London (Reuters) - Die britische Wirtschaft ist im Frühjahr kräftiger gewachsen als die der Euro-Zone.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von April bis Juni um 0,4 Prozent zu, wie das Statistikamt des Landes am Freitag mitteilte. Einzelhandel, Bau und Dienstleister trugen dazu bei, während die Industrie nur ein bescheidenes Plus schaffte und der Außenhandel bremste. Die Wirtschaft der Euro-Zone wuchs einer ersten Schätzung zufolge im Frühjahr nur um 0,3 Prozent zum Vorquartal.
Großbritannien gehörte lange zu den am schnellsten wachsenden Industrieländern der Welt. Das änderte sich mit dem EU-Ausstiegsvotum der Briten im Sommer 2016, das zu einer Schwächung der Landeswährung Pfund führte und die Inflation anheizte. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum lag das Wachstum im zweiten Quartal bei 1,3 Prozent und damit nahe seinem Sechs-Jahres-Tief. Die Ungewissheit über die Modalitäten des EU-Austritts schlagen nach den Worten von Finanzminister Philip Hammond negativ auf die Konjunktur durch. "Die Unsicherheit wirkt sich natürlich dämpfend auf das Wirtschaftswachstum aus."
Die Bank von England hat in der vergangenen Woche trotzdem den Leitzins angehoben - auf 0,75 Prozent. So hoch war er letztmalig zu Zeiten der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2009. Sie signalisierte zugleich, wegen der Brexit-Unsicherheit weitere Zinsanhebungen nur sehr behutsam anzugehen.
Die Investmentbank Goldman Sachs (NYSE:GS) rechnet mit einem geordneten EU-Ausstieg. "Wir gehen davon aus, dass sich Großbritannien und die EU auf ein Freihandelsabkommen einigen, das sich auf Waren bezieht, aber die meisten Dienstleistungen ausschließt", hieß es in einer Analyse. Kommt es anders, erwarten Experten nichts Gutes für die britische Konjunktur. "Wir befürchten, dass sich die kalten Winde des Brexit nur noch verstärken werden, wenn das Austrittsabkommen nicht bald unterzeichnet wird", so der Ökonom Samuel Tombs vom Beratungsunternehmen Pantheon Macroeconomics.
Die Hälfte der Briten will einer Umfrage zufolge ein weiteres Brexit-Referendum, sollten die Austrittsverhandlungen mit der EU ohne Einigung bleiben. 50 Prozent seien dieser Ansicht, wie aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Gruppe "People's Vote" hervorgeht. Die Gruppe tritt für eine Volksabstimmung ein. 25 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, dass das Parlament entscheiden sollte, ob Großbritannien im Falle eines Zusammenbruchs der Austrittsverhandlungen in der EU bleiben sollte oder nicht.
Weniger als acht Monate vor dem geplanten EU-Austritt hat Premierministerin Theresa May noch keinen Vorschlag gefunden, der sowohl in ihrer Partei als auch von der EU akzeptiert wird. Einem zweiten Brexit-Referendum hat sie wiederholt eine Absage erteilt.