Am Montag zeigten sich die europäischen Märkte durch die Nachricht, dass Russland Panzer auf der Krim auffahren lässt, massiv verunsichert. Der DAX brach um mehr als 3,4 Prozent ein, heute steigt er wieder um 2,4 Prozent.
Gestern gab es keinen Steffens Daily, daher würde es unseriös wirken, wenn ich heute im Nachhinein einfach nur schreibe, dass alles nicht so schlimm ist. Deswegen möchte ich, bevor ich auf die aktuelle Situation eingehe, mit einem kleinen Rückblick beginnen. Im Jahr 2003 verunsicherte uns alle der Irak-Krieg. Niemand wusste, ob es eine Eskalation in der Region geben würde. Die üblichen Untergangspropheten allerdings sahen den Dritten Weltkrieg als sichere Konsequenz an. Ich habe damals bereits einen täglichen Newsletter geschrieben und erinnere mich noch sehr gut, dass ich mich zeitweise mehr als Kriegsberichterstatter fühlte, denn als Börsenjournalist. Ich habe damals jede Nachricht und Entwicklung bewertet und auf die Börsen entsprechend übertragen.
Es war eine schlimme Zeit, die vielleicht vielen nicht mehr so in Erinnerung ist. Die Anschläge vom 11. September 2001 hatten zum Einmarsch in Afghanistan und schlussendlich auch zum Krieg gegen den Irak geführt. Die Börsen fielen seit drei Jahren und die Welt hielt den Atem an. Natürlich war die Angst gegenwärtig.
Wenn man an den Börsen erfolgreich sein will, muss man jedoch das eigene Verhalten im Nachhinein kritisch hinterfragen. Nur so kann man mit der Zeit lernen, wie man mit der Börse umgehen muss. Und bei dieser Analyse musste ich mir zugestehen, dass ich in jener Zeit viel zu nah am Geschehen war und viele Fehler gemacht habe. Daraus ergab sich die Erkenntnis, dass Börse anders funktioniert – ganz anders.
Für die aktuelle Situation ergeben sich zunächst zwei wichtige Punkte:
1. Politische Börsen haben kurze Beine
Wenn sich bei einem Ereignis zeigt, dass es sich lediglich um politisch motiviertes Säbelrasseln handelt, kann man sehr beruhigt sein. In den meisten Fällen reagiert die Börse zunächst panisch und erholt sich dann jedoch schnell wieder.
2. Droht ein Krieg, der ein Eskalationspotenzial hat, wird die Börse zynisch.
Sollte sich hingegen ein Krieg abzeichnen, der das Potenzial hat, das weltwirtschaftliche (!) Wachstum nachhaltiger zu beeinflussen, wird die Börse so lange fallen, bis dieses Kriegsszenario tatsächlich eintritt. In dieser Zeit spekuliert die Börse auf das Kriegsszenario. Sobald der Krieg beginnt, neigen die Börsen seltsamerweise häufig dazu, wieder anzusteigen. In diesem Fall wird bereits auf ein Ende des Krieges spekuliert und natürlich darauf, dass der Krieg durch den Verbrauch von Rüstungsgütern und unter Umständen durch die Zerstörung von anderen Gütern in bestimmten Bereichen zu einem wirtschaftlichen Wachstum führen wird. Diese Entwicklung wird mit der sehr alten, wenn auch sehr zynischen Börsenweisheit: „Kaufe, wenn die Bomben fallen!“ umschrieben.
Der Irak-Krieg hatte wegen der Gefahr eines Übergreifens auf die Nachbarländer das Potenzial, die für die Weltwirtschaft so wichtigen Öllieferungen aus der Region massiv zu beeinträchtigen. Daher hätte eine Eskalation zu einer weltweiten Schwächung des wirtschaftlichen Wachstums geführt. Das war es, worauf die Börsen mit zunächst fallenden Kursen spekulierten.
