Die Saudis sind wieder zurück am Ölmarkt, da ihre Führer in diesen Tagen auf dem Schachbrett der Ölindustrie wieder sicherer agieren als noch vor zwei Monaten, als die Coronavirus-Pandemie ihnen kaum Bewegungsspielraum ließ. Von Preiserhöhungen in einem sich erholenden Markt bis hin zu Ermahnungen an ihre Ölexportkollegen, die die Produktion nicht ausreichend abgebaut haben, unternimmt Saudi-Arabien alles, um die globale Ölschwemme auszutrocknen.
Und doch, trotz aller Absichten, werden Riad und seine staatliche Ölgesellschaft Saudi Aramco (SE:2222) eine erhebliche Nachfrage nach allen Komponenten des Kraftstoffmarktes brauchen, wenn sie eine Backwardation bei Rohölfutures erzielen und aufrechterhalten wollen - bei der ein Barrel für eine sofortige Lieferung mehr kostet, als Öl, das Monate später geliefert werden soll, und damit jeden, der Öl lagert, ermutigt, dieses stattdessen zu verkaufen. Alle Komponenten des Kraftstoffmarktes bedeuten Treibstoff für Flugzeuge und Diesel für Züge und Lastwagen, und nicht nur Benzin für Autos.
Große Fluggesellschaften in Nordasien haben die Flugbeschränkungen gelockert, was den Raffineriemargen von Flugbenzin etwas Unterstützung gegeben hat. Sie bieten auch einen Hoffnungsschimmer für einen Sektor, der durch die Stilllegung von Flugzeugen und die Entlassung von tausenden Mitarbeitern aufgrund eines fast vollständigen Ausfalls von Freizeitreisen auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie verwüstet wurde.
Teilweise wird dieser Trend jedoch dadurch kompensiert, dass europäische und US-amerikanische Raffinerien so wenig Düsentreibstoff wie möglich herstellen, da die Luftindustrie in diesen Teilen der Welt noch stärker kollabiert ist als in Asien.
Als Faustregel gilt, dass diese Raffinerien den "3-2-1 Crack Spread" verwenden. Pro drei Barrel Rohöl, die sie verarbeiten, werden zwei zu Benzin und eines zu Destillaten verarbeitet, die sich letztendlich in Düsentreibstoff, Diesel oder Schiffsdiesel weiterverarbeiten lassen. Die Nachfrage nach Benzin beginnt sich erst wieder zu erholen, aber im Fall von Düsentreibstoff ist sie fast null, da die Luftfahrtaktivität weit unter dem Niveau von vor der Pandemie bleibt.
Diesel-Nachfrage im Vergleich zu Lagerbeständen äußerst gering
Da in Industrieländern erwartet wird, dass mehr Menschen mit dem Auto zur Arbeit fahren als mit dem Bus oder dem Zug pendeln, um Infektionen zu vermeiden, wenn Unternehmen nach Stillständen wieder Geschäfte machen, produzieren Raffinerien auf der Nordhalbkugel in Erwartung all dieser Nachfrage mehr Benzin. Aufgrund der 3:2:1-Crack-Regel müssen sie jedoch auch ihren Gesamtdurchsatz steigern. Die Raffinerien produzieren also mehr Diesel anstelle von Düsentreibstoff. Das bringt leider mehr Diesel auf den Markt als gebraucht wird.
"Diesel ist das Barometer für die Wirtschaftstätigkeit ... die Nachfrage ist am Boden", sagte Bob McNally von der in Washington ansässigen Beratungsfirma Rapidan.
"Bis Sie sehen, dass die Dieselvorräte sinken, wird hinter der Erholung der Nachfrage ein Fragezeichen stehen", sagte der Autor von 'Crude Volatility: The History and the Future of Boom-Bust Oil Prices', der insgesamt drei Jahrzehnte Erfahrung als Energiemarktberater, leitender Beamter im Weißen Haus und Stratege für Hedgefonds hat.
Alan Gelder, Vizepräsident für Raffinerie-, Chemie- und Ölmärkte beim Beratungsunternehmen Wood Mackenzie Ltd, teilt McNallys Ansicht und sagte Bloomberg, dass "die Welt in Diesel absäuft".
"Es gibt überall Mengen davon".
Ihre Kommentare werden durch den erstaunlichen Anstieg der US-Destillatvorräte um 51 Mio Fass unterstrichen, der von der Energieinformationsagentur für die letzten neun Wochen gemeldet wurden, der der höchste seit 10 Jahren ist. Als das Virus begann sich in den USA auszubreiten, lief der Onlinehandel auf Hochtouren, was die Laster der Auslieferer Überstunden machen ließ. Überraschenderweise hielt der Trend trotz der drei Monate währenden Sperrungen nur knapp drei Wochen an.
