Börsen-Zeitung: Im Tunnel, Börsenkommentar 'Marktplatz', von Georg
Blaha.
Frankfurt (ots) - Es war kein schöner Wochenausklang für die
europäischen Märkte. Der Dax krachte um 3,4% auf 6050 Punkte ein und
nahm schon Anlauf, die Schwelle von 6000 Zählern nach unten zu
durchbrechen. Der Euro gab den achten Handelstag in Folge nach und
rutschte unter 1,23 Dollar, den tiefsten Stand seit Mitte 2010.
Fast im Wochenrhythmus erhöht sich die Unsicherheit, die die
Märkte derzeit absorbieren müssen. Als ob ein drohender
Griechenland-Abgang aus der Währungsunion und eine Bankenkrise in
Spanien nicht schon genug wären, setzte es am Freitag von der
Konjunkturseite gleich einen Doppelschlag. Chinas
Einkaufsmanagerindex sank im Mai unerwartet stark auf 50,4 Punkte von
53,3 Zählern im Vormonat. Gleichzeitig enttäuschten Daten vom
US-Arbeitsmarkt. Im Mai wurden mit nur 69000 neuen Stellen nicht
einmal halb so viele neue Jobs geschaffen, wie erwartet worden war.
Das Bild, das sich bietet, ist eindeutig. Anders als noch zum
Jahreswechsel geht den beiden Konjunkturlokomotiven der
Weltwirtschaft nun der Schwung aus. Dass sich eine globale
Wachstumsschwäche oder gar Rezession abzeichnet, gibt der ohnehin
schon hohen Unsicherheit eine neue Qualität. Die Märkte sind im
Tunnel.
Die Liste an Faktoren, die die Stimmung der Teilnehmer belastet,
wird immer länger und lässt den guten Jahresauftakt der Börsen wie
eine Episode aus einer anderen historischen Ära erscheinen. Seit den
Parlamentswahlen in Griechenland vom Mai hat die Risikoscheu die
Märkte wieder fest im Griff. An erster Stelle der Belastungsfaktoren
ist ein mögliches Ausscheiden von Hellas aus der Eurozone ('Grexit')
zu nennen. Glaubt man den Prognosen, so ist ein Wahlsieg der
linksradikalen Gegner des Sparkurses am 17. Juni zwar noch keine
ausgemachte Sache. Aber auch ein Sieg der etablierten Parteien,
welche die Sparprogramme fortführen wollen, wäre noch kein
Startschuss für eine Erleichterungsrally. Denn auch diese Parteien
können angesichts wackliger Koalitionen daran scheitern, eine stabile
Regierung aufzustellen - praktisch jederzeit könnte es Neuwahlen
geben, und die Frage um den Verbleib des Landes im Währungsraum würde
sich von Neuem stellen.
Mit Blick auf einen möglichen 'Grexit' schrieben die Analysten
einer Investmentbank: 'Es gibt kein vergleichbares Risikoereignis mit
solch komplizierten ökonomischen, finanziellen, politischen und
rechtlichen Auswirkungen.' Dass der Datenanbieter Bloomberg offenbar
schon den Handel einer neuen griechischen Drachme getestet hat,
zeigt, wie nahe ein Ausstieg des Landes gerückt ist. In jedem Fall
wird Griechenland die Märkte noch lange intensiv beschäftigen.
Eine Lösung der eskalierenden Bankenkrise in Spanien lässt
ebenfalls auf sich warten. Wiederum ist es nicht das Ereignis selbst,
sondern die damit verbundene Unsicherheit, die die Anleger
verschreckt. Ein Bail-out der angeschlagenen Bankia mit 24 Mrd. Euro
beeindruckt niemanden - was für Nervosität sorgt, ist die
Ungewissheit darüber, welche Leichen aus der Kreditvergabe vom
Immobilienboom die spanischen Banken noch im Keller haben. Die auf
Rekordhochs steigenden Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen
sprechen eine klare Sprache.
Anleger sollten zudem die geopolitischen Risiken im Blick
behalten. Ein militärisches Eingreifen der Westmächte in den
Syrien-Konflikt birgt angesichts des Widerstands der Öl-Macht
Russland wieder ganz neue Unsicherheiten. Das Gleiche gilt für eine
militärische Auseinandersetzung mit dem Iran. Im schlimmsten Fall
droht den Märkten eine üble Kombination der Schrecken aus den Jahren
2008 sowie 2002/2003: Ein 'Grexit' mit Ansteckungseffekten käme der
Pleite von Lehman Brothers gleich. Ein neuer Krieg würde wie beim
Waffengang der USA gegen den Irak das Vertrauen der Wirtschafts- und
Marktteilnehmer erschüttern - alle würden erst einmal auf die Bremse
treten. Der Tunnel, in dem die Märkte fahren, würde sich in solch
einem Fall auf eine kaum absehbare Strecke verlängern. Der Dax ist
jetzt schon auf dem besten Weg zurück zum Buchwert von 5400 Zählern.
Bei einem 'Grexit' könnte der Euro unter Parität zum Dollar sinken.
Hoffnungsschimmer gibt es, aber es sind wenige: Ein Eingreifen der
EZB und der amerikanischen Federal Reserve könnte Schlimmeres
verhindern. Ein Sieg der Vernunft in Griechenland würde einen
Unsicherheitsfaktor von der Liste nehmen. Wenn eine kriegerische
Auseinandersetzung in Nahost ausbleibt, dann wird 2012 nur ein sehr
schwaches Börsenjahr. Kein Best-Case-Szenario, das zu Jubelstimmung
verführt.