Als die Bomben fielen, stieg der Markt
Doch mit dem Beginn des Irak-Krieges war der Einbruch an den Börsen vorbei. Die Kurse stiegen wieder an. Man hätte also gar nicht so sehr auf die einzelnen Ereignisse schauen müssen! Diese sind vergleichsweise uninteressant, zumal man der Kleinanleger zumeist einer der Letzten ist, der auf die Nachrichten und Ereignisse reagieren kann. Die eigentliche Lehre aus der damaligen Situation war: Behalte das große Bild im Auge und ignoriere den Rest – der Rest ist nämlich auch in solchen Situationen die gewohnte Hysterie der Börsen, der man sich unbedingt entziehen muss.
Börse und Moral
Wenn ich so scheinbar emotionslos aus Sicht der Börsen Ereignisse analysiere, bei denen es um Menschleben, Leid, Hunger etc. geht, erhalte ich oft Mails mit dem Hinweis, dass ich doch bitte auch an die Menschen denken soll. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass man sehr genau zwischen den tatsächlichen Geschehnissen und deren Widerspiegelung an der Börse unterscheiden muss. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. So sehr uns auch gewisse Ereignisse während der langen Zeit, mit der wir uns mit Börsen beschäftigt haben, zum Teil zutiefst menschlich berührt haben – als Analysten müssen wir einen kühlen Kopf behalten. Das ist unser Job und den müssen wir professionell ausführen. Dabei gab es zweifellos mehrfach Situationen, in denen das zumindest mir sehr schwer gefallen ist.
Auch geht es keineswegs darum, von einem Krieg oder ähnlich schlimmen Ereignissen bewusst zu profitieren. Doch auf der anderen Seite würde es schließlich wirklich niemandem helfen, wenn ein Anleger aus moralischen Gründen nicht auf schlimme Ereignisse reagiert und somit Geld verliert. Und so bleibt nur die emotionslose Sachlichkeit, um die Ereignisse aus Anlegersicht zu bewerten.
Wie ist die aktuelle Situation in der Ukraine und mit Russland einzuschätzen?
Eine der Auswirkungen einer globalisierten Welt mit einem vergleichsweise freien Handel ist die hohe Abhängigkeit der Länder voneinander. Als Russland anfing, mit den Säbeln zu rasseln, brachen sowohl der russische Aktienindex als auch der Rubel dramatisch ein. Die russische Notenbank sah sich sogar veranlasst, spontan die Zinsen um 1,5 Prozentpunkte auf 7 Prozent anzuheben, um die russische Währung zu stützen. Das war der erste Zinsschritt seit mehr als 17 Monaten und ein Zeichen dafür, dass sie sich in diesem Moment doch erhebliche Sorgen machen.
Und das nicht ohne Grund! Wenn die internationalen Anleger das Vertrauen in Russland verlieren und es zu einem „Sell-Off“ der Währung und der Aktienkurse kommen würde, könnte das die russische Wirtschaft in arge Bedrängnis bringen oder sogar in eine tiefe Rezession zwingen. Und das wiederum würde die Position der aktuellen russischen Regierung erheblich schwächen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet verwundert es also nicht, dass Wladimir Putin heute die Rückkehr der russischen Soldaten angeordnet hat, die an den Militärübungen an der Grenze zur Ukraine teilgenommen hatten.
Abhängigkeit führt zu Verhandlungen
Und genau das ist auch die Hoffnung, die in dieser Situation steckt. Das hohe Maß an Abhängigkeit wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu politischen Lösungen führen. Es könnte also sein, dass die Situation nicht ganz so schlimm ist, wie es wohl viele Anleger am Montag befürchtet haben. Doch Sie sehen, es steht ein Konjunktiv dort: „Könnte!“ Leider ist es angesichts der vielen beteiligten Länder und deren Regierungen tatsächlich sehr schwer zu beurteilen, wie die Verhandlungen ausgehen und was schlussendlich wirklich geschieht. Und so müssen Sie natürlich immer mit allem rechnen, ohne jedoch in Panik zu verfallen.
