Ich komme aus dem Dreiländereck Niederlande-Belgien-Deutschland. Von den Vorzügen Europas muss man mich also nicht mehr überzeugen. Gäbe es Europa nicht, müsste man es erfinden. Jedoch ist der eurozonale Anzug oft zu groß oder zu klein, aber er passt nicht.
Aktuell zeigt sich das in der griechischen Schuldenfrage. Zwischen den Protagonisten auf der Gläubiger- und Schuldnerseite gibt es noch nicht einmal eine Vernunftsehe, von Lustgewinn will ich erst gar nicht sprechen. Grundsätzlich hat die harte schulden- und reformverweigernde Verbalakrobatik der griechischen Regierung Methode. Für alle Euro-Ohren hörbar will sich Athen als Interessenvertreter der kleinen Leute nicht nur in Griechenland, sondern in der ganzen Eurozone positionieren: Endlich Politiker, die auf unserer Seite sind.
Der griechische Finanzminister Varoufakis weiß als Wirtschaftsprofessor natürlich, dass Griechenland seine gewaltigen Schulden niemals wird ordentlich bedienen können. Und mit dem Zurückdrehen von Wirtschaftsreformen entfernt sich das Land von diesem Ziel schneller als das Raumschiff Enterprise bei Lichtgeschwindigkeit. Übrigens, die Hoffnung, über Steuereintreibung die reichen Griechen an der Haushaltssanierung zu beteiligen, ist ein Rohrkrepierer. Diese Herrschaften mit offenbar grenzenlos ausgeprägter Solidarität zu ihren Mitbürgern sitzen längst u.a. in Großbritannien, wo sie pauschalbesteuert werden. Um an sie heranzukommen, müsste man in der EU eine konsequent harmonisierte Steuereintreibung einführen. Daran brauchen wir in den nächsten Jahren kaum zu denken. Denn jeder ist sich selbst der nächste. Und selbst wenn, gäbe es da noch genügend außereuropäische Finanzplätze.
Angriff ist die beste Verteidigung
Varoufakis will alle glauben machen, dass Gläubiger und Schuldner in einem Boot sitzen. Hat er da so Unrecht? Wäre man selbst hoffnungslos überverschuldet, würde man dann die Schulden unter größten Qualen zurückzahlen oder sich ihrer doch lieber im Rahmen einer Privatinsolvenz entledigen? Überhaupt schmerzte es einen selbst nicht - abseits von moralischen Überlegungen - wenn ein anderer über eine Bürgschaft in Haftung genommen würde.
Insofern ist die entscheidende Frage nicht, ob die griechische Regierung spart bzw. reformiert, sondern ob es überhaupt Anreize dazu gibt. Aus meiner Sicht halten sie sich zumindest momentan sehr in Grenzen. Im Gegenteil, Athen kann den anderen den schwarzen Peter zuschieben. Geht Griechenland in die Insolvenz, kommen auf z.B. deutsche Steuerzahler Verluste von circa 80 Milliarden Euro zu. Hatte die deutsche Regierung nicht versprochen, die Griechen-Rettung werde den deutschen Steuerzahler nichts kosten?
Varoufakis malt den Teufel an die Wand und sagt, dass der GREXIT nur der erste Streich wäre, dem andere - ZYPREXIT, PORTEXIT, SPANEXIT, ITALEXIT - folgen werden. Zum Schluss hätte sich die Eurozone vollständig exekutiert und der deutsche Steuerzahler müsste einen Deckel mit vielen Strichen bezahlen. Im Übrigen könnte er sich mit Russland ins gemeinsame Finanz-Bett legen und damit der geschlossenen europäischen Phalanx im Ukraine-Konflikt fremdgehen.
Er redet den Gläubigern ins Gewissen, sie hätten mehr zu verlieren als Griechenland. Tatsächlich gibt es Fälle, in denen Schuldner - obwohl deren Bonität fragwürdig ist - immer neue Kredite erhalten, um die alten zur finanziellen Gesichtswahrung der Gläubiger nicht abschreiben zu müssen. Warum nicht auch hier dieser Logik folgen?
Griechenland retten um jeden Preis?
Varoufakis spielt auf Zeit. Er beharrt auf einen Überbrückungskredit, da das Land doch Zeit brauche, um die Reformpläne der neuen Regierung zu verwirklichen. Das sind aber Taschenspielertricks. Ihm geht es darum, dass seine Robin Hood-Gesinnung Junge in anderen Euro-Ländern bekommt. Im Herbst bei den Parlamentswahlen in Portugal und Spanien soll diese Saat aufgehen. Wenn auch dort spar- und reformrenitente Parteien Regierungsverantwortung übernehmen können, wird die Anzahl der Verbündeten gegen die Sheriffs von Brüssel und Berlin größer. Dann hätte die Flurbereinigung der verabscheuten Stabilitätsunion leichtes Spiel. Abgesehen von Krokodilstränen hätten auch Paris und Rom gegen eine „Flexibilisierung“ der Stabilitätsregeln - im eigenen Interesse - nichts einzuwenden. Wasser predigen und Wein saufen, so ihr Motto.
