Der Aktienmarkt ist nicht nur von der wirtschaftlichen Realität losgelöst, er scheint sich auch völlig von den Anleihen- und Devisenmärkten zu entkoppeln. Diese unterschiedlichen Ansichten könnten wichtige Einblicke in die Meinung der Märkte zu den Aussichten für die US-Wirtschaft und deren Platz in der globalen Erholung vom Coronavirus geben.
In den letzten Wochen hat sich die Kluft zwischen den Renditen von amerikanischen 10-Jahres- und 2-Jahresanleihen ständig verringert. Inzwischen ist der Dollar in diesem Jahr gegenüber einer Reihe wichtiger Währungen gefallen, darunter dem Euro, dem japanischen Yen und dem Schweizer Franken. Der Euro hat seinerseits in diesem Jahr gegenüber praktisch jeder wichtigen Währung zugelegt. Beide Trends senden eine auffällige Botschaft. dass die Erholung in den USA wahrscheinlich langsam sein wird und Regionen wie Europa möglicherweise einen schnelleren Aufschwung erleben werden.
Spreads schrumpfen
Die Differenz zwischen den Zinssätzen der 10-jährigen und der 2-jährigen US-Staatsanleihen sank im Februar 2020 auf nur noch zehn Basispunkte. Der Spread begann sich jedoch Anfang März zu vergrößern und stieg bis Mitte des Monats auf rund 70 Basispunkte, gerade als an den globalen Aktien- und Rohstoffmärkte ein Absturz stattfand. Von diesem Zeitpunkt an blieb der Spread der 2 / 10-jährigen weitgehend stabil, bis er wieder zu schrumpfen begann und bis um 9. Juli auf etwa 45 Basispunkte fiel.
Der 2-10er Spread ist tendenziell ein Indiz dafür, wie die Investoren in festverzinsliche Papiere den Ausblick für die Wirtschaft beurteilen. Ein engerer Spread und insbesondere ein Spread gegen Null lässt darauf schließen, dass die Anleger der Ansicht sind, dass die Zinssätze kurzfristig eher stark fallen und über einen längeren Zeitraum niedrig bleiben werden, da die Zentralbank gegen eine wirtschaftliche Schwäche kämpft. Im schlimmsten Fall kann dies sogar darauf hindeuten, dass die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert. Im Gegensatz dazu kann ein zunehmender Spread die Ansicht widerspiegeln, dass die Zinsen kurzfristig eher steigen werden, wenn die Wirtschaft expandiert.
Der Dollar wird schwächer
In der Zwischenzeit ist der Dollar-Index, der den Wert des Dollars gegenüber einem Korb mit sechs Leitwährungen abbildet, gefallen, seit er mit 103 im März seinen höchsten Stand seit über drei Jahren erreicht hatte. Als die Pandemie explodierte und Fabriken und Unternehmen auf der ganzen Welt zur Schließung zwang, die meisten Transporte zum Erliegen brachte und Milliarden von Menschen in ihre Häuser einschloss, brachen die globalen Märkte zusammen. Die Anleger flüchteten sich in die Sicherheit des US-Dollars, der um 9 Prozent in ebenso vielen Tagen auf 103 stürmte, ein Niveau, das er seit Januar 2017 nicht mehr erreicht hatte.
Der Dollar hat inzwischen fast 80% dieser Gewinne aufgegeben und ist auf rund 96,75 gefallen. Händler, die mit Dollars belastet sind, verkaufen diese Bestände nach und nach zugunsten anderer Währungen. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass Investoren darauf wetten, dass zum ersten Mal seit langer Zeit es möglicherweise nicht die Vereinigten Staaten sein werden, die die Welt aus der Rezession führen.
Eine Währung, die sich in diesem Jahr herausragend entwickelt hat, ist der Euro. Die Währung erreichte Mitte März ein Dreijahrestief von etwa 1,07 USD gegenüber dem Dollar. Seitdem ist der Euro gegenüber dem Dollar auf rund 1,13 gestiegen. Der Stärkung des Euro trotz der niedrigeren Renditen in Europa ist wahrscheinlich ein Indiz dafür, dass einige Händler eine schnellere Erholung in Europa erwarten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Händler ein wachsendes Haushaltsdefizit in den USA befürchten, das möglicherweise auch den Dollarwert belasten wird.
Die Ansicht einer langsameren Erholung der USA wird durch den Unterschied zwischen den Renditen der US-Benchmarks und denen in Europa gestützt. Der Spread zwischen den Renditen der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe gegenüber den gleichlaufenden US-amerikanischen Staatstiteln hat ein seit 2013 nicht mehr gesehenes Niveau erreicht. Die deutsche Benchmark-Anleihe erzielt eine Rendite von rund -0,48%, während ihre US-amerikanischen Gegenstücke eine Rendite von rund 0,54% aufweisen, was darauf hinweist, dass Anleger - zumindest theoretisch - eher bereit wären, die Bundesregierung dafür zu bezahlen, ihre Schulden zehn Jahre lang zu halten, als in US-Anleihen mit gleicher Laufzeit zu investieren.
Aktienmärkte marschieren einfach weiter
Trotz der Warnsignale dafür, dass die US-Wirtschaft Probleme hat, haben sich die Aktienmärkte in Europa und den USA trotz optimistischer Daten wie den jüngsten US-Beschäftigungszahlen relativ ähnlich entwickelt. Seit dem 24. März sind sowohl der S&P 500 als auch der deutsche DAX um rund 28% gestiegen.
Sollte sich herausstellen, dass die US-Wirtschaft hinter einer globalen wirtschaftlichen Erholung zurückbleibt, wäre dies zweifellos eine bedeutende Veränderung. Schließlich scheint der US-Verbraucher immer das zu sein, was die USA und den Rest der Welt aus Rezessionen oder wirtschaftlichen Abschwüngen herausholt. Diesmal könnte es jedoch anders sein, da die Coronavirus-Fälle in den USA immer noch zunehmen und die Verbraucher zu Hause bleiben. Währenddessen scheinen andere Teile der entwickelten Welt auf dem Weg der Besserung zu sein, und das könnte letztendlich der entscheidende Unterschied zwischen den USA und allen anderen sein.
Es wird natürlich die Entwicklung der Pandemie sein, die letztendlich entscheidet, welche Volkswirtschaften am schnellsten wieder zum Normalbetrieb übergehen und welche mit Problemen kämpfen.