Es könnte eine Weile dauern, bis all diese Destillate, von denen der größte Teil vermutlich Diesel ist, zurück auf den Markt kommen. In New York City, dem Epizentrum des Covid-19-Ausbruchs in den USA, sind schätzungsweise bis zu 400.000 Menschen am Montag zur Arbeit in ihren fünf Bezirken zurückgekehrt, als die Stadt nach einer 100-tägigen Schließung schrittweise wieder wiedereröffnet wird. Einige Städte in den USA haben jedoch immer noch Aktivitätsbeschränkungen. Und während Zehntausende Menschen im ganzen Land in den letzten zwei Wochen auf die Straße gegangen sind, um gegen Polizeibrutalität und Rassendiskriminierung zu protestieren, sind viele immer noch zurückhaltend, wieder zur Normalität zurückzukehren, was weniger Pendeln oder Reisen bedeute, die der Dieselnachfrage auf die Sprünge helfen würden.
Selbst in Europa, wo es mehr Dieselautos als in den USA gibt, ist die Nachfrage geringer als vor der Pandemie, da der Warentransport zurückgegangen und weniger Fahrzeuge und Maschinen im Bauwesen und in der Landwirtschaft genutzt werden.
Lage beim Flugbenzin noch schlimmer
Jenseits von Diesel befindet sich Flugbenzin in seinem eigenen Dilemma.
Das in New York ansässige Beratungsunternehmen Energy Intelligence stellte fest, dass viele Fluggesellschaften erhebliche Finanzverluste erlitten, als die Preise für Jet-Kerosin unter die Absicherungspreise fielen und sie gezwungen waren, den vereinbarten Betrag anstelle des günstigeren Marktpreises zu zahlen.
Fluggesellschaften suchen in der Regel Schutz vor einer möglichen Erhöhung der Treibstoffpreise, indem sie One-Way-Hedges einsetzen, um Terminkontrakte zu kaufen, die ihnen einen niedrigeren Preis sichern, wenn der Marktpreis erheblich steigt.
Einige Fluggesellschaften wie Norwegian Air Shuttle (OL:NWC) haben nur 25% ihres Treibstoffbedarfs für 2020 abgesichert, andere wie Ryanair (LON:RYA) und International Airlines Group (LON:ICAG), zu der British Airways und Iberia gehören, haben bis zu 90% ihres Verbrauchs abgesichert.
Im Januar gab die deutsche Lufthansa (DE:LHAG) bekannt, dass ein Rückgang der Rohölpreise auf 45 USD pro Barrel zu Absicherungsverlusten in Höhe von 800 Mio. USD das Jahr führen würde, während Ryanair im April vor einer "Rekordineffektivität" seiner Treibstoffkostenabsicherungen warnte.
"Einige haben bezahlt, um aus ihren Absicherungen zu kommen“, kommentierte Energy Intelligence und stellte fest, dass die australische Qantas Airways (ASX:QAN), die 100% ihres Treibstoffbedarfs für 2020 abgesichert hatte, am 5. Mai die Ausbuchung ihrer überabgesicherten Position bis in den September hinein bekanntgegeben hat.
Andere Fluggesellschaften sind in einer noch schlimmeren Lage. Air France KLM (PA:AIRF) steht immer noch vor einem Absicherungsverlust von fast 1 Milliarde US-Dollar, während EasyJet (LON:EZJ) Berichten zufolge zu Preisen nahe 90 US-Dollar pro Barrel abgesichert hat. Aktuell werden WTI Öl-Futures zu 39 US-Dollar gehandelt.
In den Vereinigten Staaten schätzt Goldman Sachs (NYSE:GS), dass die Hersteller von Düsentreibstoffen 66% ihrer Produktion in 2020 abgesichert haben, gegenüber 48% vor dem Einbruch, was der höchste Wert seit mindestens fünf Jahren ist.
In Asien sieht es etwas besser aus.
Singapore Airlines (OTC:SINGY), Cathay Pacific Airways (HK:0293) aus Hongkong und Cathay Dragon sowie alle südkoreanischen Fluggesellschaften haben weitere Ziele, höhere Flugfrequenzen oder beides für die kommenden Wochen und Monaten angekündigt. Japans ANA Holdings (T:9202) hat ebenfalls gesagt, sie werde neue wöchentliche Frachtflüge starten.
"Ich denke, der Jet-Fuel-Markt hat jetzt ziemlich gute Unterstützung und die Nachfrage der Fluggesellschaften kehrt langsam zurück. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Luftverkehrssektor aus dem Gröbsten heraus ist", sagte eine in Singapur ansässige Raffineriequelle gegenüber Platts, dem Energie-Nachrichtendienst von S&P Global.
"Es gibt immer noch Ängste zu fliegen und sich mit dem Virus zu infizieren ... Wir müssen abwarten, was passiert".
Laut Energy Intelligence stehen US-amerikanische Fluggesellschaften, die starke Absicherungsverluste erlitten haben, nun vor einer schwierigen Wahl:
"Wenn sie sich absichern, könnten sie weitere Verluste erleiden, wenn die Preise wieder sinken. Wenn sie sich nicht absichern, sind sie dem Risiko noch größerer Verluste ausgesetzt, sollten die Preise wieder steigen".