Investing.com - Am Mittwoch schloss der VIX, das Angstbarometer der Wall Street, auf dem niedrigsten Stand seit Januar 2020. Dies wird von einigen als Bestätigung dafür gesehen, dass sich die Wall Street in einem Bullenmarkt befindet. Doch sollten wir dieser Einschätzung bedingungslos Glauben schenken?
Der Rückgang des VIX unter 14,00 Indexpunkte ist das Ergebnis einer beeindruckenden Erholungsrallye des S&P 500 seit Oktober letzten Jahres. Der US-Leitindex konnte sich um über 20 Prozent von seinen Tiefs erholen, was technisch betrachtet einem neuen Bullenmarkt entspricht.
Nicholas Colas, Mitgründer von DataTrek Research, weist darauf hin, dass angesichts des VIX-Rückgangs die Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte, dass sich die Märkte in einem neuen Volatilitätsregime befinden. Er betont, dass, obwohl die wirtschaftlichen und marktbedingten Bedingungen noch nicht wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht haben, der VIX darauf hindeutet, dass wir ihnen näher sind, als es auf den ersten Blick scheinen mag. "Der Rückgang des VIX auf das Niveau vor März 2020 ist zweifellos eine bemerkenswerte Entwicklung, die Aufmerksamkeit verdient", schreibt er in seiner täglichen Kolumne.
Trotz der Ankündigung der Federal Reserve, die Zinsen in diesem Jahr mindestens zwei weitere Male um insgesamt 50 Basispunkte zu erhöhen, sind die Investoren extrem sorglos. Gleichzeitig liegt die Inflation weiterhin über dem von der Fed festgelegten Ziel von 2 Prozent. Im Hintergrund schwelen auch weiterhin die Spannungen zwischen den USA und China, obwohl sich zuletzt eine Entspannung abgezeichnet hat. Allerdings hat US-Präsident Biden mit seiner pikanten Bemerkung, in der er den chinesischen Staatschef als "Diktator" bezeichnete, diese positive Entwicklung wieder zunichte gemacht.
Charlie Bilello, Analyst und Experte, betont, dass die Sorglosigkeit der Investoren kein Hindernis für weitere Kurssteigerungen an den Aktienmärkten darstellt. Er verweist darauf, dass die durchschnittlichen Forward-Renditen für den S&P 500 auf Sicht von 1 bis 5 Jahren bei den niedrigsten 10 Prozent der VIX-Niveaus (12).
Während die Stimmen an der Wall Street zunehmend bullisch werden, wie die jüngste Prognoseerhöhung von Goldman Sachs (NYSE:GS) für den S&P 500 nahelegt, warnt Lance Roberts, Chef-Portfoliostratege und Ökonom bei RIA Advisors, dass eine Korrektur mittlerweile im Bereich des Möglichen liegt. Als Begründung führt er den Abstand des S&P 500 zu seiner 200-Wochen-Linie an. "Je weiter der Kurs des S&P 500 von diesem langfristigen Durchschnitt entfernt ist, desto stärker ist die Anziehungskraft, sich wieder diesem Durchschnitt anzunähern. Derzeit wird der S&P 500 10% über seinem 200-DMA gehandelt", so seine Analyse.
Auch die allgemeine Euphorie am Aktienmarkt mahnt laut Roberts zur Vorsicht. Er verweist dabei auf die AAII Investor Sentiment Survey, eine Umfrage zum Sentiment an den Finanzmärkten, und betont, dass nun selbst "die letzten Bären ins Bullenlager übergelaufen sind".
"Obwohl diese Kennzahl nicht auf einem Niveau liegt, das normalerweise mit Marktspitzen assoziiert wird, deutet der starke Anstieg darauf hin, dass die Bären kapituliert haben", so Roberts. "Auch wenn dieser Stimmungsumschwung noch nicht so extrem ist, so ist er doch oft eher ein Zeichen für das Ende einer Rally als für einen Beginn."
In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen an der Wall Street ist es ratsam, die Lage weiterhin genau im Auge zu behalten. Während einige den Bullenmarkt ausgiebig feiern, gibt es nach wie vor Experten, die auf mögliche Risiken und Korrekturen hinweisen. Es bleibt spannend, wie sich die Situation an den Finanzmärkten in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wird.
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