In den USA zeichnet sich eine erste Lösungsmöglichkeit bei der leidigen Schuldenthematik ab. Führende Vertreter der Republikaner machten US-Präsident Barack Obama das Angebot, zumindest kurzfristig die Schuldenobergrenze anzuheben. Dieses kleine Entgegenkommen zeigt zumindest, dass Bewegung ins Spiel kommt. Doch beim US-Haushalt gibt es nach wie vor keine Einigung und auch ist noch nicht sicher, ob die Parteien schlussendlich wirklich einen Konsens finden. Lediglich die Wahrscheinlichkeit für eine Einigung ist deutlich gestiegen. Der Hintergrund für diesen Schritt ist weniger das Einsehen der Beteiligten, sondern wohl eher der Unmut, der sich über das Verhalten im Kongress in den USA breitmacht. Zudem sollen tatsächlich einige Unternehmen angedroht haben, ihre Spenden einzustellen, wenn es nicht zu einer Lösung kommen sollte.
DAX am Limit?
Die Märkte stiegen nach dieser Nachricht stark an, doch ist im DAX die große Euphorie bereits wieder verflogen. Doch diese könnte schnell wiederkommen. Dazu der DAX-Stunden-Chart:
Sie erkennen hier den bekannten Aufwärtstrendkanal seit 2011. In den vergangenen Wochen kam es zu einem sehr dynamischen Anstieg (linkes, blaues Rechteck), dem eine Konsolidierung (rotes Rechteck) folgte. Da solche Konsolidierungen zumeist in der Mitte einer starken Bewegung auftreten, kann man einfach die vorherige Spanne (blaues Rechteck) an das Tief der Konsolidierung anlegen und man erhält ein theoretisches Kursziel, das bei 9.190 Punkten liegt (schwarzer Pfeil).
Die zwei Warnhinweise
Auf diesem Niveau wird es dann allerdings eng – aus zwei Gründen: Erstens befindet sich in dieser Region die obere Begrenzung des aktuellen Aufwärtstrendkanals, die einen wichtigen Widerstand darstellt. Zweitens war der Anstieg vor der kleinen Konsolidierung ebenfalls sehr dynamisch, begleitet von zwei Aufwärtsgaps. Eine solche Dynamik entwickelt sich aber häufig erst in der Nähe größerer Bewegungshochs. Ein Dynamikanstieg an einem so wichtigen Widerstand ist somit immer ein Warnzeichen. Es könnte sich also an dieser Linie ein vorläufiges Bewegungshoch ausbilden.
Natürlich ist das nur eine der vielen Möglichkeiten einer zukünftigen Entwicklung. Ebenso kann ein dynamischer Ausbruch aus dem Trendkanal nach oben erfolgen, denn eine Trendbeschleunigung ist immer möglich. Auch können die Kurse bereits unterhalb dieser oberen Begrenzungslinie wegbrechen. Es ist zurzeit nicht einmal sicher, dass der DAX sein bisheriges Allzeithoch überhaupt überwinden kann.
Ist also alles nur Zufall?
Nun könnte man fragen, warum ich mir die Mühe mache, solche Szenarien vorzustellen. Wenn es so viele Möglichkeiten gibt, sind solche Analysen dann nicht nur eine Art Sisyphusarbeit?
Für diejenigen, die den Steffens Daily noch nicht so lange lesen: An den Börsen geht es immer nur um Wahrscheinlichkeiten und somit darum, die Wahrscheinlichkeiten auf seine Seite zu ziehen. Und das funktioniert eben nur dann, wenn man wirklich um jeden Prozentpunkt Wahrscheinlichkeit kämpft. Denn tatsächlich entscheiden oft nur wenige Prozentpunkte an Wahrscheinlichkeit zwischen langfristigem Erfolg und Misserfolg an den Börsen. Je mehr Analysemöglichkeiten Sie also in Ihre Analysen einbeziehen, desto höher wird Eintrittswahrscheinlichkeit ihrer Kursziele.
Entwicklungen genau beobachten
Und darum muss man in der Charttechnik solche Szenarien erstellen, die dann natürlich nicht in Stein gemeißelt sind. Sie müssen sich erst in der weiteren Entwicklung bewähren.
So ist zum Beispiel eine Voraussetzung für das oben vorgestellte Szenario, dass der DAX erst einmal sein bisheriges Allzeithoch überwindet. Und dann muss man überprüfen, wie ihm das gelingt. Dynamisch und unter höherem Umsatz? Das wäre eher bullish. Oder eher zäh bei geringem Umsatz? Dann wird es schwieriger. Allgemein gilt: Erst durch solche Analysen ergeben sich weitere Hinweise.
Wenn dann die obere Begrenzungslinie des Trendkanals erreicht ist, geht dieses Spiel weiter. Bilden sich an diesem Widerstand auf den kurzfristigeren Zeitebenen (Stunden- oder Minutenchart) Umkehrformationen oder entstehen nur Kursmuster, die solchen entsprechen? Oder kommt es sogar im Tageschart selbst zu einer klaren Topformation? Das wäre dann schon ein sehr eindeutiges Signal für ein Hoch mit anschließender Konsolidierung.
Sie sehen, man sammelt mit jeder neuen Bewegung des DAX fleißig Hinweise, die das Gesamtbild und damit die Wahrscheinlichkeit für weiter steigende oder fallende Kurse verändern und die Trefferquote erhöhen können. Und so sind wir Trader schlussendlich nichts anderes als eine Art „Hinweis-Sammler“.
Mühsam und unsicher, aber extrem spannend
Ich weiß, es hört sich mühsam an und ich würde lügen, wenn ich schreibe, dass es zuweilen nicht mühsam ist. Insbesondere, weil es nie eine Sicherheit gibt. Jeder noch so ausgeklügelte und scheinbar sichere Trade kann letztlich doch scheitern.
Aber wäre dem nicht so, hätte ich mittlerweile einen anderen Beruf. Das Leben soll doch spannend bleiben, auch wenn man hin und wieder am liebsten vor Wut in den Schreibtisch beißen würde, wenn wieder mal etwas nicht so funktioniert wie es soll. Das geht uns allen so - Miss Börse sei Dank...
Jochen Steffens
Stockstreet GmbhH