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Veröffentlicht am 01.06.2012, 20:41
Aktualisiert 01.06.2012, 20:44
Börsen-Zeitung: Im Tunnel, Börsenkommentar 'Marktplatz', von Georg

Blaha.

Frankfurt (ots) - Es war kein schöner Wochenausklang für die

europäischen Märkte. Der Dax krachte um 3,4% auf 6050 Punkte ein und

nahm schon Anlauf, die Schwelle von 6000 Zählern nach unten zu

durchbrechen. Der Euro gab den achten Handelstag in Folge nach und

rutschte unter 1,23 Dollar, den tiefsten Stand seit Mitte 2010.

Fast im Wochenrhythmus erhöht sich die Unsicherheit, die die

Märkte derzeit absorbieren müssen. Als ob ein drohender

Griechenland-Abgang aus der Währungsunion und eine Bankenkrise in

Spanien nicht schon genug wären, setzte es am Freitag von der

Konjunkturseite gleich einen Doppelschlag. Chinas

Einkaufsmanagerindex sank im Mai unerwartet stark auf 50,4 Punkte von

53,3 Zählern im Vormonat. Gleichzeitig enttäuschten Daten vom

US-Arbeitsmarkt. Im Mai wurden mit nur 69000 neuen Stellen nicht

einmal halb so viele neue Jobs geschaffen, wie erwartet worden war.

Das Bild, das sich bietet, ist eindeutig. Anders als noch zum

Jahreswechsel geht den beiden Konjunkturlokomotiven der

Weltwirtschaft nun der Schwung aus. Dass sich eine globale

Wachstumsschwäche oder gar Rezession abzeichnet, gibt der ohnehin

schon hohen Unsicherheit eine neue Qualität. Die Märkte sind im

Tunnel.

Die Liste an Faktoren, die die Stimmung der Teilnehmer belastet,

wird immer länger und lässt den guten Jahresauftakt der Börsen wie

eine Episode aus einer anderen historischen Ära erscheinen. Seit den

Parlamentswahlen in Griechenland vom Mai hat die Risikoscheu die

Märkte wieder fest im Griff. An erster Stelle der Belastungsfaktoren

ist ein mögliches Ausscheiden von Hellas aus der Eurozone ('Grexit')

zu nennen. Glaubt man den Prognosen, so ist ein Wahlsieg der

linksradikalen Gegner des Sparkurses am 17. Juni zwar noch keine

ausgemachte Sache. Aber auch ein Sieg der etablierten Parteien,

welche die Sparprogramme fortführen wollen, wäre noch kein

Startschuss für eine Erleichterungsrally. Denn auch diese Parteien

können angesichts wackliger Koalitionen daran scheitern, eine stabile

Regierung aufzustellen - praktisch jederzeit könnte es Neuwahlen

geben, und die Frage um den Verbleib des Landes im Währungsraum würde

sich von Neuem stellen.

Mit Blick auf einen möglichen 'Grexit' schrieben die Analysten

einer Investmentbank: 'Es gibt kein vergleichbares Risikoereignis mit

solch komplizierten ökonomischen, finanziellen, politischen und

rechtlichen Auswirkungen.' Dass der Datenanbieter Bloomberg offenbar

schon den Handel einer neuen griechischen Drachme getestet hat,

zeigt, wie nahe ein Ausstieg des Landes gerückt ist. In jedem Fall

wird Griechenland die Märkte noch lange intensiv beschäftigen.

Eine Lösung der eskalierenden Bankenkrise in Spanien lässt

ebenfalls auf sich warten. Wiederum ist es nicht das Ereignis selbst,

sondern die damit verbundene Unsicherheit, die die Anleger

verschreckt. Ein Bail-out der angeschlagenen Bankia mit 24 Mrd. Euro

beeindruckt niemanden - was für Nervosität sorgt, ist die

Ungewissheit darüber, welche Leichen aus der Kreditvergabe vom

Immobilienboom die spanischen Banken noch im Keller haben. Die auf

Rekordhochs steigenden Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen

sprechen eine klare Sprache.

Anleger sollten zudem die geopolitischen Risiken im Blick

behalten. Ein militärisches Eingreifen der Westmächte in den

Syrien-Konflikt birgt angesichts des Widerstands der Öl-Macht

Russland wieder ganz neue Unsicherheiten. Das Gleiche gilt für eine

militärische Auseinandersetzung mit dem Iran. Im schlimmsten Fall

droht den Märkten eine üble Kombination der Schrecken aus den Jahren

2008 sowie 2002/2003: Ein 'Grexit' mit Ansteckungseffekten käme der

Pleite von Lehman Brothers gleich. Ein neuer Krieg würde wie beim

Waffengang der USA gegen den Irak das Vertrauen der Wirtschafts- und

Marktteilnehmer erschüttern - alle würden erst einmal auf die Bremse

treten. Der Tunnel, in dem die Märkte fahren, würde sich in solch

einem Fall auf eine kaum absehbare Strecke verlängern. Der Dax ist

jetzt schon auf dem besten Weg zurück zum Buchwert von 5400 Zählern.

Bei einem 'Grexit' könnte der Euro unter Parität zum Dollar sinken.

Hoffnungsschimmer gibt es, aber es sind wenige: Ein Eingreifen der

EZB und der amerikanischen Federal Reserve könnte Schlimmeres

verhindern. Ein Sieg der Vernunft in Griechenland würde einen

Unsicherheitsfaktor von der Liste nehmen. Wenn eine kriegerische

Auseinandersetzung in Nahost ausbleibt, dann wird 2012 nur ein sehr

schwaches Börsenjahr. Kein Best-Case-Szenario, das zu Jubelstimmung

verführt.

(Börsen-Zeitung, 2.6.2012)

Originaltext: Börsen-Zeitung

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