Bevor ich gestern auf die Geldpolitik der Fed eingehe, zunächst zum DAX:
Der DAX ist nach dem Ausbruch auf ein neues Allzeithoch wieder in seine Seitwärtsbewegung zurückgefallen. In einer Seitwärtsbewegung ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese fortgesetzt wird, immer höher, als die, dass es zu einem Ausbruch kommt. Schließlich läuft der Kurs viele Male hin und her, bricht aber nur einmal aus. Wir müssen also als favorisiertes Szenario davon ausgehen, dass er diese Seitwärtsbewegung einfach weiter fortsetzt. Damit ist auch klar: Das favorisierte Szenario ist weiterhin die Seitwärtsbewegung und zwar genau so lange, bis es zu einem nachhaltigen Ausbruch kommt.
Da wir uns aber eigentlich nicht in einer Seitwärtsbewegung aufhalten, sondern mit der 10.000-Punkte-Marke kämpfen, ist das Bild zurzeit verzerrt. Das sollten Sie unbedingt berücksichtigen. Wir haben es somit im Moment, besonders an der Oberseite dieser Seitwärtsbewegung, mit sehr schlechten Tradingsignalen zu tun! Wenn Sie also auf die fallende Notierungen innerhalb der Seitwärtsbewegungen mit Kursziel 9.000-Punkte traden wollen, sollten Sie das nur sehr vorsichtig und eng abgesichert tun. Da es sich zudem um eine Seitwärtsbewegung in einem großen Aufwärtstrend handelt, sind die Chancen in dieser Seitwärtsbewegung auf der Long-Seite immer noch deutlich höher.
Der Übergang in die Straffung der Geldpolitik in den USA
Ich hatte vorgestern unter den US-Konjunkturdaten schon geschrieben, dass die Verbraucherpreise (Inflation) in den USA anziehen. Das ist vielleicht die wichtigste Information aus den USA zurzeit. Nun darf man auf keinen Fall einzelne Werte und Entwicklungen überbewerten. Warum aber diese Kennzahl zurzeit und in den kommenden Monaten, vielleicht sogar Jahren, so wichtig ist, möchte ich gestern erläutern.
Dazu ist aber zunächst ein kleiner Rückblick notwendig:
Die ungedeckten Kredite der US-Immobilienblase
Beim Immobilienboom in den USA wurden viele Kredite vergeben, die über den mittlerweile schon extrem hohen Wert der zugrundeliegenden Immobilien abgedeckt waren. Als dann die Häuserpreise in der US-Immobilienkrise massiv einbrachen, weil keiner diese hohen Preise für Immobilien mehr bezahlen wollte, sanken die Preise dramatisch. Das heißt: Selbst wenn die Bank diese Immobilien veräußerte, würde sie nur einen Teil des Kredites zurückerhalten. Gleichzeitig wurden viele Menschen durch die Immobilienkrise arbeitslos und konnten nun selbst nicht mehr ihre Immobilienkredite bezahlen. Es entstand ein Teufelskreis, der dazu führte, dass die US-Banken (und andere) auf einer riesigen Menge ungedeckter Kredite sitzen blieben. Es entstand somit ein riesiges Kreditvakuum in den USA.
Die Angst vor japanischen Verhältnissen
Die darauf eintretende wirtschaftliche Krise sowie die zahlreichen Arbeitslosen brachten die US-Wirtschaft in ein deflationäres Umfeld. Ähnliches war in den 1990er Jahren in Japan geschehen, die seitdem nun schon mehr als 20 Jahren mit dem Deflationsgespenst kämpfen.