Wie soll man sich also verhalten?
Wie immer: erst einmal Ruhe bewahren. Gehen Sie zunächst davon aus, dass es nun noch zu einigem Säbelrasseln kommen wird und dass dann schlussendlich politische Lösungen gefunden werden, wie auch immer diese aussehen mögen. Sobald die Märkte sich an diese Situation gewöhnt haben, werden sie auch nicht mehr so heftig auf einzelne Nachrichten reagieren. Das kann allerdings noch einige Tage oder – je nach Entwicklung – sogar Wochen dauern.
Und wenn es doch eskaliert?
Sollte sich hingegen doch noch eine Eskalation abzeichnen, muss damit gerechnet werden, dass die Börsen ab einem bestimmten Eskalationsgrad die damit verbundenen Gefahren über stark fallende Kurse einpreisen. Gerade Russland ist ein wichtiger Energielieferant. Würde dieser wegfallen, könnte das auch die Wirtschaft in Europa und der Welt zumindest teilweise belasten. Doch so sehr dieses Thema zurzeit auch hochgekocht wird und damit die Nerven der Anleger strapaziert, vergessen Sie nicht, dass es zu jedem Zeitpunkt an den Börsen Szenarien gibt, die zu stark fallenden Kursen führen könnten. Wenn man sich nur mit diesen Szenarien beschäftigt, wird man kaum noch in der Lage sein, am Aktienmarkt zu spekulieren. Tatsächlich muss man sich auch hier wie gewohnt hinter den Markt stellen: Wenn also die Kurse nun weiter fallen, muss man nach und nach seine Position verringern – ruhig und ohne Panik. Fallen die Kurse nicht, bleibt man weiter optimistisch, schließlich befinden wir uns nach wie vor in starken Aufwärtstrends.
Denken Sie auch daran: Vergangene Woche waren es die Schwellenländer, heute sind es die Ukraine und Russland. Es kommen immer neue Themen, die geeignet sind, Anleger von ihren Aktien zu trennen. Anders können in derart starken Aufwärtstrends keine Konsolidierungen entstehen! Und diese Konsolidierung gehören einfach zu jedem gesunden Trend.
Lassen Sie sich also nie von einzelnen Nachrichten zu sehr irritieren, sondern agieren Sie, wenn sich klare Abwärtstrends ausbilden und auch dann erst Schritt für Schritt. Alles andere ist der typischen Hysterie der Börsen geschuldet und fällt unter den Begriff: weißes Rauschen!
Ein interessanter Aspekt
Interessanterweise sind es oft solche Nachrichten, die den Markt bereinigen. Sie sind es, die oft auch noch die letzten Zittrigen und Unentschlossenen aus dem Markt drängen. So ein Panik-Verkauf führt immer wieder dazu, dass die Verkäuferseite für eine gewisse Zeit ausgedünnt bleibt und schlussendlich die Kurse schnell höher stehen als zuvor. Allerdings gilt das insbesondere für Nachrichten, die nach einer „längeren“ Konsolidierung zu einem kleinen „Sell-Off“ führen.
Fazit:
Sie sollten wie immer Ruhe bewahren und genau analysieren, was nun weiter geschieht. Die Risiken sind aufgrund der hohen Abhängigkeiten vergleichsweise gering. Sollte es doch zu einer Eskalation kommen, muss allerdings mit einer schärferen Konsolidierung gerechnet werden. Sie sollten ein solches Szenario also trotzdem als Worst-Case-Szenario für Ihr Depot durchspielen, um im Falle der Fälle genau zu wissen, was in welchen Situationen zu tun ist. Ansonsten kann ich nur sagen: Entfernen Sie sich immer wieder von den tagesaktuellen Nachrichten und versuchen Sie das große Bild im Auge zu behalten. Wie schrieb einst Kostolany (frei zitiert): Wenn die Börsen einbrechen, gehe ich erst einmal einen Kaffee trinken…
Jochen Steffens
Stockstreet GmbH