BRÜSSEL (dpa-AFX) - In der Ukraine-Krise erhöht Europa den Druck auf Russland. Beim EU-Gipfel unterschrieben die europäischen Staats- und Regierungschefs am Freitag in Brüssel mit der Ukraine ein jahrelang umstrittenes Partnerschaftsabkommen über eine enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit. Außerdem erwägen die EU-Staaten neue Sanktionen gegen Russland. Derzeit warten sie aber noch ab.
Die Staatenlenker wollten am Nachmittag den Luxemburger Jean-Claude Juncker gegen den Widerstand Großbritanniens als neuen Kommissionspräsidenten ernennen.
Auch Georgien und die Republik Moldau unterzeichneten ähnliche Assoziierungsabkommen wie die Ukraine mit der EU. Die drei Staaten hoffen auf einen späteren EU-Beitritt. Russland reagierte auf die Unterzeichnung prompt und warnte vor "ernsten Folgen".
Zu möglichen schärferen Sanktionen gegen Russland sagten Diplomaten, die Lage in der Ukraine sei zwar immer noch angespannt, doch Russlands Schritte gingen in die richtige Richtung. Sie hoben die Entscheidung des russischen Föderationsrats in Moskau hervor, der die Vollmacht für Präsident Wladimir Putin zu einem möglichen Einmarsch in die Ukraine aufgehoben hatte. Sollte sich der Ukraine-Konflikt verschärfen, könnten die EU-Staatenlenker bei einem Sondergipfel Mitte Juli über neue Strafmaßnahmen entscheiden.
Bislang hat die EU in der Ukraine-Krise gegen 61 Personen Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt. Die nächste Stufe könnte wirtschaftliche Strafmaßnahmen umfassen, was unter den Mitgliedstaaten aber höchst umstritten ist. Die deutsche Wirtschaft befürchtet bei einer Ausweitung des Ukraine-Konflikts den Verlust von bis zu 25 000 Arbeitsplätzen in Deutschland, wie der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft in Berlin mitteilte.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bat die EU um eine Zusage für eine spätere Mitgliedschaft, sofern sein Land die Voraussetzungen erfülle. Er gab eine "einseitige Erklärung" ab, dass die Ukraine mit ihrer Unterschrift unter das Abkommen ihre "souveräne Entscheidung für eine künftige Mitgliedschaft in der EU" unterstreicht. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle begrüßte den Beitrittswunsch der Ukraine. "Das ist legitim", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
Aus Moskau kamen warnende Töne. "Die Folgen der Unterschriften der Ukraine und der Republik Moldau werden zweifellos ernst sein", sagte der russische Vize-Außenminister Grigori Karassin einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Man müsse sehen, wie man "Missverständnisse und Misstrauen" vermeiden könne.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versuchte zu beruhigen: "Es gibt in diesen Abkommen und in der Haltung der EU dazu nichts, was Russland in irgendeiner Weise schaden könnte." Der neue finnische Regierungschef Alexander Stubb betonte aber mit Blick auf Moskau: "Es ist wichtig, dass wir den Druck aufrechterhalten."
Poroschenko selbst nannte das Abkommen "das Ergebnis von sieben Jahren Arbeit". Es sieht einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle für Handelswaren vor. Der politische Teil des Pakts mit Kiew war schon am 21. März unterzeichnet worden. Das Ukraine-Abkommen sollte ursprünglich schon im vergangenen November unterschrieben werden. Der damalige Präsident Viktor Janukowitsch verweigerte aber auf Moskauer Druck hin die Unterzeichnung. Dieser Kurswechsel führte zu monatelangen Protesten auf dem Maidan in Kiew.
Auch Georgien und Moldau unterstrichen in Brüssel ihren EU-Beitrittswunsch. Georgiens Regierungschef Irakli Garibaschwili sagte, Georgien wolle "ein volles Mitglied der europäischen Familie werden". Sein moldauischer Kollege Iurie Leanca sagte: "Wir wissen, wie anspruchsvoll dieser Weg sein wird. Aber zweifeln Sie nicht an unserer Entschlossenheit."
Die EU hat den drei Staaten bisher keine spätere Mitgliedschaft versprochen. EU-Kommissionspräsident Barroso sagte: "Das ist nicht das Ende des Weges, sondern der Beginn einer Reise, auf die sich die EU und die drei Partner gemeinsam begeben."
Im Tauziehen um eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik wollen sich die EU-Staatenlenker an die Stabilitätsregeln halten. "Wir respektieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt", heißt es in dem neuen Entwurf für eine Erklärung des EU-Gipfels. Dieser Satz wurde neu eingefügt. Zugleich sollen Defizitsündern mehr Spielraum erhalten. Die milliardenschweren Strukturfonds der EU zur Förderung ärmerer Regionen sollen laut Papier optimal genutzt werden. Das kommt laut Diplomaten vor allem Italien entgegen, das auf Wachstums- und Investitionsförderung pocht.b/DP/zb