Die Reaktionen auf die jüngsten Quartalszahlen des französischen Mischkonzerns waren verhalten, obwohl sowohl Umsatz als auch Ergebnis gegenüber dem Vorjahr gesteigert wurden. Analysten sahen ihre Ertragserwartungen teilweise verfehlt. Die Nachricht von einer Übergewinnsteuer in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro sorgte ebenfalls für schlechte Stimmung bei den Anlegern. Doch es gab auch gute Nachrichten, so liegt der Auftragsbestand bei Vinci aktuell auf Rekordniveau und es wird mit weiterem Wachstum gerechnet.
Nach den dürren Corona-Jahren konnte Vinci (EPA:SGEF) (ISIN: FR0000125486) 2022 und 2023 Umsatz und Gewinn wieder steigern und damit das vor-Corona-Niveau sogar deutlich übertreffen. Der 2022er-Rekordumsatz von 62 Mrd. EUR wurde 2023 mit knapp 70 Mrd. EUR nochmal um 12 % getoppt und die bereinigte operative Marge konnte mit 11,7 % wieder ziemlich exakt an das Niveau von 2019 anknüpfen. Das bereinigte operative Rekordergebnis von rund 8,2 Mrd. EUR (Vj: 6,5 Mrd.) konnte sogar um 26 % zulegen, der Aktienkurs schoss daraufhin bis März 2024 in bis dahin unerschlossene Höhen.
Von ihrem Jahreshoch bei 120 EUR ist die Aktie seitdem wieder rund 20 % zurückgefallen. Zwar wurden die eigenen Ertragsprognosen für das Gesamtjahr mit den Zahlen für das erste Quartal 2024 bestätigt, doch Analysten hatten sich mehr erhofft. Vinci rechnet nach wie vor damit, dass das Umsatzwachstum 2024 mit nur noch 3 bis 4 % deutlich schwächer ausfallen werde als im Vorjahr. Verstimmt wurden Anleger auch durch eine neue Steuer auf Fernverkehrsinfrastrukturen, die in Frankreich ab 2024 erhoben wird und Vinci ca. 280 Mio. EUR im Jahr kosten dürfte. Dagegen will der Konzern rechtlich vorgehen.
Rekordauftragsbestand und Übergewinnsteuer
Auch auf das Zahlenwerk für die ersten 9 Monate des laufenden Geschäftsjahres folgten erneut Kursverluste, obwohl Vinci damit einhergehend einen Rekordauftragsbestand von 66,8 Mrd. EUR bekannt gegeben hat, der eine solide Basis für die kommenden Jahre darstellt. Wenig erfreut gewesen sein dürften Anleger über die Ankündigung einer Übergewinnsteuer, die der französische Staat besonders großen und profitablen Unternehmen abknöpfen will. Diese soll zunächst nur für 2024 (400 Mio. EUR) und 2025 (200 Mio. EUR) fällig werden. Bleibt es dabei dann hätten die Belastungen damit den Charakter von Einmaleffekten.
Zwar haben einige Analysten ihre Kursziele während der letzten Monate nach unten revidiert, aber die überwiegende Mehrheit sieht Vinci gut aufgestellt und attestiert dem Konzern für die kommenden Jahre weiteres Wachstumspotenzial, mit jährlichen Wachstumsraten von 3 bis 4 %. Von 22 Analysten raten aktuell 17 zum Kauf, 4 zum Halten und nur ein Analyst rät zum Verkauf. Die Kursziele liegen zwischen 105 und 145 EUR.
Bewertung auf Basis des EBIT
Ausgehend von einem Umsatzwachstum von mindestens 3 % (Konzernprognose) und einer stabilen EBIT-Marge (bereinigte Basis) von 11,7 % legen wir für unsere Bewertung ein bereinigtes EBIT von 8,4 Mrd. EUR (Vj: 8,2 Mrd.) oder 14,61 EUR je Aktie (Vj: 14,39) zugrunde. Vinci selbst rechnet mit einem bereinigten operativen Ergebnis leicht über dem des Vorjahres. Das Bewertungsniveau der Vinci-Aktie hat sich in den letzten beiden Jahren knapp unterhalb des Niveaus vor Corona eingependelt. Das jährliche Tief notierte im Durchschnitt beim 6,8-Fachen des bereinigten EBIT und das Jahreshoch beim 8,6-Fachen. 2024 wurde dieses Bewertungsniveau mit einem vorläufigen Wert am Jahrestief von 6,7 bislang bestätigt, auf der Oberseite betrug der Wert bislang jedoch nur 8,2. Damit hat sich die Spanne der Multiples – die bereits 2022 und 2023 gering war – gegenüber den beiden Vorjahren nochmal reduziert.
