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Veröffentlicht am 08.03.2013, 20:27
Aktualisiert 08.03.2013, 20:28
Börsen-Zeitung: Völlig losgelöst, Börsenkommentar 'Marktplatz', von

Dieter Kuckelkorn.

Frankfurt (ots) - Viele Börsianer werden das noch kennen: 'Völlig

losgelöst von der Erde', ließ der deutsche Popsänger Peter Schilling,

einer der bekanntesten Künstler der Neuen Deutschen Welle, 1983 einen

Astronauten singen. Marktteilnehmer diesseits und jenseits des

Atlantiks (eine englische Version gab es auch) können derzeit

lauthals in den Refrain einstimmen. Der Höhenflug der Aktienmärkte

zeigt nämlich, dass diese ebenfalls völlig losgelöst sind - nicht von

der Erde, aber doch von der Entwicklung der Realwirtschaft in fast

allen Regionen der Welt.

Zwar hellen sich die konjunkturellen Frühindikatoren rund um den

Globus auf. Dieser Effekt darf aber nicht überschätzt werden. Für die

Eurozone erwartet beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB)

für das gesamte laufende Jahr lediglich eine Kontraktion um 0,5%. Die

USA kämpfen nach wie vor mit den Auswirkungen der Krise. Zwar ist der

am Freitag veröffentlichte Arbeitsmarktbericht für den Februar besser

ausgefallen als erwartet - was der Wall Street noch einmal Auftrieb

gegeben hat. So ist die Arbeitslosenquote auf den Stand von 2008

zurückgegangen. Allerdings erfasst die Arbeitslosenquote viele

Arbeitssuchende nicht mehr. Betrachtet man die US-Arbeitslosenquote

in ihrer vor 1994 üblichen, breiteren Definition (in den USA ist dies

die sogenannte U5-Arbeitslosenquote), sieht alles sehr viel düsterer

aus. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) spricht in ihrem jüngsten

Konjunkturüberblick, dem sogenannten 'Beige Book', denn auch von

einem lediglich geringfügigen bis moderaten Wirtschaftswachstum.

Zur Lage der Realwirtschaft passt es daher eigentlich nicht so

recht, dass der Dow Jones seit Jahresanfang fast 10% zugelegt hat und

seit vier Tagen ein Rekordhoch nach dem anderen markiert. Der Dax

weist zwar seit Jahresanfang nur ein Plus von 4% auf. Er hat sich

aber in den vergangenen Jahren sehr viel dynamischer gezeigt als der

US-Markt (vgl. Grafik) und auch eine besonders starke

Jahresschlussrally 2012 absolviert. Aktuell ist er am Freitag mit

8015 Punkten auf den höchsten Stand seit Anfang 2008 geklettert. Vom

Allzeithoch von 8151 trennen ihn damit weniger als 150 Punkte. Den

Vogel hat aber der Nikkei abgeschossen: Er hat 2013 mehr als 18%

zugelegt.

Für die Hochstimmung an den Märkten gibt es nur einen wesentlichen

Grund: Die Kapitalmärkte - und damit auch die Börsen - hängen

momentan in einem ungewöhnlich hohen Ausmaß am Tropf der Notenbanken.

Dass dies so ist, lässt sich relativ leicht nachweisen. Es müssten

nämlich dort die stärksten Kurszuwächse auftreten, wo die Notenbanken

besonders in die Vollen gehen. Genau das ist der Fall: In den USA

pumpt die Fed jeden Monat die gigantische Summe von 85 Mrd. Euro in

die Märkte. In Europa kann sich die EZB zwar noch zurückhalten.

Bislang zumindest hat allein die Ankündigung, sie werde notfalls

unbegrenzt Staatsanleihen kaufen, spekulative Anleger davon

abgebracht, die Zinsen von Staatspapieren der Krisenstaaten nach oben

zu treiben. In Japan zwingt die neue Regierung die Bank of Japan zu

einer noch wesentlich lockereren Geldpolitik, mit der Premier Shinzo

Abe die Deflation endgültig überwinden und Japan zu alter

ökonomischer Größe verhelfen will.

Auf der anderen Seite schwächelt der Aktienmarkt in China, wo

Regierung und Notenbank auf die Bremse treten. Zudem lässt sich noch

eine weitere aufschlussreiche Beobachtung machen: Sobald in den USA

Notenbanker auch nur laut über eine Wende in der Geldpolitik

nachdenken, gerät die Rally an der Wall Street ins Stocken - bis

Fed-Chairman Ben Bernanke klarstellt, dass vorerst alles beim Alten

bleibt.

Somit ist zu erwarten, dass sich die Rally an den Aktienmärkten

trotz der teilweise bereits recht hohen Bewertungen fortsetzt,

solange Zentralbanken den Märkten praktisch unbegrenzt Liquidität

verabreichen. Ewig kann den Volkswirtschaften die aktuelle Medizin

allerdings nicht zugemutet werden, weil die Nebenwirkungen

schwerwiegend sind. Kehrseite der Stabilisierung der Märkte und der

Krisenländer sowie der Entschuldung der Staaten durch extrem niedrige

Zinsen ist u.a. die schleichende Enteignung der Sparer. Zudem findet

eine Umverteilung hin zu spekulativen Akteuren statt - was sich in

den üppigen Gewinnen von Investmentbanken zeigt.

Es ist somit kein Wunder, dass sich innerhalb der Fed die Stimmen

mehren, die sich für eine Kehrtwende in der Geldpolitik im kommenden

Jahr starkmachen. Sobald ein solcher Kurswechsel absehbar ist, wird

die Rally an den Aktienmärkten vorüber sein.

(Börsen-Zeitung, 9.3.2013)

Originaltext: Börsen-Zeitung

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