- von Andreas Rinke und Peter Maushagen
Brüssel (Reuters) - Die EU-Regierungen haben auf ihrem Gipfeltreffen keine Fortschritte im festgefahrenen Streit um die Verteilung von Flüchtlingen erreicht.
"Hier haben sich die Standpunkte nicht verändert", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagmorgen nach einer dreistündigen Debatte über die Migrationspolitik. Die neuen Ministerpräsidenten Polens und Tschechiens, Mateusz Morawiecki und Andrei Babis, hatten zuvor bekräftigt, dass ihre Länder trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs das beschlossene Quotensystem für die Flüchtlingsverteilung nicht umsetzen wollten.
Das Flüchtlingsthema war der strittigste Punkt auf dem EU-Gipfel, auf dem die 28 Regierungen zuvor die Russland-Sanktionen verlängert, die EU-Politik in der Jerusalem-Frage bekräftigt und den Start einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gefeiert hatten. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte den Streit der Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik schon vor dem Gipfel angeheizt, indem er das beschlossene Quotensystem ebenfalls infrage gestellt hatte. Der aus Polen stammende Tusk löste damit Empörung der EU-Kommission und der meisten EU-Mitgliedstaaten aus. Österreichs Kanzler Christian Kern kritisierte am Freitagmorgen, dass sich die osteuropäischen Staaten aus der EU-Politik nur Bereiche rauspickten, die ihnen passten. Der Streit tobt in der EU seit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen in der EU im Jahr 2015.
Man sei sich auf der Chefebene aber einig gewesen, dass bereits große Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration außerhalb der EU und beim Grenzschutz erzielt worden seien, betonten sowohl Merkel als auch Kern. Jetzt gehe es noch um die Verteilung der Flüchtlinge, die bereits in der EU seien, sagte Kern. "Es ist ein großes Thema, das Deutschland, Österreich, Italien und Griechenland berührt. Da gibt es noch keine umfassende Einigung – um es freundlich zu formulieren", fügte Österreichs Kanzler hinzu. Ein EU-Vertreter sprach von einer "offenen und nüchternen Diskussion". Das Thema hatte angesichts insgesamt rückläufiger Zahlen von Flüchtlingen, die in die EU kommen, in den vergangenen Wochen an Bedeutung verloren.
"AUCH NACH INNEN SOLIDARISCHE LÖSUNGEN"
Sowohl über Migration als auch die Weiterentwicklung der Euro-Zone, über die die Staats- und Regierungschefs am Freitagmorgen reden, sind keine Beschlüsse geplant. Diese sind erst für Juni 2018 vorgesehen. Deshalb wurde im Vorfeld des Gipfels auch heruntergespielt, dass Merkel lediglich als geschäftsführende Kanzlerin nach Brüssel reisen konnte. Mitte 2018 soll auch das Dublin-System reformiert werden, das regelt, wo in der EU Asylverfahren behandelt und Flüchtlinge aufgenommen werden. Dies funktioniert nach Angaben Merkels überhaupt nicht. "Deshalb brauchen wir auch nach innen solidarische Lösungen", sagte die Kanzlerin.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni forderten in Brüssel mehr Solidarität innerhalb der EU ein. Italien habe in den Gesprächen auf eine Umsiedlungsquote bestanden und wolle neben Syrern, Eritreern und Irakern auch andere Nationalitäten in der EU umsiedeln. Derzeit kommen die meisten Migranten und Flüchtlinge über Italien in die EU.
Theoretisch kann im Juni 2018 auch die Reform des Dublin-Abkommens wie beim Quotensystem wieder mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Damit würden die in der EU isolierten Osteuropäer überstimmt. "Man hat sich aber politisch vorgenommen, das so weit wie möglich irgendwie im Konsens zu entscheiden", hieß es dazu in der Bundesregierung. Es bleibe aber trotzdem ein Verfahren in qualifizierter Mehrheit.
OSTEUROPÄER WOLLEN IN LIBYEN MEHR TUN
Gentiloni und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatten sich am Donnerstagvormittag mit den Regierungschefs Polens, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei getroffen. Diese sagten danach zu, Italien 35 Millionen Euro für Flüchtlingsprojekte in Libyen und Nordafrika zu überweisen. Dies sei aber nicht ausreichend, sagte Italiens Ministerpräsident.
Tusk hatte vor dem Gipfeltreffen mit Blick auf die Migration und die Währungsunion vor einer doppelten Spaltung der EU gewarnt. "Wenn es um die Währungsunion geht, verläuft die Spaltung zwischen Norden und Süden", sagte er. "Wenn es um Migration geht, verläuft sie zwischen Ost und West."
Am Freitag wollen die EU-Staaten den Startschuss dafür geben, dass mit Großbritannien nicht mehr nur über die Modalitäten des EU-Austritts im April 2019, sondern auch über ein Übergangsabkommen danach verhandelt werden kann.