* Neuer Alltag am Übergang zwischen Salzburg und Freilassing
* Einsatzkräfte konzentrieren sich auf geordneten Ablauf
* Einsatzleiter: Stoppen können wir den Zustrom ohnehin nicht
- von Jörn Poltz
Freilassing/Salzburg, 09. Okt (Reuters) - P olizeihauptmeister Michel Baum ist der Pförtner am Eingang zum Land der Hoffnung für viele Flüchtlinge. Einsam steht der deutsche Bundespolizist auf der Fußgängerbrücke über den Fluss Saalach, der die bayerische Grenzstadt Freilassing vom österreichischen Salzburg trennt. "Schick uns noch mal zehn", kommt die Anweisung aus dem Funkgerät an Baums schwarzem Overall. Das bedeutet: Seine Kollegen im Zelt am deutschen Ufer haben eine Gruppe Migranten kontrolliert und sind bereit für die nächste Schar. Baum lässt sein Megafon kurz aufheulen. Sofort setzt sich im Lager auf der Salzburger Seite ein abgezählter Trupp junger Männer in Bewegung und überquert im Gänsemarsch die Brücke. Einige heben scheu die Hand zum Gruß, Baum empfängt sie mit einem aufmunternden Lächeln.
"Hier hat sich alles gut eingespielt", sagt Bundespolizei-Sprecher Thomas Gigl, der in Freilassing täglich nach dem Rechten sieht. "Da greift ein Zahn in den anderen." Mit den Österreichern sei vereinbart, dass sie auf Signal stets Zehnergruppen über die Grenze schicken, meist dreimal in der Stunde, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht, das seien rund 500 bis 700 Migranten am Tag.
Nach einer Waffenkontrolle an der Grenze fährt die Bundespolizei die Ankömmlinge mit Bussen in eine Lagerhalle in Freilassing, fotografiert sie, nimmt Fingerabdrücke, prüft vorhandene Dokumente. Von dort geht es mit Bussen zum Bahnhof, wo täglich Sonderzüge in alle Teile Deutschlands starten. Erst damit kommen die Flüchtlinge in die Obhut der Bundesländer, die für die Einquartierung sorgen müssen. Die Forderung einiger Politiker, Migranten bereits am Grenzübergang abzuweisen, sei unrealistisch, sagt ein Beamter hinter vorgehaltener Hand. "Wenn einer sagt, er kommt aus Afghanistan und wird verfolgt, was willst du dann machen." Für die Asylentscheidung sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Lediglich polizeibekannten Kriminellen werde die Einreise verwehrt.
Während Polizeihauptmeister Baum auf der Brücke das nächste Tonsignal gibt, wälzt sich nebenan der Berufs- und Urlaubsverkehr Stoßstange an Stoßstange im Schritttempo über die Straßenbrücke. Lastwagen, Busse und verdächtig erscheinende Pkws werden von Polizisten herausgewinkt und kontrolliert. Während Einheimische den Gehweg am Straßenrand unbehelligt passieren, warten an der Zollstation am Salzburger Ufer rund 250 Syrer, Afghanen und andere Flüchtlinge geduldig darauf, dass Polizeihauptmeister Baum auch für sie das Signal zum Grenzübertritt gibt.
In Österreich bleiben will keiner von ihnen. "Wir haben einen Onkel in Bonn", sagt die 22-jährige Pharmaziestudentin Roaa Al Skhita, die mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter aus dem syrischen Aleppo geflohen ist. Zudem hätten ihre Professoren geraten, wenn sie ihre vom Bürgerkrieg erschütterte Heimat verlasse, dann solle sie ihr Studium in Deutschland fortsetzen. Dem 15-jährigen Syrer Abd Al Razak fällt nach zweiwöchiger Flucht über die Türkei und den Balkan besonders eines auf: "Dass Polizisten freundlich sind, habe ich in keinem anderen Land erlebt."
Auf dem Parkplatz der Salzburger Zollstation haben Einsatzkräfte und Helfer zwei große Schlafzelte aufgestellt, geben Essen aus, verteilen Luftballons an Kinder. Mit nummerierten Armbändern werden die Migranten in Gruppen für den Grenzübertritt eingeteilt. "Wir können die Ströme nicht aufhalten. Wir können nur versuchen, das organisatorisch so gut wie möglich hinzukriegen", sagt Einsatzleiter Klaus Hinterberger von der Stadtverwaltung. Er lobt die Zusammenarbeit mit den freiwilligen Helfern und den deutschen Grenzpolizisten. Die politische Diskussion über die Aufnahmefähigkeit von Österreich und Deutschland will er nicht kommentieren. ID:nL8N129251 "Wir müssen jetzt schauen, dass wir uns auf den Winter vorbereiten. Das werden wir logistisch schon irgendwie lösen." (redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069-7565 1312 oder 030-2888 5168.)