An den Aktienmärkten wurde gestern ein Anstieg bei den Einzelhandelsumsätzen in den USA mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Denn die Verbraucher haben trotz der extrem hohen Inflation (siehe „Der letzte Inflationsschock?“) und einer dadurch stark eingetrübten Konsumlaune (siehe „Trübe Konsumlaune machte den Bullen einen Strich durch die Rechnung“) im Juni mehr Geld für Einkäufe in die Hand genommen.
Allerdings wohl notgedrungen, denn der Anstieg der Einzelhandelsumsätze um 1,0 % gegenüber dem Vormonat ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Preise, wie am Mittwoch erst berichtet, im Juni gegenüber dem Vormonat sogar um +1,3 % zugelegt haben. Preisbereinigt bleibt also nicht viel übrig vom Anstieg der Shopping-Erlöse. Allerdings hatten Experten im Vorfeld nur mit einem Plus von 0,8 % gerechnet, nach einem Minus von 0,1 % im Mai. Und daher reagierten die Aktienmärkte gestern mit recht ordentlichen Kurssprüngen deutlich positiv auf die Daten.
Chinas Wirtschaft erholt sich von Corona-Lockdowns
Auch China meldete gestern überraschend hohe Einzelhandelsumsätze. Statt eines erwarteten Rückgangs um 0,3 % – hier allerdings nicht zum Vormonat, sondern zum Vorjahresmonat – ist es zu einem Anstieg um 3,1 % gekommen. Grund für diesen starken Anstieg dürfte sein, dass sich eine aufgestaute Shopping-Lust entladen konnte. Denn in China wurden weitreichende Lockdowns beendet, die in den Vormonaten zu deutlich rückläufigen Umsätzen im Einzelhandel geführt hatten – im Mai um -6,7 % und im April sogar um -11,1 %).
Dementsprechend schwach fiel das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal 2022 aus. Mit +0,4 % zum Vorjahreszeitraum lag es sogar unter den Erwartungen von 1,0 %, nachdem im Quartal zuvor noch ein Plus von 4,8 % erzielt werden konnte.
Und im Vergleich zum Vorquartal sank das BIP von April bis Juni gar um -2,6 %.
Klammert man den Schock vom Ausbruch der Coronavirus-Pandemie Anfang 2020 aus, war dies das schwächste Quartal der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft seit Beginn der Datenerhebung 1992.
Doch das zweite Quartal 2022 ist vorbei und somit Vergangenheit. An der Börse wird aber die Zukunft gehandelt. Und auch die gestrigen Daten aus den USA und China deuten insgesamt daraufhin, dass das Schlimmste (bald) hinter uns liegen könnte.
DAX: Korrekturtief noch einmal knapp verteidigt
Vor diesem Hintergrund ist es auch nachvollziehbar, dass der DAX im zweiten Anlauf erneut das Korrekturtief vom März verteidigen konnte (siehe grüne Pfeile im folgenden Chart) und der deutsche Leitindex somit immer noch nicht schlechter dasteht als vor vier Monaten.
Allerdings hat der Druck auf die wichtige Marke durch den erneuten Anlauf zugenommen. Zumal es dem DAX kürzlich nicht gelungen ist, die Tiefs aus der Seitwärtskonsolidierung bzw. moderaten Abwärtsbewegung von Mitte bis Ende Juni zu überwinden (gelber Balken), die den kurzfristigen Abwärtstrendkanal begründet (rot im Chart). Dadurch wurde wieder ein tieferes Hoch gebildet (roter Pfeil).
Wenn der DAX daher nicht bald deutlich zulegen kann, werden die Bären mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Chance wittern. Womöglich hatten sie nicht genug Kraft, um ausgehend von Anfang Juni nach einem Kurseinbruch von mehr als 15 % auch noch das Korrekturtief direkt zu durchbrechen. Und vielleicht sammeln sie nun lediglich neue Kraft für den dafür nötigen nächsten Abwärtsimpuls. Dieser könnte dann den finalen Sell-Off darstellen, der womöglich noch zu einer endgültigen Marktbereinigung fehlt.
Kann der DAX aber über sein Juli-Hoch im Bereich der psychologisch wichtigen Marke von runden 13.000 Punkten steigen, greifen die Bullen damit zugleich auch die Abwärtstrend(kanal)linien an. Und ein Ausbruch darüber würde klar bullishe Signale liefern.
Warten auf den 21. Juli?
Vielleicht müssen wir aber noch eine Weile auf eine Richtungsentscheidung warten. Im „Börse-Intern Premium“ war vorgestern zu lesen, dass die Anleger womöglich erst sehen wollen, ob die Gaslieferungen nach der Wartung von Nord Stream 1 wieder aufgenommen werden. Der Stichtag für eine neue Impulsbewegung an den Aktienmärkten könnte also der 21. Juli sein. Denn bis dahin ist die Wartung der Pipeline planmäßig vorgesehen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus