Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
ein Thema, das insbesondere in den Massenmedien derzeit starken Widerhall findet, sind die Kongresswahlen am heutigen 4. November. Gewählt werden alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses, ein Drittel der Senatoren und 36 von 50 Gouverneuren der Bundesstaaten. US-Kongresswahlen – kein Thema für die Börsen
Die Börsen lässt das Thema dagegen offenbar kalt. Denn die drohende endgültige politische Blockade fand dort bisher keinen Niederschlag, z.B. in Form fallender Kurse. Dabei besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dann die Republikaner nun auch im Senat eine Mehrheit erhalten. Damit wären beide Häuser des Kongresses in republikanischer Hand, während auf der anderen Seite ein demokratischer Präsident regiert.
Politische Beobachter erwarten in diesem Fall, dass sämtliche Initiativen des Präsidenten im Kongress abgelehnt werden und alle wichtigen Vorlagen des Kongresses durch ein Veto des Präsidenten verhindert werden. Die politische Blockade in den USA, die in den vergangenen Jahren mehrfach in einem Haushaltsstreit eskalierte, was 2013 erst zur Fiskalklippe und dann zum „Government Shutdown“ führte, wäre endgültig perfekt. Aus politischer und gesellschaftlicher Sicht mag dies kritisch erscheinen, aber für Wirtschaft und Börsen muss das nicht zwangsläufig negativ sein.
Zum einen haben politische Ereignisse, insbesondere Wahlen mit vorhersehbarem Ausgang, nur kurze Auswirkungen auf die Börsen – wenn überhaupt. Zum anderen verhindert eine solche Blockade fast alle größeren Entscheidungen, also vor allem die unliebsamen. Egal ob Steuererhöhungen oder andere Maßnahmen, welche die Wirtschaft direkt oder indirekt betreffen könnten, liegen in den kommenden zwei Jahren (bis zur nächsten Präsidentschaftswahl) faktisch auf Eis. Aus Sicht der Börsen bedeutet das „Planungssicherheit“, auch wenn vielleicht die eine oder andere wünschenswerte Entscheidung dabei auf der Strecke bleibt… Wichtiger bleibt die Geldpolitik
Wichtiger für die Märkte ist also weiterhin die Geldpolitik. Das sahen wir auch in der vergangenen Woche. Zunächst vermied die US-Notenbank Fed in ihrem Statement am Mittwoch jeden Hinweis auf eine baldige Zinserhöhung. Das interpretierten die Börsianer positiv: Die Kurse der US-Indizes stiegen weiter bis an ihre Jahreshochs.
Am Freitag setzte dann die japanische Notenbank ein unmissverständliches Signal. Die Bank of Japan (BoJ) kündigte überraschend ein Ausweitung ihrer ohnehin schon expansiven Geldpolitik an. Sie weitet ihr Aufkaufprogramm für Staatsanleihen von bisher 430 bis 500 Milliarden Euro jährlich auf 575 Milliarden Euro aus. Damit soll die Inflation erhöht werden, die nach Auffassung von Politik und Notenbank weiterhin zu niedrig ist.
Das befeuerte am letzten Handelstag im Oktober nicht nur den japanischen Nikkei-Index (+4,8 %), der damit ein neues 52-Wochenhoch markierte, sondern auch die Märkte in Europa und den USA. Der NASDAQ 100 brach sogar auf ein neues Hoch aus. Die Begeisterung über die Maßnahme scheint aber mit Beginn dieser Woche schon wieder abzuebben. Der DAX fiel im Tagesverlauf unter den Schlusskurs vom Freitag, nachdem er zu Börseneröffnung noch ein neues Verlaufshoch markierte. Die Fed bestimmt weiterhin das Geschehen
Denn die Geldpolitik der Fed bleibt natürlich wichtiger als jede noch so bemerkenswerte Entscheidung der BoJ. Dabei geht es vor allem um den möglichen Zeitpunkt für die erste Zinserhöhung. Dazu wird jede offizielle Äußerung der Fed auf die Goldwaage gelegt. Von besonderem Interesse ist die Floskel im Fed-Statement, dass die Zinsen weiterhin für eine „beträchtliche Zeit“ auf dem aktuellen niedrigen Niveau verharren werden.
Beobachter hatten eigentlich damit gerechnet, dass dieser Passus bereits bei der jüngsten Fed-Sitzung aus dem Statement verschwindet. Hintergrund dafür ist eine Äußerung von Fed-Präsidentin Janet Yellen vom März 2014. Damals nannte sie auf die Frage, wann nach dem Ende der Anleihekäufe die erste Zinserhöhung erfolgen könnte, einen Zeitraum von „ungefähr sechs Monaten“.
Nachdem nun die Fed in ihrer Oktober-Sitzung beschlossen hat, die dritte Runde der Ankäufe von Staats- und Hypothekenanleihen zum 1. November auslaufen zu lassen, ergäbe sich danach Mitte 2015 als möglicher Termin für die erste Zinserhöhung. Dies hatten die Märkte auch bisher so eingepreist (siehe folgende Grafik). Die Börsen preisen einen späteren Zinsschritt ein
Da allerdings sechs Monate sicherlich keine „beträchtliche Zeit“ sind (schon gar nicht aus Sicht einer Notenbank), war eben der Wegfall dieser Formulierung erwartet worden. Dass dies nicht geschah, war eine gewisse Überraschung für Beobachter und Börsianer. Die Erwartungen der Investoren hinsichtlich der kommenden Zinsentwicklung gingen danach schlagartig und deutlich zurück (siehe Grafik). De facto preisten sie daraufhin den ersten Zinsschritt erst für frühestens September ein.
Quelle: CME Group, eigene Berechnung (Stand: 29.10.2014)
Nachdem also nun die Gefahr einer Zinserhöhung weiter in die Ferne gerutscht ist, steht einer Jahresendrally eigentlich nichts mehr im Wege. Wenn da nicht die gute Wirtschaftslage wäre. Bereits die Fed konstatierte in ihrem Statement eine deutliche Besserung auf dem Arbeitsmarkt. Und die erste Schätzung zum US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das dritte Quartal ergab in der vorigen Woche einen überraschend deutlichen Anstieg um 3,5 % (bezogen auf das Gesamtjahr). Bremsen gute Konjunkturdaten die Jahresendrally?
Diese gute Konjunkturentwicklung erhöht nun wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed doch früher reagieren muss. Einige Ökonomen halten bereits das aktuell Nullzinsniveau für zu niedrig. Etliche rechnen schon für März mit dem ersten Zinsschritt. Selbst elf von siebzehn Fed-Mitgliedern sehen laut der turnusmäßigen Umfrage vom September das Leitzinsniveau für Ende 2015 bei mindestens 1 %.
Damit steigen die Chancen, dass im Statement der Fed-Sitzung vom Dezember die Floskel von der „beträchtlichen Zeit“ gestrichen wird. Das könnte die Märkte verunsichern und folglich zu einer Kursschwäche führen. Aber bis dahin ist noch jede Menge Zeit für die Jahresendrally. Es sei denn, die Zinserhöhungsspekulation an den Börsen flammen schon vorher wieder auf…
Eine erfolgreiche Woche!