- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Auf den ersten Blick wirkten die Zahlen zweier neuer Umfragen wie ein Widerspruch: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa meldete am Mittwoch im RTL-stern-Wahltrend, 76 Prozent der Deutschen glaubten, die Bundestagswahl am 24. September sei schon entschieden.
Gleichzeitig berichtet das Institut Allensbach, ungewöhnlich viele Wähler wüssten einen Monat vor der Abstimmung noch nicht, wen sie wählen sollten. 46 Prozent der befragten Wähler seien unsicher - im Vergleich zu 39 Prozent zur gleichen Zeit vor der Wahl 2013.
Beide Zahlen werfen aber ein sehr unterschiedliches Licht auf die Umfrage-Ergebnisse für die aktuelle Sonntagsfrage. Denn danach scheint die Union seit Wochen fast unverändert klar vor der SPD zu liegen. FDP-Chef Christian Lindner hatte deshalb bereits gesagt, dass der Kampf um Platz eins und zwei entscheiden sei. Wenn aber so viele Wähler noch gar nicht wissen, was sie wählen, deutet dies eher auf die Möglichkeit größerer Veränderungen kurz vor dem Wahltag hin.
Genau darauf zielen die Appelle sowohl der SPD wie auch von CDU-Chefin Angela Merkel. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betont unablässig, dass die Bundestagswahl noch nicht gelaufen sei, sondern er Kanzler werde. Merkel warnt ihre Parteifreunde intern nach Angaben aus Parteikreisen immer wieder, sich nicht auf die guten Umfragewerte zu verlassen, sondern bis zum Schluss zu kämpfen.
Hinter der Widersprüchlichkeit beider Zahlen steckt letztlich ein unterschiedlicher Ansatz in der Methodik, Meinungen zu erfragen. Forsa etwa hatte nach den allgemeinen Erwartungen abgefragt - und da glaubt sogar eine sinkende Zahl von SPD-Anhängern, dass die SPD die Union noch überholen könnte. "Tatsächlich gibt es eine allgemeine Erwartungshaltung, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt", sagt auch Hermann Binkert, Geschäftsführer des Instituts Insa, zu Reuters.
Aber dies ist nur die halbe Wahrheit: Werden Bundesbürger nach ihrer eigenen persönlichen Entscheidung gefragt, dann ergibt sich ein anderes Bild. "Und dabei ist auch wichtig, welche Gruppe man eigentlich für die Ermittlung der Zahlen heranzieht", betont Binkert. Elf Prozent der Bundesbürger gingen nämlich ganz sicher überhaupt nicht wählen. Diese dürfe man nicht mitrechnen, weil egal sei, wen sie theoretisch wählen würden. Insa berechnet die unsicheren Wähler deshalb aus den Gruppen, die entweder sofort sagen, dass sie noch keine Partei-Präferenz hätten und denen, die nach einer Antwort auf Nachfrage angeben, dass sie aber noch nicht ganz sicher seien, ob sie die genannte Partei auch wählten. "Zusammen kommen wir auf einen Wert von 41 Prozent der grundsätzlich Wahlwilligen, die noch nicht auf eine Partei festgelegt sind", fasst Binkert die Insa-Ergebnisse zusammen - die den Allensbach-Trend einer sehr hohen Zahl Nicht-Festentschlossener bestätigen.
Darauf deuten auch die Zahlen des letzten ZDF-Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen hin. Danach gaben nur 31 Prozent der Befragten an, dass sie ganz sicher nur für eine bestimmte Partei votieren würden. Bei allen anderen aber lauteten die Antworten, dass sie noch zwischen mehreren Parteien schwankten oder aber völlig unsicher seien, wen sie wählen sollten.
Bei Insa verweist man noch auf einen anderen Hinweis darauf, dass die tatsächliche Unsicherheit des Wahlausgangs viel größer sein könnte als die allgemein gefühlte Erwartung eines Sieges der Kanzlerin. Denn würden Wähler wie im ZDF-Politbarometer gefragt, ob sie lieber Merkel oder Schulz als Bundeskanzler wollten, votierten 60 Prozent für die CDU-Chefin und 30 Prozent für den SPD-Vorsitzenden, sagte Binkert. Frage man aber wie Insa ganz konkret nach einer Direktwahl und biete als dritte Option offen "keinen von beiden" an, dann relativierten sich die Zahlen: Nur noch 38 Prozent gaben in einer Insa-Befragung am 14. und 15. August danach an, dass sie für Merkel seien, 23 Prozent votierten für Schulz und 31 Prozent für keinen von beiden. "Beide Kandidaten überzeugen nach diesen Zahlen also nur jeweils eine Minderheit", sagte Binkert.