Die Volkswirtschaftslehre, die bis in die 1990er Jahre hinein noch im festen Glauben war, dass in einer Fiat-Währung eine Deflation absolut unmöglich wäre, musste angesichts der Ereignisse in Japan umdenken. (Fiat-Währung ist eine Währung, die nicht durch eine „Ware“, wie zum Beispiel Gold, gedeckt ist)
Bei den Entscheidern in den USA setzte sich die These durch, dass Japan in den 1990ern einfach zu zögerlich die Geldschleusen geöffnet hätten und sich so diese Deflation etablieren konnte (neben anderen Gründen). Das ist zum Beispiel in dem Buch „Mein Leben für die Wirtschaft“ vom Ex-Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan nachzulesen.
Die US-Notenbank versuchte es besser zu machen
Entsprechend reagierte die US-Notenbank in der Immobilienkrise sehr zügig und es kam zu der hoch expansiven Geldpolitik, mit der wir seit der Lehman-Brothers-Pleite konfrontiert sind. Die Frage ist nun seit vielen Jahren, ob dieses Experiment aufgeht.
Inflation und Deflation
Nach der „alten“ Volkswirtschaftslehre hätte dieses Öffnen der Geldschleusen unweigerlich zu einer massiven Inflation führen müssen. Aber das geschah nicht (Sie erinnern sich vielleicht noch, dass ich damals, als alle vor Inflation warnten und Gold kauften, immer geschrieben hatte, dass wir uns eher Sorgen um eine Deflation machen sollten.) Dabei wurde aber übersehen, dass dieses Geld von dem Kreditvakuum der Immobilienkrise quasi wie von einem schwarzen Loch aufgesogen wurde. Und genau das führte zu der „Kreditmarktklemme“, welche die Märkte einige Zeit beschäftigte. Die Schleusen der Notenbank waren weit offen, doch das Geld versackte bei den Banken. Diese hatten gleichzeitig auch noch zu große Angst weitere Kredite zu vergeben, um nicht noch mehr faule Kredite in den Bücher stehen zu haben.
Und genau das war das Problem. Die Notenbanken mussten die Schleusen so lange aufhalten, bis dieses „Kreditvakuum“ gefüllt war und das Geld dann in den wirtschaftlichen Kreislauf überschwappen konnte.
Die Dosierung und das Timing
Daraus entsteht ein weiteres Problem, und damit sind wir wieder in der Gegenwart: Sobald der Sog des Kreditvakuums aufhört, könnte es sein, dass das Geld sehr schnell oder sogar zu schnell in den Wirtschaftskreislauf vordringt und die Inflation entsprechend unkontollierbar anzieht. Das wiederum will die Notenbank natürlich unbedingt verhindern. Doch um den Geldstrom richtig zu dosieren, ist wahrscheinlich ein extrem gutes Timing gefragt. Schließlich wirken sich Veränderungen der Geldpolitik oft erst sehr zeitversetzt aus, ca. sechs Monate bis zu einem Jahr. Ich schreibe „wahrscheinlich“, weil es eben bisher keinen historischen Vergleich gibt. Auch die US-Notenbank betritt hier Neuland. Das macht es so spannend.
Die Schlussfolgerung
Die Fed wird also sehr genau auf die Inflationsentwicklung (und deren Gründe) achten. Sollte sich eine plötzliche und starke Inflation abzeichnen, muss sie handeln – egal, was sie den Märkten vorher auch erzählt hat. Handeln heißt in diesem Fall, sie wird dann in eine geldpolitische Straffung übergehen und die Zinsen anheben.
Das ist der Grund, warum die US-Märkte so empfindlich auf stärkere Inflationsdaten reagieren. Wie gesagt, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber wenn wir nun einen stabilen Aufwärtstrend bei den Inflationskennzahlen erkennen sollten, der nicht durch Energiepreise u.ä. getrieben ist, sondern der direkt mit dem Wirtschaftswachstum in den USA zusammenhängt, kann es sein, dass die Notenbank die Zinsen schneller anheben wird, als bisher angenommen. Und das hat der US-Markt vorgestern eingepreist.
Ich wünsche ein schönes, hoffentlich deutlich wärmeres Mai-Wochenende als zuletzt
Jochen Steffens