Unter der Annahme, dass keine weitere Verschiebung des Bewertungsniveaus nach unten stattfindet, berechnen wir auf Basis der genannten Multiples von 6,8 und 8,6 und unserer EBIT-Prognose von 14,61 EUR je Aktie eine Kursspanne mit einem Einstiegskurs von 99 EUR und einem Kursziel von 125 EUR. Eine gewisse Unsicherheit birgt jedoch die Tatsache in sich, dass die derzeitige Wachstumsschwäche in einem weiteren Rückgang des Bewertungsniveaus – also einem noch niedrigeren EBIT-Multiple – zum Ausdruck kommen könnte, da nachlassendes Wachstum nicht selten zu einem Rückgang des Bewertungsniveaus führt.
Charttechnik
Innerhalb der langfristigen Aufwärtsbewegung tendiert die Notierung von Vinci seit Januar 2023 auf hohem Niveau seitwärts. Dabei wurde im Bereich von 99 EUR ein signifikanter Boden ausgebildet, der außerdem die Nackenlinie einer übergeordneten SKS-Formation (Schulter-Kopf-Schulter) darstellt. Diese Nackenlinie wurde zuletzt Ende Oktober getestet. Oberhalb der aktuellen Notierung verläuft außerdem eine kurzfristige Abwärtstrendlinie bei ca. 104 EUR. Diese und das letzte Zwischenhoch bei 105 EUR müssten zunächst überwunden werden, um aus technischer Sicht ein Kaufsignal zu erhalten.
Sollte die Nackenlinie der SKS-Formation unterschritten werden, ergäbe sich daraus bei regelkonformer Auflösung weiteres Abwärtspotenzial bis in den Bereich von 80/81 EUR, wo eine markante Unterstützungszone liegt. Dazwischen liegt noch eine langfristige Aufwärtstrendlinie bei aktuell 87 EUR, die ebenfalls unterstützend wirken dürfte. Die relative Stärke auf Basis von 14 Wochen hat mit dem letzten Test der Nackenlinie bereits deutlich zum Kursverlauf divergiert und tendiert aktuell leicht aufwärts.
Fazit
Trotz des insgesamt positiven Ausblicks, der sich in einem Rekordauftragsbestand widerspiegelt und auch von Analysten hervorgehoben wird, scheint das nachlassende Wachstum vom Markt als starker negativer Impuls wahrgenommen zu werden. Zwar erachten wir die Aktie aufgrund der starken Ertragslage und der mittelfristigen Wachstumserwartungen als solides Investment, kurzfristig sehen wir jedoch das Risiko weiterer Kursrückgänge.
Auf Basis unserer Prognose für das bereinigte EBIT von 14,61 EUR je Aktie halten wir die Aktie für stark unterbewertet, sehen aber das Risiko eines weiteren Absinkens des Bewertungsniveaus. Auch die charttechnische Ausgangssituation mahnt zur Vorsicht, so lange nicht mindestens der kurzfristige Abwärtstrend gebrochen wurde und ein technisches Kaufsignal vorliegt. Wir beobachten die Aktie und sehen bis zu unserem Kursziel bei 125 EUR eine Gewinnchance von 25 %, dem gegenüber steht aus technischer Sicht derzeit ein Risiko von 20 % nach unten.
Investmentidee(n) auf Vinci
Im aktuellen unsicheren Umfeld bietet sich ein Seitwärtspapier als Alternative zur Aktie an. Das Discount-Zertifikat mit der ISIN DE000DJ605X5 bietet eine moderate Renditechance bei großem Sicherheitspuffer an. Das Papier bietet eine Maximalrendite von 4,6 % (7,6 % p.a.), wenn bei Fälligkeit im Juni 2025 der Aktienkurs nicht unter 90 EUR notiert. Unterhalb von 90 EUR verringert sich der Gewinn, der Break-Even liegt bei 86,03 EUR.