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Veröffentlicht am 10.11.2011, 20:06
Aktualisiert 10.11.2011, 20:08
BERLINER MORGENPOST: Wirtschaft? Keine Ahnung - Leitartikel

Berlin (ots) - Wir Deutschen sind ja die geborenen Experten. Vati

weiß alles über Kopfballstärken und Linksfüße. Der Sohn kennt alle

strategischen Kniffe beim Computerspiel 'World of Warcraft'. Mutti

wiederum analysiert jedes Blatt Salat auf seinen Nährwert und die

Herkunft aus biologisch-brandenburgischem Anbau. Wenn wir wollen,

dann wissen wir Bescheid. Nur eine Disziplin, die kommt zu kurz -

Wirtschaft. Zwar sind wir begnadete Schnäppchenjäger, die

Winterstiefel im Internet mit Maximalrabatt ergattern. Aber die

großen Zusammenhänge der Ökonomie, tja, die ..., also - weiß man

jetzt auch nicht so genau. Zum Beispiel die einfache Frage: Was macht

die Europäische Zentralbank? In einer 80 Seiten starken

Info-Broschüre stehen Sätze wie: 'Aufgrund seiner Liquidität erbringt

Geld seinem Besitzer eine Dienstleistung, indem es Transaktionen

erleichtert.' Alles klar? Natürlich nicht. Aber solche Sätze darf das

Institut ungestraft verbreiten, weil den Kram eh keiner liest und

keiner sich beschwert. Es wäre nun zu leicht, die Schuld, wie immer,

bei der Politik abzuladen. Der Bürger selbst steht in der Pflicht,

sich kundig zu machen. Beim Kauf eines neuen Autos schafft er das ja

auch, wenn er hingebungsvoll Testberichte studiert und am liebsten

mit dem Stethoskop noch in die letzte Kurbelwelle hineinhorcht. Bei

ökonomischen Themen fehlt diese Leidenschaft. Mehrere Forscher haben

ermittelt, wie es um unser Fachwissen zur Geldpolitik steht. Das

Ergebnis ist ernüchternd bis erschreckend. Selbst angehende Ökonomen

blicken nur selten durch, wie eine Studie mit Studenten ergab. In

Sachen wirtschaftspolitischem Wissen rangiert Deutschland

international irgendwo im Mittelfeld, weit abgeschlagen hinter

Hongkong oder Singapur. Wie aber soll der Wähler sich für eine

Politik entscheiden, wenn er nicht mal im Ansatz kapiert, was da

gerade mit den Zinsen für italienische Anleihen geschieht und wie

eine EZB warum darauf reagiert? Aber in welcher Schule ist

Geldpolitik Unterrichtsstoff, in welcher Familie Gesprächsthema beim

Abendbrot? Ein Grund für die Finanzkrise der Jahre 2008/2009 war,

dass sich Amerikaner abenteuerliche Darlehen aufschwatzen ließen,

deren Zinsmechanismen sie nicht verstanden. Und der deutsche Anleger

kaufte Lehman-Zertifikate, weil der Herr von der Bank so nett

griente. Wie aber reagiert der Mensch, der keine Ahnung hat in

Krisenzeiten wie diesen? Er flieht sich in Stereotypen, gern der

aggressiven Sorte: Alle Banker sind Schweine, die Griechen sowieso

und die Italiener erst, und Geld sowieso ein schmutziges Geschäft.

Mit solchen Plattheiten, der Psychologe spricht von Kompensation,

wird man der komplexen Krise kaum gerecht. Wirtschaft ist eine

Wissenschaft, mit ihren Irrungen, aber auch mit einem gehörigen

historischen Erfahrungsschatz. Auch eine Lehre aus der Krise: Statt

nutzloses Wissen über Mondphasen-Apps anzuhäufen, könnte der Bürger

zur Abwechslung mal ein wenig Wirtschaftskunde inhalieren.

Originaltext: BERLINER MORGENPOST

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BERLINER MORGENPOST

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Telefon: 030/2591-73650

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