass Länderinteressen in den Debatten inzwischen so viel Gewicht gegeben wird, ist schon Ausdruck der zunehmenden Nationalisierung der Geldpolitik, die eigentlich nicht zu einer Währungsunion passt.
Für den Anleger
Die Diskussion über die Stimmengewichte in der EZB oder gar ein Vetorecht für die Deutschen ist ein Irrweg. Sie wird die Situation nicht verbessern, sondern die Spannungen eher noch vergrößern. Es wäre für den Euro gut, wenn sie bald beendet würde. Die Ruhe auf den Finanzmärkten wird nicht mehr lange anhalten. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie spätestens in den ersten zwei Septemberwochen zu Ende sein.
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© 22. August 2012 /Martin Hüfner
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
Die Ruhe an den Finanzmärkten ist gespenstisch. Jeder weiß, dass die Probleme keineswegs gelöst sind. Die Konjunktur kann in eine Rezession umkippen. Die politische Lage im Nahen Osten und auch anderswo kann eskalieren. In der Eurokrise ist es, als wenn zwei Züge aufeinander zufahren. Die Griechen brauchen mehr Geld. Wichtige Partner sind nicht bereit, mehr zu geben. Italiener und Spanier hoffen auf niedrigere Zinsen. Die EZB streitet darüber, wie das zu machen ist. Finanzmärkte und zunehmend auch Politiker bereiten sich auf einen Zusammenbruch des Euros vor.
In einer solchen Situation schaut jeder nach Zeichen, wo sich etwas bewegt. In der Eurokrise wird gerade eine neue Baustelle aufgemacht. Einige fordern eine Veränderung der Stimmengewichte im Governing Council der Europäischen Zentralbank. In Zukunft solle nicht mehr nach Köpfen abgestimmt werden, sondern nach der Wirtschaftskraft, die hinter den einzelnen Mitgliedern steht. Insbesondere die Vertreter Deutschlands, als der größten Volkswirtschaft der Gemeinschaft, sollten mehr zu sagen haben. Am Besten sollten sie ein Vetorecht bekommen.
Könnte das die Situation verbessern? Positiv: Wenn die Deutschen in den Gremien der EZB nicht mehr befürchten müssten, überstimmt zu werden, könnten sie vielleicht kompromissbereiter sein - etwa in Fragen der Finanzierung. Negativ kann man darin aber auch ein neues Störfeuer der Gegner des Euros sehen. Die 'Hardliner' wollen die Schuldnerländer in Südeuropa noch mehr in die Defensive drängen.
Auf den ersten Blick erscheint eine Gewichtung der Stimmen nach der Wirtschaftskraft nicht unplausibel.
Es ist in der Tat schwer einzusehen, dass die Zentralbankchefs von Malta oder Zypern in der europäischen Geldpolitik genau so viel zu sagen haben, wie der Präsident der Deutschen Bundesbank. Luxemburg hat bei Gründung des Euroraums überhaupt nur deshalb eine Zentralbank geschaffen, um im Rat mitreden zu können (in der zuvor bestehenden Währungsunion mit Belgien brauchte es kein eigenes Noteninstitut).
Der Vorteil aus der Sicht der Deutschen ist, dass ihnen das Leben im Governing Council leichter gemacht wird. So unglückliche Rücktritte, wie die des früheren Bundesbankpräsidenten Weber oder des Direktoriumsmitglieds Stark, würden vermutlich nicht mehr vorkommen.
Im Übrigen gibt es eine Stimmengewichtung entsprechend der Wirtschaftsleistung schon. Und zwar bei Beschlüssen über die Gewinnverwendung der EZB. Hier stimmen die Notenbankpräsidenten allein ab (ohne die Direktoriumsmitglieder) und ihre Voten werden entsprechend ihren Kapitalanteilen gewichtet. Man müsste dieses Modell also nur auf die Geldpolitik ausweiten.
Das gleiche Gewicht aller Mitglieder besteht ohnehin nur in der Theorie. In der Praxis hat das Wort der Vertreter der großen Länder natürlich größeres Gewicht. Kleinere Länder müssen schon sehr gute Argumente haben, um die gleiche Aufmerksamkeit zu erzielen. Bei der Besetzung der Posten im EZB-Direktorium werden die Großen in der Regel bevorzugt 'bedient'.
So einleuchtend es klingt, die Stimmen im EZB-Rat zu gewichten - es wäre ein großer Fehler. Erstens passt es nicht zu einer Notenbank. Sie ist kein demokratisches Gremium, das unterschiedlichen Mehrheiten einzelner Bevölkerungsgruppen widerspiegeln soll. Hier sitzen vielmehr Experten, deren einzige Aufgabe die Sicherung des Geldwerts und der Stabilität des Finanzsystems ist. Sie sind daher auch unabhängig von der Politik. Bei Priorisierung der Geldwertstabilität und der Sicherung des Finanzsystems darf es keine unterschiedlichen Meinungen geben, sonst ist die ganze Währungsunion falsch. Streiten kann man allenfalls über den besten Weg dahin. Das ist ganz anders als im Europäischen Rat oder im Europäischen Parlament, deren Mitglieder von der Bevölkerung gewählt sind.
Auch bei der Bundesbank gab es keine unterschiedlichen Stimmengewichte. Im Federal Open Market Committee der US-amerikanischen Notenbank hat jedes Mitglied das gleiche Stimmengewicht (das Stimmrecht wechselt nur zwischen den einzelnen Regionen). Allenfalls dem Präsidenten wird aus praktischen Gründen ein höheres Stimmengewicht zugestanden.
Zweitens passt eine Stimmengewichtung aber auch nicht zum Geist der europäischen Integration. In der Europäischen Union kann es keine Vormachtstellung einzelner Mitglieder geben. Die Römischen Verträge wurden 1956 ausgehandelt zwischen drei größeren Staaten (Frankreich, Italien, Deutschland) und drei kleineren (Niederlande, Belgien, Luxemburg). Alle sollten das gleiche Gewicht in den Entscheidungen haben. Vor allem Frankreich könnte nie und nimmer akzeptieren, von den Deutschen in die zweite Reihe gestellt zu werden. Das wäre das Ende der Union. Das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft ist in den 90er Jahren durch die Wiedervereinigung (Deutschland wurde damit das bevölkerungsreichste Land) und die harte D-Mark auf den Devisenmärkten auf eine Probe gestellt worden. Der Euro sollte helfen, dies zu korrigieren, nicht es zusätzlich zu akzentuieren.
Die Europäische Zentralbank war lange Zeit stolz, die einzige wirklich europäische Institution zu sein. Ihr erster Präsident Willem Duisenberg legte - mit Unterstützung der Deutschen - großen Wert darauf, dass jedes Mitglied der Gremien überzeugter Europäer ist. Namensschilder mit Hinweis auf die nationale Herkunft gab es nicht. Die Tatsache, dass Länderinteressen in den Debatten inzwischen so viel Gewicht gegeben wird, ist schon Ausdruck der zunehmenden Nationalisierung der Geldpolitik, die eigentlich nicht zu einer Währungsunion passt.
Für den Anleger
Die Diskussion über die Stimmengewichte in der EZB oder gar ein Vetorecht für die Deutschen ist ein Irrweg. Sie wird die Situation nicht verbessern, sondern die Spannungen eher noch vergrößern. Es wäre für den Euro gut, wenn sie bald beendet würde. Die Ruhe auf den Finanzmärkten wird nicht mehr lange anhalten. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie spätestens in den ersten zwei Septemberwochen zu Ende sein.
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© 22. August 2012 /Martin Hüfner
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)