- von Ben Blanchard und Kevin Yao
Peking (Reuters) - Die Eskalation des Handelsstreits mit den USA löst offenbar Spannungen innerhalb der Führung in Peking aus.
Kritiker bemängelten, dass ein übermäßig nationalistisches Auftreten Chinas möglicherweise die Position der USA noch einmal verhärtet habe, erfuhr Reuters von mehreren Insidern aus dem Umfeld der Regierung in Peking. Präsident Xi Jinping halte die Zügel zwar weiter sicher in der Hand. Die ungewöhnliche Welle der Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung offenbare jedoch rare Risse innerhalb der herrschenden Kommunistischen Partei (KP).
Die Konsequenzen könnten einen hochrangigen Regierungsvertreter treffen, sagen Insider: Xis Chefideologen und Strategen Wang Huning. Wang war der Architekt des chinesischen Traums, Xis Vision von China als einer starken und wohlhabenden Nation. Inzwischen habe der Präsident seinen Strategen allerdings gerügt, weil er ein übermäßig nationalistisches Image von China aufgebaut und die USA damit lediglich weiter provoziert habe, heißt es. "Er hat Ärger, weil er mit seiner Propaganda versagt und China zu sehr hochgejubelt hat", sagt einer der Insider. Die KP äußerte sich auf Anfrage nicht zu Wang beziehungsweise seinem Verhältnis zu Xi.
Ein Regierungsberater erklärt jedoch, in der chinesischen Regierung mache sich zunehmend das Gefühl breit, dass die Aussichten für das Land angesichts des Handelskrieges mit den USA inzwischen düster seien. "Die Entwicklung von einem Handelskonflikt zu einem Handelskrieg hat die Haltung vieler Leute geändert." Die Funktionäre sind mit dieser Einschätzung nicht allein. "Viele Wirtschaftsexperten und Intellektuelle sind irritiert über das Vorgehen Chinas im Handel", sagt ein Vertreter eines chinesischen Forschungsinstituts, der nicht namentlich genannt werden wollte. "Die vorherrschende Meinung ist, dass China einen zu harten Kurs eingeschlagen und die Führung die Lage ganz klar falsch eingeschätzt hat."
DELLEN IM WACHSENDEN SELBSTBEWUSSTSEIN PEKINGS
Unter Xi hatte die Regierung immer selbstbewusster Chinas Anspruch auf einen Platz unter den Großmächten vertreten. Sie befreite sich damit von der lange geltenden Maxime des früheren Präsidenten Deng Xiaoping, der wie Xi eine ganze Epoche chinesischer Geschichte prägte und stets darauf beharrte, China müsse "auf den rechten Augenblick warten und seine wahre Stärke solange verbergen". Chinas neues Selbstbewusstsein zeigte sich zuletzt nicht nur in der Seidenstraßen-Initiative, die den Handel zwischen Ost und West im Sinne der Führung in Peking vorantreiben soll. Auch bei den Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer und mit Blick auf Taiwan steuerte die chinesische Führung zuletzt einen harten Kurs.
Doch inzwischen hat sich die Lage geändert. Die Regierung in Peking muss nun darum kämpfen, die Folgen des Handelskrieges mit den USA abzufedern. Die Aktienmärkte und die Währung sind im Tiefflug, die Wirtschaft lahmt. Und obwohl die staatlichen Medien den Handelsstreit mit den USA in den vergangenen Tagen voller Trotz kommentierten, mehren sich die Anzeichen für einen Wandel in der Haltung Pekings. So hat die Führung damit begonnen, die Bedeutung der Industrie-Strategie "Made in China 2025" herunterzuspielen, die den USA wegen Chinas technologischer Ambitionen ein besonderer Dorn im Auge ist. Der englischsprachige Fernsehsender CGTN wiederum legt in seinen Sendungen inzwischen einen Schwerpunkt auf Berichte darüber, wie ein Preisanstieg von Konsumgütern aus China die Amerikaner treffen würde und welchen Schaden die höheren Zölle in der US-Wirtschaft anrichten dürften.
In chinesischen Regierungskreisen besteht jedoch die Befürchtung, dass der Schaden bereits angerichtet ist. Zugleich wird den Funktionären klar, dass das Ausland Chinas Propaganda heute viel stärker hinterfragt als in der Vergangenheit. Früher sei die chinesische Wirtschaft klein gewesen und habe im Ausland kaum Beachtung gefunden, sagt ein Insider. Nun werde man genau beobachtet. "Für China ist es unmöglich, 'auf den rechten Augenblick zu warten und seine wahre Stärke solange zu verbergen'", argumentiert er. "Aber zumindest können wir die Lautstärke unserer Propaganda kontrollieren und unsere Geschichte anständig erzählen."