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Die Anmaßung von Wissen

Veröffentlicht am 29.10.2024, 13:01
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Noch vor einem Monat forderte die IG Metall die 4-Tage-Woche und Gehaltserhöhungen für die Arbeiter bei Volkswagen (ETR:VOWG). Ende Oktober ist klar, dass die Lage in der deutschen Automobilbranche sich so dramatisch verschlechtert hat, dass es nicht mehr um faire Entlohnung geht, sondern um die Frage, wie stark Volkswagen in Zukunft in Deutschland noch vertreten sein wird.

Die angedrohten Werksschließungen bei Volkswagen sind aber nur die Spitze des Eisberges, mit dem Deutschland kollidiert ist. Die Giftliste aus Wolfsburg ist ein Symptom, aber nicht die Ursache. Wenn nach den Schocknachrichten darüber diskutiert wird, dass die Standorte und die Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen, dann ist das sozial gedacht, aber die Diskussion geht am eigentlichen Kern vorbei. Denn nicht die unterausgelasteten Kapazitäten und Gehälter der Mitarbeiter sind das Problem, sondern die Eingriffe der Politik in den Wirtschaftskreislauf.

Die europäische Industriepolitik geriert sich seit jeher als Freund der Industrie, ist aber in den letzten Jahrzehnten deren größter Feind geworden. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, denn die zahlreichen politischen Weichenstellungen, die zum Fall von Volkswagen und dem Schaden an der restlichen europäischen Industrie geführt haben, kamen immer mit gut gemeinten Absichten und Argumenten daher. Unübersehbar ist jedoch spätestens jetzt, dass die Industriepolitik im Wesentlichen nur zum Ergebnis hat, dass sie die Industrie in Europa geschwächt hat.

Die Komplexität der Krise gibt genügend Gelegenheiten, um grundlegende Probleme zu ignorieren. Selbstverständlich entwickelt sich die Automobilindustrie in Zyklen, die mit einem Ausbau der Kapazitäten bei einer starken Konjunktur und einem Abbau in einer Rezession begleitet werden. Dass ein Konzern wie Volkswagen daher Phasen mit sehr hohen Gewinnen hat, die von Zeiten mit hohen Verlusten abgelöst werden, ist insofern eher Normalität als die Ausnahme. Die Ausnahme ist in der aktuellen Situation, dass der Abschwung existenzbedrohend ist.

Noch nie hat Volkswagen deutsche Werke geschlossen

Noch nie in der Unternehmensgeschichte hat Volkswagen ein Werk in Deutschland schließen müssen. Es gab immer mal wieder intern Überlegungen, aber man hat letztlich eine Lösung gefunden, damit alle Standorte zum Wohlstand des Gesamtkonzerns beitragen. Eine wenig kapitalistische, sondern sehr sozialmarktwirtschaftliche Ausrichtung, die für einen Weltkonzern nicht unbedingt üblich ist. Sicherlich dem Fakt geschuldet, dass die deutsche Politik einen sehr starken Einfluss auf den Aufsichtsrat hat und Volkswagen von einem starken Ankerinvestor protegiert wird. Dass der Vorstand – mit Billigung des Aufsichtsrats – nun die Schließung von drei Werken ankündigt, signalisiert entsprechend wie groß die Schieflage geworden ist.

Definitiv sind die schwache Konjunktur in Europa und die anhaltende Rezession in Deutschland die Mühlsteine, die letztlich den Konzern zu Fall gebracht haben. Volkswagen hat zwar weltweit Produktionskapazitäten, aber der Löwenanteil der liegt immer noch in Europa und hier vor allem in Deutschland. Was politisch auch so gewollt war und richtig ist.

Aber diese Konzentration kollidiert mit der industriefeindlichen Haltung der Politik, die Brüssel und auch Berlin immer deutlicher zum Ausdruck gebracht haben. Und wir reden schließlich auch nicht über verbale Auseinandersetzungen, sondern über ganz konkrete und umfassende politische Weichenstellungen, die Volkswagen – und alle anderen europäischen Autohersteller – geschädigt haben.

Ursache liegt in der europäischen Industriepolitik

Wir erinnern uns beispielsweise daran, dass dem Dieselmotor ohne Sinn und Verstand der Garaus gemacht wurde. Wie immer mit gut gemeinten Absichten und Argumenten, aber im Ergebnis ganz eindeutig zum Schaden der Industrie und vor allem auch der Kunden, die ihren Diesel lieben. Vor dem politischen Angriff auf den Dieselmotor lag der Marktanteil bei einigen Marken bei mehr als 50 % des Absatzes. Davon ist heute so gut wie nichts mehr übrig.