(Börsen-Zeitung, 2.6.2012)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Blaha.
Frankfurt (ots) - Es war kein schöner Wochenausklang für die
europäischen Märkte. Der Dax krachte um 3,4% auf 6050 Punkte ein und
nahm schon Anlauf, die Schwelle von 6000 Zählern nach unten zu
durchbrechen. Der Euro gab den achten Handelstag in Folge nach und
rutschte unter 1,23 Dollar, den tiefsten Stand seit Mitte 2010.
Fast im Wochenrhythmus erhöht sich die Unsicherheit, die die
Märkte derzeit absorbieren müssen. Als ob ein drohender
Griechenland-Abgang aus der Währungsunion und eine Bankenkrise in
Spanien nicht schon genug wären, setzte es am Freitag von der
Konjunkturseite gleich einen Doppelschlag. Chinas
Einkaufsmanagerindex sank im Mai unerwartet stark auf 50,4 Punkte von
53,3 Zählern im Vormonat. Gleichzeitig enttäuschten Daten vom
US-Arbeitsmarkt. Im Mai wurden mit nur 69000 neuen Stellen nicht
einmal halb so viele neue Jobs geschaffen, wie erwartet worden war.
Das Bild, das sich bietet, ist eindeutig. Anders als noch zum
Jahreswechsel geht den beiden Konjunkturlokomotiven der
Weltwirtschaft nun der Schwung aus. Dass sich eine globale
Wachstumsschwäche oder gar Rezession abzeichnet, gibt der ohnehin
schon hohen Unsicherheit eine neue Qualität. Die Märkte sind im
Tunnel.
Die Liste an Faktoren, die die Stimmung der Teilnehmer belastet,
wird immer länger und lässt den guten Jahresauftakt der Börsen wie
eine Episode aus einer anderen historischen Ära erscheinen. Seit den
Parlamentswahlen in Griechenland vom Mai hat die Risikoscheu die
Märkte wieder fest im Griff. An erster Stelle der Belastungsfaktoren
ist ein mögliches Ausscheiden von Hellas aus der Eurozone ('Grexit')
zu nennen. Glaubt man den Prognosen, so ist ein Wahlsieg der
linksradikalen Gegner des Sparkurses am 17. Juni zwar noch keine
ausgemachte Sache. Aber auch ein Sieg der etablierten Parteien,
welche die Sparprogramme fortführen wollen, wäre noch kein
Startschuss für eine Erleichterungsrally. Denn auch diese Parteien
können angesichts wackliger Koalitionen daran scheitern, eine stabile
Regierung aufzustellen - praktisch jederzeit könnte es Neuwahlen
geben, und die Frage um den Verbleib des Landes im Währungsraum würde
sich von Neuem stellen.
Mit Blick auf einen möglichen 'Grexit' schrieben die Analysten
einer Investmentbank: 'Es gibt kein vergleichbares Risikoereignis mit
solch komplizierten ökonomischen, finanziellen, politischen und
rechtlichen Auswirkungen.' Dass der Datenanbieter Bloomberg offenbar
schon den Handel einer neuen griechischen Drachme getestet hat,
zeigt, wie nahe ein Ausstieg des Landes gerückt ist. In jedem Fall
wird Griechenland die Märkte noch lange intensiv beschäftigen.
Eine Lösung der eskalierenden Bankenkrise in Spanien lässt
ebenfalls auf sich warten. Wiederum ist es nicht das Ereignis selbst,
sondern die damit verbundene Unsicherheit, die die Anleger
verschreckt. Ein Bail-out der angeschlagenen Bankia mit 24 Mrd. Euro
beeindruckt niemanden - was für Nervosität sorgt, ist die
Ungewissheit darüber, welche Leichen aus der Kreditvergabe vom
Immobilienboom die spanischen Banken noch im Keller haben. Die auf
Rekordhochs steigenden Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen
sprechen eine klare Sprache.
Anleger sollten zudem die geopolitischen Risiken im Blick
behalten. Ein militärisches Eingreifen der Westmächte in den
Syrien-Konflikt birgt angesichts des Widerstands der Öl-Macht
Russland wieder ganz neue Unsicherheiten. Das Gleiche gilt für eine
militärische Auseinandersetzung mit dem Iran. Im schlimmsten Fall
droht den Märkten eine üble Kombination der Schrecken aus den Jahren
2008 sowie 2002/2003: Ein 'Grexit' mit Ansteckungseffekten käme der
Pleite von Lehman Brothers gleich. Ein neuer Krieg würde wie beim
Waffengang der USA gegen den Irak das Vertrauen der Wirtschafts- und
Marktteilnehmer erschüttern - alle würden erst einmal auf die Bremse
treten. Der Tunnel, in dem die Märkte fahren, würde sich in solch
einem Fall auf eine kaum absehbare Strecke verlängern. Der Dax ist
jetzt schon auf dem besten Weg zurück zum Buchwert von 5400 Zählern.
Bei einem 'Grexit' könnte der Euro unter Parität zum Dollar sinken.
Hoffnungsschimmer gibt es, aber es sind wenige: Ein Eingreifen der
EZB und der amerikanischen Federal Reserve könnte Schlimmeres
verhindern. Ein Sieg der Vernunft in Griechenland würde einen
Unsicherheitsfaktor von der Liste nehmen. Wenn eine kriegerische
Auseinandersetzung in Nahost ausbleibt, dann wird 2012 nur ein sehr
schwaches Börsenjahr. Kein Best-Case-Szenario, das zu Jubelstimmung
verführt.
(Börsen-Zeitung, 2.6.2012)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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