Am Montagnachmittag (US-Ostküstenzeit) kündigte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu an, dass seine Regierung im Verborgenen über 100.000 Datensätze und Dokumente aus Teheran erworben hat, die Informationen über ein geheimes Kernraketenprogramm des Irans enthalten. Er präsentierte der Öffentlichkeit Auszüge aus diesen Dokumenten, in einem Versuch zu beweisen, dass der Iran das Nuklearabkommen JCPOA verletzt habe, da das Land Informationen über sein Kernwaffenprogramm zurückgehalten habe.
Während seiner Rede stieg der Ölpreis. WTI erreichte etwa zehn Minuten in Netanyahus Rede hinein ein neues Hoch von 69,12 USD. Eine Stunde nach der Rede war es wieder zurück auf 68,45 USD das Fass. Es war eine klare Reaktion des Ölmarkts auf die Rede und die Informationen in ihr.
Der Ölpreis ist in den letzten Wochen gestiegen, zum Teil in Vorwegnahme von US-Präsident Trump Entscheidung am 12. Mai, ob der die Sanktionen gegen den Iran wieder auflegen werde. Einige Analysten behaupten, dass der Ölmarkt schon jetzt die mögliche Neuauflage der Sanktionen berücksichtigt und die Kurse nicht weiter steigen werden, wenn Trump entscheidet die Sanktionen am 12. Mai einzuführen. Sie glauben, dass eine Entscheidung gegen den Iran schon im Markt eingepreist ist.
Allerdings, Netanyahus Rede und der plötzliche Ausschlag des Ölpreises den diese auslöste deutet an, dass die Ölmärkte die Folgen einer Entscheidung gegen den Iran noch nicht vollständig berücksichtigt haben. Die mögliche Wiederaufnahme der Sanktionen gegen den Iran könnte bis zu einer Millionen Fass Öl vom Weltmarkt nehmen und die politischen Krisen im Nahen Osten verschärfen. Ein solcher Schritt könnte auch zu einem Riss zwischen den Vereinigten Staaten und Europa führen. Der Ausschlag der Ölpreise, der mit Netanyahus Rede zusammenfiel (und der anschließende Rückfall auf die Nachrichten) machte klar, dass es Platz für einen weiteren Anstieg der Ölkurse nach Trumps Entscheidung gibt.
Die Analysten schienen sich uneins, was für eine Botschaft von Netanyahus Rede ausging. Sie könnte andeuten, dass die Trump-Administration davor steht, die Sanktionen wieder in Kraft zu setzen (was effektiv das Aus für JCPOA bedeutete) und Netanyahus Enthüllungen waren daraufhin angelegt, dies zu unterstützen. Auf der anderen Seite könnte es ein Zeichen sein, dass die US-Administration plant die Sanktionen weiter auszusetzen, was das JCPOA erhalten würde; so vielleicht kam Netanyahus Präsentation um Druck auf die Administration auszuüben, ihre Haltung zu ändern.
Der eine Umstand, der die Reaktion der Ölmärkte auf Trumps Entscheidung unterdrücken könnte, ist der Zeitpunkt. Der US-Präsident muss die Sanktionen bis zum 12. Mai aussetzen, der ein Sonnabend ist. Sollte der Präsident seine Entscheidung am 12. Mai in den USA öffentlich machen, dann werden wir keine Reaktion am Ölmarkt sehen, bis die Derivatemärkte in der Sonntagnacht (US-Ostküstenzeit) den Handel beginnen. Eine hastige Reaktion wie wir sie während Netanyahus Rede am Montagnachmittag sahen, wäre unmöglich. Bis zur Sonntagnacht werden die Händler genügend Muße gehabt haben, die Entscheidung zu verdauen und nicht auf die unmittelbaren Meldungen reagieren. Natürlich könnte Trump entscheiden, sich schon vor dem 12. Mai in der Sache festzulegen und es am Tag davor, einem Freitag, anzukündigen, bevor der Handel zu Ende geht. In diesem Fall könnte der Ölmarkt in schweres Fahrwasser geraten.