Rom/Budapest (Reuters) - Wenige Tage vor dem Treffen von zehn EU-Staats- und Regierungschefs zur Lösung der Flüchtlingsfrage ist kein Kompromiss in Sicht.
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigte am Donnerstag an, ein von der EU-Kommission skizzierter Ansatz für ein gemeinsames Vorgehen werde zurückgezogen. Gleichzeitig bekräftigten osteuropäische Staaten ihre harte Linie in der Asylpolitik und lehnten eine Verteilung der Hilfesuchenden in ganz Europa erneut ab. In Frankreich beklagte Präsident Emmanuel Macron den in ganz Europa erstarkenden Populismus, offenbar in Anspielung auf die neue Regierung in Rom, die einem Schiff mit über 600 Flüchtlingen an Bord das Anlaufen italienscher Häfen untersagt hatte.
"Ich habe eben einen Anruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel bekommen, die besorgt ist über die Möglichkeit, dass ich nicht zu dem informellen Treffen in Brüssel am Sonntag komme", schrieb der italienische Regierungschef auf seiner Facebook-Seite. Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf für einen Kompromiss sei für ihn inakzeptabel. "Die Kanzlerin hat klargestellt, dass es sich um ein Missverständnis handelt." Der Entwurf werde nun zurückgestellt. Conte kündigte an, nach Brüssel zu reisen. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte das Telefonat, nannte aber keine Details.
Das Papier sah unter anderem vor, dass Asylbewerber innerhalb der EU sofort in den Mitgliedsstaat zurückgebracht werden sollen, in dem sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Aufgrund seiner Lage am Mittelmeer ist Italien eines der Länder, das in die EU strebende Hilfesuchende und Migranten als erstes erreichen. Nach dem Reuters vorliegenden Entwurf sollten sich die zehn Staaten auch darauf verständigen, die Sicherung der Außengrenzen zu verstärken und die Bewegungsfreiheit von Migranten innerhalb der EU einzuschränken. Zudem sollte es bilaterale Rücknahmeabkommen geben. Es wird dazu aufgerufen, "einseitige, unkoordinierte Maßnahmen" zu unterlassen.
INFORMELLES TREFFEN SOLL EU-GIPFEL VORBEREITEN
Zu dem Treffen am Sonntag hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eingeladen. Erwartet werden neben Merkel und Conte auch die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Österreich, Griechenland, Spanien, Malta, Bulgarien, Belgien und den Niederlanden. Bei den Gesprächen sollen die Weichen für den formellen EU-Gipfel Ende kommender Woche gestellt werden, bei dem die Asylpolitik ein Schwerpunkt sein soll.
Allerdings ist ein Durchbruch im Streit über den Umgang mit den Flüchtlingen nicht zu erwarten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban forderte am Donnerstag nach einem Treffen der vier sogenannten Visegrad-Staaten und Österreichs, die Überwachung der EU-Außengrenzen sollten verstärkt werden. Zudem sollten Flüchtlinge in Brennpunkten jenseits der EU-Grenzen die Bearbeitung ihrer Asylanträge abwarten.
Der ungarische Regierungschef lehnte das geplante Treffen seiner zehn EU-Kollegen am Sonntag ab. Fragen der Immigration seien Sache des Europäischen Rates und nicht der EU-Kommission. Er bekräftigte seine Ablehnung der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU nach einem Quotensystem. Zu den Visegrad-Staaten gehören neben Ungarn auch Polen, die Slowakei und Tschechien.
Mit Blick auf Merkel erklärte Orban: "Es ist uns bewusst, dass es in manchen Ländern innenpolitische Schwierigkeiten gibt, aber das kann nicht zu Überhastungen in ganz Europa führen." Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat Merkel eine Frist bis Anfang Juli eingeräumt, um eine Lösung der Flüchtlingsfrage auf EU-Ebene zu erreichen. Andernfalls will er die Abweisung aller bereits in anderen EU-Ländern registrierten Flüchtlinge an deutschen Grenzen anweisen. Merkel besteht dagegen auf ein in der EU abgestimmtes Vorgehen und hat indirekt mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht.
Bei einem Besuch der Bretagne warnte Macron vor populistischen Strömungen und der Kritik an pro-europäischen Haltungen wie er sie vertrete. "Sie können sie anwachsen sehen wie Lepra über ganz Europa, in Ländern, von denen wir dachten, wir würden sie dort nie wieder sehen." Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega hatte die italienischen Häfen für das Flüchtlingsschiff "Aquarius" sperren lassen. Aber auch Frankreich wies das Schiff ab, weswegen Macron kritisiert wurde. Spanien hat mittlerweile die Flüchtlinge der "Aquarius" aufgenommen.