von Robert Zach
Investing.com - Es ist angerichtet, der wohl wichtigste Datensatz der letzten Monate steht vor der Tür: In wenigen Stunden könnten die Hoffnungen der Anleger Wirklichkeit werden: Peak Inflation. Doch das Risiko eines erneuten Überschießens ist groß, denn bis Mitte Juni waren die Öl- und Gaspreise noch kräftig gestiegen. Da die Märkte aber eher in die Zukunft als in die Vergangenheit blicken, könnte es nach den Juni-Inflationsdaten zu einer kräftigen Erleichterungsrallye an der Wall Street kommen, sollte sich die Sichtweise durchsetzen, dass wir den Gipfel der Inflation gesehen haben.
"Wir gehen davon aus, dass der Aktienmarkt kurzfristig wieder anzieht (Risk-On-Rallye), sollte der Verbraucherpreisindex im Rahmen, leicht über oder deutlich unter dem Konsens liegen", schrieb Chris Harvey, Aktienstratege von Wells Fargo (NYSE:WFC).
Die Anleger an der Wall Street hielten sich gestern mit größeren Engagements noch zurück. Der Dow Jones verlor 0,62 Prozent oder 192,5 Punkte. Mit 30.981 Punkten beendete der US-Standardindex den Handel knapp unter der 31.000 Punkte-Marke. Der breiter gefasste S&P 500 sank um 0,92 Prozent auf 3.818,80 Punkte, und der NASDAQ Composite fiel um 0,95 Prozent auf 11.264 Punkte.
Von Investing.com befragte Volkswirte erwarten, dass der Verbraucherpreisindex im Juni um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen ist. Im Mai erreichte die Jahresrate mit 8,6 Prozent ein neues Rekordhoch. Im Monatsvergleich wird mit einem Anstieg von 1,1 Prozent nach 1,0 Prozent im Vormonat gerechnet.
Die Teuerungsdaten werden um 14.30 Uhr MEZ vom US-Arbeitsministerium in Washington veröffentlicht.
Eine weitere Abkühlung sagen Ökonomen für die Kerninflation voraus. Entsprechend soll die Jahresrate von 6,0 Prozent auf 5,7 Prozent zurückgehen. Es wäre der dritte Rückgang in Folge.
"Obwohl wir für heute eine weitere hohe Teuerungsrate erwarten, mehren sich die Anzeichen für eine Entspannung an der Inflationsfront dank weiterer Verluste bei einer Reihe wichtiger Rohstoffe", schreibt Deutsche Bank-Stratege Jim Reid.
Wegen zuletzt aufgekommener Rezessionsängste gaben Schlüsselrohstoffe wie Öl (-8,99 Prozent), Benzin (-4 Prozent), Kupfer (-11,65 Prozent), Weizen (-6,96 Prozent) und Mais (-19,83 Prozent) seit Monatsbeginn merklich nach.
Dass sich die Inflation abkühlt, lässt sich auch an der so genannten Breakeven-Rate ablesen. Die Breakeven-Rate beschreibt den Spread zwischen den Anleiherenditen und inflationsindexierten Anleihen mit der gleichen Laufzeit. Während die 5-Jahres-Breakeven-Rate von 3,59 Prozent im April auf aktuell 2,50 Prozent gefallen ist, ist die 10-jährige von 3,02 Prozent im April auf 2,32 Prozent gesunken - die Märkte erwarten also längerfristig einen Rückgang der Inflation.
Die von der New York Fed ermittelten Inflationserwartungen bei einem Zeithorizont von drei Jahren befinden sich ebenfalls seit fast einem Jahr in einem abwärts gerichteten Trend. Das Hoch markierte das Barometer im August/September letzten Jahres bei 4,2 Prozent. Aktuell liegen die durchschnittlichen Erwartungen bei 3,6 Prozent. Dieser Wert liegt zwar immer noch deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Fed, lässt aber auch erkennen, dass Powells Entschlossenheit, alles zu tun, um die Inflation nach unten zu bringen, allmählich durchschlägt.
Aber auch ein anderer wichtiger Faktor, der in den letzten Monaten zu immer höheren Preisen beigetragen hat, bessert sich allmählich. Konkret handelt es sich dabei um die Lieferketten. So gehen die internationalen Seefrachtraten weiter zurück und liegen jetzt 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Darüber hinaus lockern immer mehr Länder ihre Corona-Beschränkungen, so dass mehr und mehr Länder aus ihrem Lockdown herauskommen, wenngleich die Regierung in Peking vor kurzem erneut Alarm wegen einer vermutlich hochinfektiösen Omikron-Variante geschlagen hat.
Trotz der sich mittel- bis langfristig abzeichnenden Entspannung an der Inflationsfront dürfte die Inflationsrate im Juni neue Rekordhochs erklimmen. Dies öffnet die Tür für eine weitere große Zinserhöhung der Fed auf ihrer Sitzung Ende Juli.
Die Wahrscheinlichkeit einer 75 Basispunkte-Anhebung auf der Sitzung am 27. Juli liegt bei 90 Prozent. Damit würde das Zielband der Fed-Funds-Rate auf 2,25 bis 2,50 Prozent steigen. Danach könnte die US-Notenbank etwas den Fuß vom Gas nehmen, denn sehr große Zinsschritte würden den Ökonomen der Helaba auch das Risiko des Überschießens bergen. Der Grund: "[…] geldpolitische Entscheidungen haben in der Regel Wirkungsverzögerungen von bis zu einem Jahr und mehr. Darauf hat FOMC-Mitglied Esther George jüngst verwiesen und so eröffnet sich im Herbst und Winter die Perspektive eines flacheren Zinspfades der Fed. Die Bedenkenträger innerhalb des FOMCs werden dabei wohl auch auf die Tatsache verweisen, dass die Kerninflation zuletzt nicht weiter gestiegen ist."