- LCID ist seit Dezember um 70 % abgestürzt
- Der US-Elektroautobauer sieht sich kurzfristigen Herausforderungen gegenüber, aber die längerfristigen Aussichten bleiben positiv
- Die Bewertung stellt jedoch nach wie vor ein zentrales Problem dar; bei einer Marktkapitalisierung von 25 Milliarden Dollar ist ein gewisses Maß an Erfolg bereits im Aktienkurs berücksichtigt
Letzten Dienstag ging die Aktie der Lucid Group (NASDAQ:LCID) auf dem zweittiefsten Stand seit offizieller Ankündigung des Börsengangs aus dem Handel. Gegenüber den Höchstständen im Dezember sind die Papiere des Elektroautoherstellers um mehr als 70 % gefallen.
Quelle: Investing.com
Es lässt sich sicherlich die These aufstellen, dass der steile Ausverkauf lediglich eine Überreaktion ist. Zwar gab es immer wieder unangenehme Nachrichten, wie z. B. kürzlich ein Shelf Offering, das auf eine Verwässerung der derzeitigen Aktionäre hindeutet. Aber keine dieser Nachrichten berührt wirklich die langfristige These für Lucid, dieselbe These, die Anfang und Ende 2021 für so viel Euphorie gesorgt hat.
Diese These gewinnt mit einem LCID-Kurs um und bei 15 Dollar immer mehr an Attraktivität. Allerdings birgt diese These auch einen möglichen Schwachpunkt.
Was bei der LCID-Aktie schief gelaufen ist
Um es noch einmal zu sagen: Die These pro LCID-Aktie lautet, dass der Kurssturz um mehr als 70 % seit Dezember eine Überreaktion darstellt. Wohl der wichtigste Treiber war die Marktstimmung: Während die Marktteilnehmer im Jahr 2021 bereit waren, fast jeden Preis für Wachstum zu zahlen, liegt der Schwerpunkt im Jahr 2022 eindeutig auf der Rentabilität eines Geschäftsmodells.
Genau das stellt für Lucid aber ein Problem dar. Die Wall Street erwartet, dass das Unternehmen bis mindestens 2025 Verluste einfahren wird. Der Mangel an Gewinnen geht jedoch nicht auf einen strukturellen Fehler im Geschäftsmodell von Lucid zurück, sondern liegt einfach in der Natur der Automobilherstellung.
Der Aufbau der massiven Infrastruktur, die für den Bau und die Vermarktung von Fahrzeugen erforderlich ist, braucht schlicht Zeit. Tesla (NASDAQ:TSLA) hat seinen ersten Jahresgewinn erst 2020 erzielt, 17 Jahre nach der Gründung des Unternehmens.
Zugegeben, das Unternehmen hat ein großes Problem: Lucid senkt ständig seine Produktionsprognosen. Zum Zeitpunkt der Ankündigung der Fusion im vergangenen Jahr rechnete Lucid mit der Auslieferung von 20.000 Fahrzeugen in diesem Jahr. Nach den Ergebnissen für das zweite Quartal senkte der E-Auto-Bauer seine Schätzung zum zweiten Mal: Lucid rechnet nun mit einem Drittel der ursprünglich prognostizierten Auslieferungen.
Diese Problematik ist aber nicht neu. Der Produktionsbeginn des Air hat sich bereits letztes Jahr verzögert. Wenn man bedenkt, wie viele Elektroautohersteller im Eiltempo auf den Markt drängen, bereiten die Verzögerungen große Sorgen.
Allerdings sind solche Verzögerungen auch durchaus nachvollziehbar. Probleme in der Lieferkette machen selbst den größten Unternehmen der Branche zu schaffen. Zugleich aber ist die Nachfrage offenbar groß: Lucid beendete das zweite Quartal mit Reservierungen für rund 3,5 Milliarden Dollar Umsatz.
Anders ausgedrückt: Die Kunden wollen den Air kaufen. Aber Lucid hat schlicht und einfach Probleme, die nachgefragten Autos zu fertigen.
Die Bewertungsfrage
Die These für LCID bei 15 Dollar lautet also, dass sich der Markt auf vorübergehende, kurzfristige Sorgen konzentriert und somit eine attraktive langfristige Gelegenheit ignoriert. Auf lange Sicht spricht vieles für das Unternehmen. Der Air wurde von Motor Trend zum Auto des Jahres gekürt. Der Lucid Air Sapphire ist die leistungsstärkste Limousine der Welt - egal welcher Art.
Mit der saudischen Regierung, die zu den ersten Investoren des Unternehmens gehört, hat Lucid einen 10-Jahres-Vertrag abgeschlossen. Die Reservierungszahlen belegen zudem die große Nachfrage der Verbraucher. Außer dass die Produktionsziele nach hinten verschoben wurden, scheint das Unternehmen auf Kurs zu sein. Es gibt also kaum einen Grund, warum die LCID-Aktie um 70 % gefallen ist.
Es gibt jedoch noch eine andere mögliche Erklärung für den Absturz von LCID, die wirklich Anlass zur Sorge gibt: die Bewertung.
Lucid hat immer noch eine Marktkapitalisierung von 25 Milliarden Dollar. Angesichts der Notwendigkeit, Kapital zu beschaffen - Lucid hat selbst gesagt, dass es nur bis zum nächsten Jahr finanziert ist - wird die Anzahl der Aktien steigen und die Marktkapitalisierung noch weiter aufblähen.
Es ist durchaus möglich, dass 25 Milliarden Dollar gar nicht die "falsche" Bewertung sind, sondern dass die im vergangenen Jahr zugewiesene Marktkapitalisierung von fast 100 Milliarden Dollar einfach das Ergebnis eines massiv überbewerteten Marktes war. Vor diesem Hintergrund stellt die Performance von LCID im Jahr 2022 schlicht eine notwendige Korrektur dar.
Sicher, es kann sein, dass die Korrektur zu weit gegangen ist. Lucid konnte sich Kapital zu einem gewichteten Durchschnitt von etwa 12 Dollar je Aktie beschaffen, nämlich zwischen den von Churchill Capital IV zur Verfügung gestellten Barmitteln in Höhe von 10 Dollar je Aktie und der PIPE (Private Investment in Public Equity) in Höhe von 15 Dollar. Aber das war im Februar 2021, zu einer Zeit, in der der Optimismus gegenüber Elektroauto-Startups viel größer war. Fisker (NYSE:FSR) beispielsweise ist seit der Ankündigung der Churchill-Lucid-Fusion um 47 % eingebrochen; Branchengrößen wie Canoo (NASDAQ:GOEV) und Lordstown Motors (NASDAQ:RIDE) haben sich sogar noch schlechter entwickelt.
Eine präzise Bewertung ist hier praktisch unmöglich, da jeder Versuch einer Fundamentalanalyse von etlichen Faktoren abhängt, die ständig in Bewegung sind. Doch allein schon eine Bewertung von 25 Milliarden Dollar für ein Unternehmen, das kaum produziert, kann man nicht gerade als "billig" bezeichnen.
Lucid kann natürlich in diese Bewertung hineinwachsen. Das Unternehmen hat viel Potenzial, und auch das Gesamtpaket macht einen guten Eindruck. Ein Kauf von LCID ist jedoch nicht allein deshalb angebracht, nur weil die Aktie bereits um 70 % gefallen ist.
Disclaimer: Vince Martin hält derzeit eine Short-Position in Tesla-Aktien. Eine Position in den anderen hier genannten Wertpapieren hat er nicht.