Wie erwartet, befanden sich die Anleger vor dem gestrigen Zinsentscheid der US-Notenbank in einer abwartenden Haltung. Entsprechend wenig Bewegung herrschte an den Börsen. Und genauso wenig, wie gestern Abend (MEZ) die US-Notenbanksitzung die Kurse nachhaltig in eine neue Richtung bewegen dürfte, ist heute mit einer Überraschung bei der geldpolitischen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rechnen – obwohl es hier einen Wechsel an der Spitze gegeben hat.
EZB steht vor einer Überprüfung der strategischen Ziele
Christine Lagarde wird auf ihrer ersten Pressekonferenz als neue EZB-Chefin die Entscheidungen des EZB-Rats erläutern. Dazu werden maximal aktualisierte ökonomische Prognosen sowie die Ankündigung einer Überprüfung der strategischen Ziele erwartet. Die Überprüfung der geldpolitischen Strategie hatte Lagarde zuvor bereits mehr oder weniger offiziell angekündigt. Und da der Auftrag der EZB recht eng gefasst ist, bedeutet „strategische Ziele“ in diesem Zusammenhang den Umgang mit dem Inflationsziel.
Die EZB könnte eine höhere Inflation für eine Weile hinnehmen
Schon unter Draghi hatte sich angedeutet, dass die EZB aufgrund der aktuell sehr langen Verfehlung des Inflationsziels von 2 % zukünftig über längere Zeit eine Inflation von über 2 % akzeptieren könnte, bevor die gelpolitischen Zügel angezogen werden. Und Lagarde dürfte daher auf der Pressekonferenz die Fragestellungen der Strategieanalyse etwas eingrenzen und einen groben Zeitplan dafür vorlegen. Abgesehen davon ist wenig Neues zu erwarten.
OPEC+ tritt etwas stärker auf die Förderbremse
Damit gibt uns die bewegungsarme Phase die Gelegenheit, mal wieder auf nicht so engmaschig besprochene Werte zu blicken – wie den Ölpreis. Zumal es hier jüngst wichtige Entwicklungen gegeben hat. Denn die OPEC und die zehn mit ihr kooperierenden Staaten (OPEC+) haben kürzlich beschlossen, die aktuell bereits geltende Förderbremse noch etwas stärker anzuziehen. In einer fast sechsstündigen Sitzung verständigten sich die Energieminister der wichtigsten Ölproduzenten auf eine Drosselung ihrer Ölförderung um weitere 500.000 Barrel pro Tag (bpd) in den ersten drei Monaten 2020.
Die Strategie der OPEC+ scheint aufzugehen
Das entspricht zwar nur rund 0,5 % der weltweiten Ölproduktion, aber schon 2017 hatte sich die OPEC+ auf eine Förderbremse 2017 geeinigt, um auf die wachsende Förderung von Schiefergas in den USA zu reagieren und die Märkte zu stabilisieren. Und zusammen mit der damals beschlossenen Drosselung um 1,2 Millionen bpd wird die weltweite Ölversorgung zukünftig um 1,7 % verringert.
Und schaut man sich die jüngste Entwicklung der Ölpreise an (siehe folgender Chart), dann scheinen die Maßnahmen der OPEC+ durchaus wirksam zu sein. Denn die Preise der wichtigsten Ölsorten WTI und Brent haben sich deutlich beruhigt. Aktuell bewegen sie sich in stabilen, moderaten Aufwärtstrendkanälen (grün) im Bereich von rund 60 USD – einem Preis, mit dem viele Förderländer gut leben können.
Schaut man kurz auf die vorangegangene Öl-Analyse vom 4. Juli – die Überschrift lautete „Für die Ölpreise könnten nun ruhigere Zeiten anstehen“ – dann traf diese offensichtlich genau ins Schwarze. Denn schon damals hatte ich erwartet, dass sich die Ölpreise im Bereich von 60 USD beruhigen werden.
Auswirkungen auf die Ölpreise dürften gering sein
Jedenfalls wurde die nun beschlossene Ausweitung der Drosselung nach Ansicht der OPEC+ nötig, weil es erhöhte Risiken einer Überversorgung im 1. Quartal 2020 gibt. Nennenswerte Auswirkungen auf den Ölpreis hatte der aktuelle Beschluss jedoch nicht. Und dabei dürfte es auch bleiben. Denn die 24 Staaten der OPEC+ produzieren schon jetzt weniger Öl, als vereinbart war. Nach eigenen Angaben der OPEC waren es zuletzt 29,7 Millionen Barrel Öl täglich.
Doch die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet, dass im 1. Halbjahr 2020 „nur“ rund 28,3 Millionen Barrel OPEC-Öl am Tag nachgefragt werden. Und damit könnten sich die Befürchtungen der OPEC+ bewahrheiten. Es droht 2020 eine Überversorgung in Höhe von 1,4 Millionen Barrel pro Tag.
In diesem Fall dürfte mehr als das aktuelle Aufwärtsmomentum bei den Ölpreisen nicht drin sein. Stattdessen könnten die Preise sogar eher wieder unter Druck geraten und aus den Aufwärtstrends wieder in eine Seitwärtstendenz übergehen oder gar eine neue Abwärtstendenz geraten. Beides ist wahrscheinlich, wenn die Aufwärtstrendkanäle gebrochen werden. Ob es dann zu einer Seitwärts- oder eine Abwärtstendenz kommt, dürfte auch von der Dynamik des Trendbruchs abhängen.
Fazit
Die Staaten der OPEC+ sind bemüht, den Rohölmarkt zu stabilisieren. Und diese Bemühungen scheinen zu fruchten. Da die Preise dadurch immer weniger stark schwanken, ist dieser Markt aktuell nur etwas für sehr kurzfristige Trader.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus