Der DAX startete gestern einen erneuten Anlauf, um das vergangene Hoch zu erreichen, dann ging ihm aber die Puste aus. Doch selbst wenn er ausbricht, ist zunächst nicht mit einer starken Dynamik zu rechnen – bei 10.000 Punkten wartet der nächste wichtige Widerstand.
Die 10.000er Marke
Ich hatte vor einiger Zeit schon geschrieben, dass große und psychologisch bedeutsame Marken, bei denen eine Stelle hinzukommt, für einen Index schwer zu nehmen sind. Als Beispiel hatte ich den Dow Jones genannt, der an der 100er, der 1.000er und im Prinzip auch an der 10.000er Marke viele Jahre gekämpft hatte - bei der 1000er Marke sogar 20 Jahre lang. Und so stellt sich natürlich die Frage, wieso man eigentlich nicht davon ausgehen muss, dass auch der DAX mit seiner 10.000er Marke von jetzt an viele Jahre kämpfen wird.
Das hat einen einfachen Grund, denn das macht er bereits. Oder genauer: Der Kampf findet bereits seit 14 Jahren statt! Werfen wir dazu einen Blick auf den langfristigen Chart:
Es fehlten bei den beiden Hochs im Jahr 2000 und 2007 lediglich 1.850 Punkte bis zur 10.000er Marke. Gut, das sind vom den Hochs aus gesehen noch mehr als 20 Prozent. Aber so genau darf man hier nicht sein. Entscheidend ist, dass der DAX seit 14 Jahren im näheren Umfeld dieser Marke gescheitert ist. Diese 14 Jahre sind damit bereits vergangen – und damit hoffentlich ein Großteil der Zeit, bis der DAX auch die 10.000-Punkte-Marke überwindet.
Die andere Variante: Stellen wir uns vor, der DAX wäre ein oder zwei Jahrzehnte lang in einem großen Aufwärtstrend angestiegen und hätte dann die 10.000-Punkte-Marke erreicht. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit, dass er mit dieser Marke viele Jahre zu kämpfen hätte, deutlich größer. Doch warum ist das so?
Der Paradigmenwechsel und die menschliche Psyche
Ein Großteil der Anleger, die im Jahr 2000 bereits seit mehr als 10 Jahren an der Börse tätig gewesen waren, sind in das Börsengeschäft eingestiegen, als der DAX noch unterhalb der 2.000-Punkte-Marke notierte. Dazu muss man wissen, dass ein Anleger, der sich zum ersten Mal intensiver mit dem DAX beschäftigt, unbewusst einen „inneren Richtwert“ anlegt, der sich aus dem aktuellen Kurs und den bis dahin erzielten Höchstkursen zusammensetzt. Und es ist typisch für Menschen, dass sie diesen inneren Richtwert, wenn überhaupt, nur sehr langsam anpassen!
Für diese Börsianer, die den DAX bei unter 2.000 Punkten kennengelernt hatten, war damit ein DAX von 8.000 Punkten sicherlich schon „ein Wahnsinn“. Ein DAX über der 10.000-Punkte-Marke wäre diesen Anleger im Jahr 2000 sicherlich als „völlig übertrieben“ erschienen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass der DAX eigentlich erst von 1999 bis März 2000 von zuvor 5.000 auf mehr als 8.000 Punkte gesprungen war. Der innere Richtwert dieser Anleger war einfach zu weit weg von den aktuellen Kursen.
Doch selbst die Anleger, die deutlich kürzer dabei waren, aber schon über etwas Börsenerfahrung verfügten (sagen wir mal mehr als zwei Jahre), handelten zu Beginn bei DAX-Werten von weniger als 5.000 Punkten. Auch für diese dürften Werte von mehr als 10.000 Punkten unüberwindlich hoch vorgekommen sein.
Die Neuen starten einfach höher
Von den Anlegern, die gestern am Markt sind, sind viele überhaupt erst in den Jahren 1999 und 2000, also im Bereich der 8.000-Punkte-Marke des DAX zur Börse gekommen. Für diese Anleger liegt als der innere Richtwert für den DAX im Bereich der 8.000-Punkte-Marke. Und demnach ist für diese Anleger ein DAX von mehr als 10.000 Punkten bereits wesentlich leichter vorstellbar.
Der Generationenwechsel
Anscheinend sind es genau diese beiden Punkte, die dazu führen, dass solche Marken derart lange relevant bleiben: Für die älteren Anleger, die einen großen Anstieg an so eine Marke miterlebt haben, erscheint dieser hohe Wert als „zu groß“ oder „extrem überbewertet“. Die neueren Anleger sind mit diesen Werten schon vertrauter. Die Älteren verabschieden sich nach und nach von der Börse oder handeln nicht mehr so intensiv und die Jüngeren fangen an, ihr Geld anzulegen. Schaut man sich die Dauer an, die so ein Übergang in einen Indexwert mit einer zusätzlichen Stelle braucht, entspricht das tatsächlich in etwa einem Anleger-Generationenwechsel.
Wobei man nicht vergessen darf, dass auch bei den älteren Anlegern ein Gewöhnungseffekt eintritt – wie geschrieben, der innere Richtwert passt sich mit der Zeit, aber eben sehr langsam, an die neuen Werte an.
Für den DAX bedeutet das, dass ein Großteil des Generationenwechsels bereits vollzogen ist. Auch sollten sich die älteren Anleger so langsam an die neuen Werte gewöhnt haben. Und das ist der Grund, warum wir nun nicht mehr damit rechnen müssen, dass der DAX noch weitere 10 oder 20 Jahre an dieser Marke scheitern wird. Leider ergibt sich aus dieser Analyse selbstredend nicht der Zeitpunkt, wann der DAX denn nun endlich in den fünfstelligen Bereich vordringt. Aber es ist doch zumindest beruhigend zu wissen, dass ein Großteil des Problems bereits abgearbeitet ist.
Jochen Steffens