Offensichtlich zeigen die Poker-Qualitäten des kahlköpfigen Griechen bei den Gläubigern Wirkung. Sie sind durchaus bereit, Hellas entgegenzukommen. Bei der Höhe des zukünftig geforderten griechischen Primärüberschusses, der Ausgestaltung der Aufsicht über die Reformmaßnahmen und in punkto Zeitplan von Kredit- und Zinszahlungen gibt es sicherlich Spielraum.
Aber permanente Kompromisse von in der Vergangenheit bereits großzügig gewährten Kompromissen kann es nicht geben. Keine Leistung ohne Gegenleistung. Sonst erhielte Athen eine Belohnung dafür, dass es bereit ist, keinen Euro-Schaden anzurichten. Strukturreformen bleiben das A und O für langfristiges Wirtschaftswachstum.
Warum sollen überhaupt die Gläubiger Griechenland immer mehr Freifahrtscheine ausstellen, wenn andere Länder wie Spanien, Portugal oder Irland keine Geschenke erhalten, obwohl sie auf der Reformebene gegenüber Griechenland weit die Nase vorn haben? Juristisch wäre dies sogar ein Fall für den Europäischen Gerichtshof: Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Faule Kompromisslösung oder GREXIT?
Am kommenden Freitag läuft ein Ultimatum ab. Bis dann sollen die Griechen eine Verlängerung des Hilfsprogramms beantragen. Rein finanztechnisch könnte aber auch noch bis etwa Mitte März ein Kompromiss gefunden werden. Bis dahin würde sich Griechenland mit Notfallkrediten der EZB an die griechischen Banken durchwurschteln. Die EZB hat sich bereits kompromissbereit gezeigt.
Kommt es zu einer wie auch immer gearteten Einigung, wird der europäische Stabilitätsgedanke zwar wieder kräftig mit Füßen getreten. Und geheilt ist der griechische Patient damit auch nicht. Denn überleben kann Griechenland die Eurozone nur mit laufendem Länderfinanzausgleich. Aber das Motto der erleichterten Finanzmärkte wird dann sein: Man muss dem Schöpfer auch für die kleinen Kartoffeln dankbar sein.
Sollte Griechenland aber ohne Entgegenkommen stur nur auf Zeit spielen, wird der GREXIT zur Tatsache. Ich wünsche mir das nicht und bei dem Gedanken habe ich auch Magengrummeln. Aber ließen sich die Gläubiger weiter wie Ochsen am Nasenring durch die Finanz-Manege führen, tendierte ihre Glaubwürdigkeit gegen Null. Irgendwann wird der zu zahlende Preis der Kompromissbereitschaft aberwitzig groß. In letzter Konsequenz würde die Eurozone - wenn auch sehr sehr spät - ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen.
Wäre der GREXIT verkraftbar?
Die Eurozone würde einen GREXIT schließlich aushalten, auch wenn die dazu ergriffenen Maßnahmen mit früheren Euro-Stabilitätsregeln unvereinbar sind. Doch hat sich heutzutage die Stabilitätsdefinition gewandelt. Es geht um die Stabilität der Eurozone an sich, koste es, was es wolle.
Es käme zum Stresstest in Zypern, Portugal, Spanien und Italien. Doch wird die EZB - die seit Draghi zu einer Krisenvollkaskoversicherung geworden ist - dann den dortigen Banken unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellen und Staatspapiere dieser Länder kaufen, damit der griechische Krisenvirus nicht streut. Nicht zuletzt würden die Fed und die Bank of England ihre Zinswenden ausfallen lassen und ihre Finanzindustrien in Watte packen.
Sicherlich wären Banken und Versicherungen in diesem Szenario zunächst nicht die erste Aktienwahl. Und grundsätzlich müssten sich die Anleger auf zwischenzeitlich heftige Kurskonsolidierungen einstellen. Deutschland würde aber schließlich profitieren. Die Renditen unserer Staatsanleihen würden aufgrund ihres Status als sichere Häfen noch weiter fallen und immer mehr als Anlagealternative in die ewigen Jagdgründe eingehen. Jede Art von Kreditfinanzierung würde noch günstiger. Dagegen würden die Dividendenrenditen immer attraktiver. Zugleich würde der Euro zur Freude der Exportwerte weiter sinken. DAX und MDAX legten zu.
Ja, der deutsche Steuerzahler würde dann zur Kasse gebeten. Doch muss gegengerechnet werden, dass der Bundesfinanzminister seit Beginn der Euro-Krise 2010 über 140 Mrd. Euro an Zinszahlungen gespart hat. Er ist ein wahrer Krisengewinnler.
Ein GREXIT hätte zwar an den Finanzmärkten das Zeug zum Aschermittwoch. Eine lange Fastenzeit erwarte ich jedoch nicht. Denn lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende.
Nicht zuletzt spricht die Kursschwankungsbreite des DAX - gemessen am VDAX -Volatilitätsindex - eine klare Sprache: Im historischen Vergleich signalisiert sie immer noch ein hohes Maß an Entspanntheit. Krise sieht anders aus.
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