- von Markus Wacket
Berlin (Reuters) - Kurz vor dem SPD-Mitglieder-Entscheid über eine große Koalition wächst in beiden Volksparteien der Unmut über Personal und den Vertrag für das Bündnis.
Während die SPD am Wochenende über den Wechsel an der Parteispitze und eine Urwahl zum Vorsitz stritt, wurden Forderungen in der CDU nach neuem Personal und Ärger über die Ressortverteilung laut. Mehrere CDU-Politiker kritisierten den Verlust des Finanzministeriums und forderten neue Gesichter im Kabinett auch für eine Zeit nach Angela Merkel. Die SPD wiederum könnte Zeitungsberichten zufolge bereits am Dienstag Fraktionschefin Andrea Nahles kommissarisch zur Vorsitzenden ernennen. In der Partei wurde aber davor gewarnt, den Chefposten unter der Hand zu vergeben. Stattdessen solle der Vorsitz per Urwahl durch die Basis vergeben werden.
Das SPD-Präsidium wolle Dienstag Nahles ernennen und damit Schulz ersetzen, berichten "Bild am Sonntag" und "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Die SPD bestätigte die Sitzung am Dienstag. "Dort wird das weitere Vorgehen beraten", sagte eine Sprecherin. Zum Personalwechsel wollte sie sich nicht äußern. Die SPD-Mitglieder sollen in den nächsten Wochen über eine neue große Koalition entscheiden. Bislang wurde davon ausgegangen, dass anschließend im März ein Parteitag den Wechsel von Schulz zu Nahles formal beschließen soll.
Gegen diese Vorgehen regt sich jedoch Widerstand. "Es kann nicht sein, dass der SPD-Vorsitz quasi unter der Hand vergeben und die Partei vor vollendete Tatsachen gestellt wird", sagte die Parteilinke Hilde Mattheis dem "Tagesspiegel am Sonntag". Sie forderte wie weitere Bundestags- und Landtagsabgeordnete über den Parteivorsitz direkt von der Basis entscheiden zu lassen. Eine solche Urwahl unterstützt auch Familienministerin Katarina Barley. SPD-Vize Ralf Stegner sprach sich gegen eine schnelle Festlegung aus. Die Debatte gehöre zur Parteireform, über das Ergebnis müsse dann wieder ein Parteitag entscheiden.
FORDERUNGEN AUS DER UNION NACH NEUEN KÖPFEN
Währenddessen werden auch in der CDU die Rufe nach Erneuerung lauter, ausgelöst durch den Verlust des Finanzministeriums an die SPD und durch zirkulierende Kabinettslisten, die kaum neue Namen enthalten. Der Junge-Union-Vorsitzende Paul Ziemiak sagte der "Bild am Sonntag", er sehe dort keine echte Erneuerung. "Die Stimmung an der Basis ist mehr als schlecht. Die Kommunikation der Parteiführung nach der Bekanntgabe der Ministerien war katastrophal." Merkel solle den Mut haben, kritische Leute zu Ministern zu machen. Die Liste solle bis zum Parteitag öffentlich werden: "Es müssen alle Namen genannt werden. Nur so kann die Partei am 26. Februar guten Gewissens der Koalition zustimmen." Auch mit Rücksicht auf die SPD soll die Liste eigentlich erst nach dem SPD-Mitgliedervotum genannt werden. Damit will man verhindern, dass das Votum zu den Inhalten von Personalfragen überlagert wird.
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn forderte in der österreichischen "Presse am Sonntag" für die CDU ein Team mit Charakterköpfen. Partei und Fraktion müssten so ein eigenständiges Profil entwickeln können. Auf die Frage, ob die Partei für eine Ära nach Merkel gerüstet sei, antwortete er: "Ja". Nach seiner Erfahrung habe sich selbst für den Fall immer jemand gefunden, dass sofort das Ruder übernommen werden musste.
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther unterstützte Spahn in der Forderung nach neuen Gesichtern: "Ich wünsche mir, dass viele Kabinettsposten von neuen talentierten jungen Menschen, aber vor allem auch zur Hälfte aus Frauen bestehend, von der Union besetzt werden", sagte der CDU-Politiker dem Deutschlandfunk. Man habe sich zu sehr darauf ausgeruht, Merkel alle Aufgaben zu übertragen.
CDU-WIRTSCHAFTSPOLITIKER: ABKOMMEN IST KEINE BIBEL
CDU-Wirtschaftspolitiker äußerten auch am Inhalt des Vertrags mit der SPD. Das Abkommen sei keine Bibel, sagte Mittelstandspolitiker Christian von Stetten der "Augsburger Allgemeinen". "Die Gesetze werden im Bundestag gemacht, nicht bei Koalitionsverhandlungen." Was dort nicht durchdacht sei, könne korrigiert werden. Die Abgabe des Finanzressorts nannte er wie Parteifreunde einen großen Fehler. Fraktionschef Volker Kauder versuchte die Wogen hier zu glätten: Dies sei zwar schmerzhaft, daran habe man die Verhandlungen aber nicht scheitern lassen können. Der Vertrag stehe für finanzpolitische Stabilität. "In dem Text steht klipp und klar: Keine neuen Schulden im Bundeshaushalt! Keine Schuldenunion in Europa!" Alleingänge eines SPD-Finanzministers könne es nicht geben, sagte er der "Passauer Neuen Presse".
SPD-Vize Olaf Scholz, der als Favorit für das Ressort gilt, versprach im "Spiegel" eine solide Haushaltspolitik und keine neue Schulden für den Bund - aber auch Änderungen mit Blick auf Europa. "Wir wollen anderen europäischen Staaten nicht vorschreiben, wie sie sich zu entwickeln haben. Da sind in der Vergangenheit sicherlich Fehler gemacht worden."
Einer Umfrage zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen Zustimmung der SPD-Basis zur großen Koalition. 57 Prozent sagten, dass die Mitglieder für die Groko stimmen sollten, wie eine Emnid-Umfrage für "Bild am Sonntag" ergab. Unter den Anhängern der SPD waren es 84 Prozent. Auch 87 Prozent der Unionsanhänger sprachen sich für eine Zustimmung aus.