- von Rene Wagner und Matthias Sobolewski und Gernot Heller
Berlin (Reuters) - Die stabile Konjunktur, der boomende Arbeitsmarkt und sinkende Zinskosten haben dem deutschen Staat einen Rekordüberschuss im Haushalt beschert.
Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen nahmen in den ersten sechs Monaten insgesamt 18,5 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben. Einen so hohen Überschuss zur Jahresmitte gab es nach der Wiedervereinigung noch nie, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Das Plus entspricht 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). In Politik und Wirtschaft werden angesichts der Zwischenbilanz die Rufe nach mehr Investitionen und Steuersenkungen lauter. Das Bundesfinanzministerium tritt dagegen wegen zusätzlicher Milliardenausgaben - vor allem für die Integration von Flüchtlingen - auf die Bremse.
"Es ist jetzt in der Mitte des Jahres zu früh, über den Abschluss des Haushalts 2016 zu spekulieren", warnte ein Sprecher des Finanzministeriums. Experten gehen davon aus, dass der Staat im Gesamtjahr nach 2014 und 2015 erneut schwarze Zahlen schreiben wird. "Die Einnahmen laufen gut, die Zinskosten sinken weiter", sagte Steuerschätzer Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft der Nachrichtenagentur Reuters: "Auch im Gesamtjahr dürfte es einen Überschuss geben." Er könne aber kleiner ausfallen als 2015 mit rund 22 Milliarden Euro wegen höherer Ausgaben für Flüchtlinge, vor allem für Unterkunft, Verpflegung und Geldleistungen.
Ökonomen empfehlen dem Staat, mehr zu investieren. "Der beträchtliche Überschuss im Staatshaushalt lässt Raum, zum Beispiel bei den staatlichen Investitionen nachzulegen", sagte der Europa-Chevolkswirt der Nordea Bank, Holger Sandte. "Um die Investitionen in einer alternden Gesellschaft anzuschieben, bedarf es der Unterstützung vonseiten der Regierung", so Ökonom Carsten Brzeski von der Großbank ING.
"LEISTUNGSANREIZE SETZEN"
Auch die Opposition fordert, mehr Geld lockerzumachen. "Wir brauchen jetzt eine Investitionsoffensive für den sozial-ökologischen Wandel", sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sven-Christian Kindler, zu Reuters. "Das muss man aber nachhaltig finanzieren und nicht nur auf historisch niedrige Zinsen setzen." So könne der Investitionsspielraum für die Infrastruktur und Soziales durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen um zwölf Milliarden Euro erhöht werden.
Auch CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach sieht Spielraum in den kommenden Jahren: "Wir müssen einfach den Mut haben, echte Steuerentlastungen für die Bürger vorzunehmen, damit Leistungsanreize auch für die arbeitende Bevölkerung bestehen." Sie könnten schneller umgesetzt werden als bisher angedacht, theoretisch schon zum 1. Januar 2018. Sein Kollege Eckhardt Rehberg warnte jedoch vor Jubelstürmen. Es gebe milliardenschwere Herausforderungen wie die innere Sicherheit und die Flüchtlingsintegration, sagte der Chefhaushälter der Unions-Fraktion. Vor allem dürften die guten Zahlen nicht zur Erfindung neuer sozialen Leistungen führen. Wichtiger als das sei eine Entlastung der Bürger.
Garant für die positive Haushaltsentwicklung ist die gute Konjunktur. Das BIP legte im zweiten Quartal um 0,4 Prozent zu, getragen vom Konsum und den Exporten. Zu Jahresbeginn waren es sogar 0,7 Prozent. Die Bundesbank rechnet trotz der Verunsicherung durch das britische Votum für einen EU-Austritt weiter mit Wachstum.[L8N1B3293]
Knapp die Hälfte des Überschusses entfiel auf den Bund: Er schaffte in den ersten sechs Monaten ein Plus von 9,7 Milliarden Euro. Die Länder erzielten einen Überschuss von 0,4 Milliarden Euro, die Gemeinden von 2,5 Milliarden und die gesetzliche Sozialversicherung von 5,9 Milliarden. Die Einnahmen des Staates erhöhten sich im ersten Halbjahr um insgesamt 27,9 Milliarden Euro oder 4,2 Prozent. Hohe Ausgabenzuwächse gab es bei Vorleistungen und sozialen Sachleistungen - etwa für Schutzsuchende und Asylbewerber. Die Investitionen stiegen um 7,7 Prozent. Wegen niedriger Zinsen und eines tieferen Schuldenstandes fielen die Zinsausgaben um fast 14 Prozent.