Volkswagen verdiente ausgezeichnet mit den Motoren, hatte sich weltweit eine führende Marktposition bei Dieselfahrzeugen erarbeitet und ein hohes Know-how aufgebaut. Das kam nicht umsonst, sondern erforderte Jahr für Jahr hohe Investitionen im Milliardenbereich. Allein für eine neue Dieselmotorengeneration mussten zwischen zwei bis drei Milliarden Euro aufgewendet werden. Und Volkswagen hat viele Generationen von Dieselmotoren gebaut.

Das Verbot aller Verbrennermotoren war dann die entscheidende politische Weichenstellung, die die Automobilbranche ins Chaos stürzte. Die Politik kam ernsthaft zu der Überzeugung, dass es für Europa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen von Vorteil ist, wenn man einen der Bestseller der Industrie mit einer kurzen Frist zum Jahr 2035 verbietet. Denn Karosserien und Infotainmentsysteme können inzwischen alle bauen, allen voran die Chinesen. Was den deutschen Autoherstellern aber ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal gibt, ist die hohe Ingenieurskunst, die unvergleichliche Verbrennermotoren mit einer sehr hohen Leistungsfähigkeit, Qualität, Haltbarkeit und Komplexität insbesondere oberhalb des 4-Zylinder-Marktes hervorgebracht hat.

Verbrennermotoren sind ein deutsches Asset, keine Liability

Ersetzt werden soll dieses wertvolle Asset durch Elektromotoren, deren Aufbau so einfach ist, dass jedes Land in diesen Markt einbrechen kann. Bleiben die Batterieentwicklung und -produktion, für die die deutsche Industrie jedoch nicht das notwendige Know-how hat, geschweige das notwendige Kostenniveau, um wettbewerbsfähige Produkte anzubieten.

Diese politische Weichenstellung zwang die europäische Autoindustrie unter der Androhung von Strafzahlungen in den letzten 10 Jahren alles über Bord zu werfen, was funktionierte und womit man gutes Geld verdiente und durch etwas zu ersetzen, womit man wenig Erfahrung und worin man kein nennenswertes Know-how hat, das zudem hohe Verluste verursacht. Und das wohlgemerkt nicht, weil der Markt dies forderte, sondern weil die Politik dies erzwang.

Die Argumente hinter der europäischen Industriepolitik spielen keine Rolle. Nicht die Begründungen und Absichten zählen, sondern nur das Ergebnis. Und das ist katastrophal für die deutsche Wirtschaft, die die größte und wichtigste innerhalb und für Europa ist. Das Ergebnis mit dem heute alle Stakeholder bei Volkswagen (und BMW (ETR:BMWG) sowie Mercedes (ETR:MBGn)) konfrontiert werden, hat der Ökonom, Sozialtheoretiker und Nobelpreisträger Friedrich von Hayek bereits zu Zeiten formuliert, als der 2. Weltkrieg zu Ende ging.

Die Anmaßung von Wissen

Hayeks Aussage zu zentral geplanter Politik ist, dass diese von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist. Eine zentrale Politik, so Hayek, ist nie in der Lage erfolgreich zu sein, da sie nicht über alle Informationen verfügt. Dieses Privileg hält einzig und allein der freie Markt, der diese Informationen in einem Preissystem abbildet und die Allokationen an diesen ausrichtet. Die Behauptung, dass eine zentrale Politik erfolgreich planen und handeln wird, bezeichnete Hayek als die Anmaßung von Wissen.

Und genau darin liegt die Ursache. Die europäische Politik hat über einen langen Zeitraum von mehreren Dekaden versucht, die Industrie immer und immer stärker auf politische Ziele auszurichten, anstatt die Unternehmen im Wettbewerb um die Gunst der Kunden werben zu lassen und dabei das verfügbare Angebot zu optimieren. Man hat dafür gesorgt, dass angeboten wird, was man für „richtig“ hält, anstatt die Kunden entscheiden zu lassen was gefragt ist.

Hier liegt das Übel, das heute nun den Arbeitern (und Aktionären) bei Volkswagen auf die Füße fällt. Und es wird erst besser werden, wenn die Politik die europäische Industrie wieder dabei unterstützt im freien Wettbewerb zu bestehen. Die Aufgabe Brüssels muss es sein, die Hürden und Hindernisse für die europäische Industrie zu beseitigen, um die Arbeitsplätze (und den Wert der Aktien) zu sichern. Erst dann wird die Ursache der heutigen Probleme beseitigt und nicht nur an den Symptomen herumgedoktert.

Ein Artikel von
Mikey Fritz
Chefredakteur Zürcher Finanzbrief

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