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ROUNDUP 4/Gaskrise: Erstes Steinkohlekraftwerk kehrt an den Markt zurück

Veröffentlicht am 01.08.2022, 20:04
Aktualisiert 01.08.2022, 20:15
© Reuters.
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(neu: Netzagentur, 2. Absatz)

BONN/HOHENHAMELN (dpa-AFX) - Zur Bekämpfung des drohenden Gasmangels kehrt ein erstes Reserve-Steinkohlekraftwerk an den Strommarkt zurück. Es handelt sich um das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln (Landkreis Peine) zwischen Hannover und Braunschweig, das dem tschechischen Energiekonzern EPH gehört. Es sei bislang die einzige "Marktrückkehr" eines Kraftwerks, die der Bundesnetzagentur angezeigt worden sei, teilte die Behörde auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Seit 14. Juli erlaubt eine Verordnung, dass Steinkohlekraftwerke aus der sogenannten Netzreserve wieder in Betrieb gehen können, um Erdgas einzusparen.

Seit Sonntagmittag sei das Kraftwerk wieder am Netz, sagte der Geschäftsführer der Betreibergesellschaft, Armin Fieber, am Montag. Mindestens 14 Tage werde die Anlage nun im Betrieb sein, um das Netz zu stabilisieren. Nach Angaben der Bundesnetzagentur ist das Kraftwerk seit Montag wieder am Markt im Einsatz.

Um die Stromerzeugung aus Gas hatte sich am Wochenende eine Kontroverse innerhalb der Bundesregierung entwickelt. Finanzminister Christian Lindner forderte, diese zu stoppen. "Wir müssen daran arbeiten, dass zur Gaskrise nicht eine Stromkrise kommt", sagte der FDP-Vorsitzende der "Bild am Sonntag". "Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert."

Ein Sprecher Habecks wies darauf hin, dass ein völliger Verzicht auf Gas im Stromsektor zur Stromkrise und Blackouts führe. "Es gibt systemrelevante Gaskraftwerke, die mit Gas versorgt werden müssen. Bekommen sie kein Gas, kommt es zu schweren Störungen. Das ist leider die Realität des Stromsystems, die man kennen muss, um die Versorgungssicherheit herzustellen." Da, wo Gas aber in der Stromerzeugung ersetzt werden könne, solle es ersetzt werden - und daran werde längst mit Hochdruck gearbeitet. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte in den "Sat.1 Nachrichten", dass "ein bisschen Gas" weiterhin gebraucht werde - etwa für den Spitzenausgleich bei erneuerbaren Energien.

Im Juli lag der Erdgas-Anteil an der öffentlichen Nettostromerzeugung in Deutschland laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) bei 9,8 Prozent. Darunter sind nach Angaben des ISE-Stromexperten Bruno Burger zum einen Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung, die zusätzlich zur Stromerzeugung auch Fernwärmenetze versorgen. Zum anderen gehören auch Gaskraftwerke dazu, die derzeit ihren Strom vor allem wegen des Strommangels in Frankreich an der Börse verkaufen. Dort sei im Juli wegen zahlreicher aktuell vom Netz genommener Blöcke so wenig Atomstrom produziert worden wie in keinem anderen Monat seit mindestens 2015, sagte Burger. Im europäischen Strommarkt sei Frankreich normalerweise Stromexporteur. Diese Mengen fehlten jetzt auch in anderen Ländern wie etwa Italien oder der Schweiz. Diese zusätzliche Nachfrage sei neben den hohen Gaspreisen auch ein Grund für die gestiegenen Großhandelspreise. Nach seinen Angaben wird in Deutschland rund die Hälfte des erzeugten Stroms über die Strombörse gehandelt, die andere Hälfte über direkte Verträge zwischen Stromproduzenten und Abnehmern.

Das Kraftwerk Mehrum befindet sich nach Betreiberangaben seit Anfang Dezember 2021 in der Reserve. Es hat eine Nettoleistung von 690 Megawatt. Über die geplante Rückkehr von Mehrum an den Strommarkt hatte zuvor die "Braunschweiger Zeitung" berichtet.

Die Verordnung der Bundesregierung erlaubt den Stromverkauf aus Reservekraftwerken, die mit Steinkohle oder Öl befeuert werden, bis Ende April 2023. Das Wiederanfahren für mehrere Monate ist für Kraftwerksbetreiber wirtschaftlich interessant, weil die Strom-Großhandelspreise derzeit hoch sind. Gleichzeitig ist ausreichend Steinkohle auf dem Weltmarkt vorhanden. Mit der Maßnahme soll Erdgas aus dem Strommarkt verdrängt werden.

Wieder mehr Strom verkaufen will auch der Essener Energiekonzern Steag. Man habe die "feste Absicht", mit 2300 Megawatt Erzeugungsleistung in den Markt zurückzukehren, sagte Unternehmenssprecher Markus Hennes. Die Kraftwerke stehen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Hürden sieht die Steag noch bei der finanziellen Absicherung der Kohlevorräte, die laut Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG) vorliegen müssen, und bei der Transportlogistik. So seien die Kapazitäten auf Binnenschiffen derzeit wegen niedriger Fluss-Wasserstände begrenzt. Auch beim Transport über die Schiene sieht die Steag Herausforderungen. So müssten dann allein ins Saarland jede Woche 26 Züge mit Steinkohle fahren anstatt derzeit drei, sagte der Sprecher.

Auch das Düsseldorfer Energieunternehmen Uniper (ETR:UN01) prüft die Rückkehr seiner Reserveanlagen mit einer Leistung von insgesamt mehr als 2000 Megawatt in den Markt. Noch sei aber keine Entscheidung gefallen, sagte Sprecher Oliver Roeder. "Leider kann auch momentan nicht gesagt werden, wann es zu einer Entscheidung kommt, da unter anderem noch technische, organisatorische und betriebswirtschaftliche Probleme zu lösen sind."

Der Karlsruher Energiekonzern EnBW (ETR:EBKG) will seine fünf Reservekraftwerke nicht zurück an den Markt bringen, da sie aus Altersgründen nicht mehr ununterbrochen laufen könnten. Unabhängig von den EKBG-Sonderregelungen will das Unternehmen vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der aktuellen Entwicklung auf dem Gasmarkt jetzt aber einen Kohleblock in Karlsruhe mindestens bis Ende des Winters 2023/24 weiterlaufen lassen. Ursprünglich wollte EnBW im Zuge des Kohleausstiegs diesen Block (NYSE:SQ) im Sommer 2022 zur Stilllegung anmelden.

Neben der bereits gültigen Verordnung für Steinkohle- und Öl-Kraftwerke wird für Anfang Oktober auch eine Verordnung für das Wiederanfahren von bereits stillgelegten Braunkohlekraftwerken vorbereitet. Hinzu kommt eine Gaseinsparverordnung, die die unnötige Verstromung von Erdgas verhindern soll. "Die Verordnung wird aktuell vorbereitet und tritt dann in Kraft, wenn sich abzeichnet, dass noch mehr Gas bei der Stromerzeugung eingespart werden muss", hatte das Wirtschaftsministerium am 21. Juli mitgeteilt.

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